Kindheitserinnerungen

Christine Nöstlinger und Erich Fried

 

Ausgehend von den Kindheitserinnerungen der vor allem für ihre Kinder- und Jugend­bücher be­kannten öster­reichischen Schrift­stellerin Christine Nöstlinger und des Lyrikers, Über­setzers und Essayisten Erich Fried er­folgt eine Aus­ein­ander­setzung mit deren Leben und Werken. Die Lebens­geschichten dienen auch als An­stoß, sich die eigene Kindheit zu ver­gegen­wärtigen. An­schließend sollen narrative Inter­views inner­halb des eigenen Familien- und Bekannten­kreises über die Zeit der Kind­heit durch­geführt werden. Ver­schiedene Inter­view­formen sowie Tipps für deren Um­setzung werden zur Ver­fügung gestellt.

Darum geht’s

Der Fokus dieses Themenpakets liegt neben dem aktiven Zu­hören so­wie der Recherche zu einer öster­rei­chischen Autorin und einem öster­rei­chischen Autor auf der kreativen Aus­ein­ander­setzung mit der eigenen Er­innerung in Form vom Ver­fassen unter­schied­licher Text­sorten und Collagen und dem Durch­führen von Inter­views. Arbeits­blätter so­wohl zu den Kind­heits­er­innerungen als auch zu aus­führlichen Portraits von Christine Nöstlinger und Erich Fried werden an­ge­boten. Ebenso finden Sie An­regungen und Tipps zu einem Oral-History-Projekt, das sich für einen fächer­über­greifenden Unter­richt mit Ge­schichte und Sozial­kunde/Politischer Bildung an­bietet.

1. Arbeitsanregungen für den Unterricht

1.1) Einstieg: Brainstorming zu Christine Nöstlinger und Erich Fried – Arbeitsblatt 1
Die Durchführung dieser Übung ist in Einzelarbeit, Partner­arbeit oder im Klassen­ver­band mög­lich.
Die Schüler/innen erhalten ein Blatt, auf dem in der Mitte ein Bild von Christine Nöstlinger zu sehen ist, ein weiteres mit einem Bild von Erich Fried.
Die Schüler/innen notieren auf dem Blatt ihre Vermutungen über die Be­ziehung zu den Eltern, zu den Ge­schwistern, über die Schul­zeit, den späteren Familien­stand, die Arbeit als Schrift­steller/in, die politische Orien­tierung usw.

1.2) Kindheitserinnerungen von Christine Nöstlinger und Erich Fried anhören – Arbeitsblatt 2
Die Schüler/innen beantworten in Einzelarbeit die Fragen zu den Kind­heits­er­inne­rungen von Christine Nöstlinger bzw. Erich Fried, die mit­hilfe einer Radio­sendung zu be­antworten sind, und ver­gleichen sie an­schließ­end im Plenum. Es hat sich be­währt, nach der fünften Frage bzw. nach eigenem Er­messen die Sendung zu unter­brechen und die Ant­worten zu ver­gleichen.

1.3) Über die eigene Kindheit

  1. Zunächst überlegt jede/r für sich, welche Erinnerungen an die eigene Kind­heit geweckt wurden und hält die Er­geb­nisse stich­wort­artig fest.
  2. Danach erfolgt ein Austausch mit der Sitznachbarin bzw. dem Sitz­nach­barn. Da­durch werden wahr­schein­lich weitere Er­inne­rungen wach­ge­rufen.
  3. Im Klassenverband werden von jeder Schülerin bzw. jedem Schüler kurz die wichtigsten Kind­heits­er­inne­rungen seiner Ge­sprächs­partnerin bzw. seines Ge­sprächs­partners er­zählt.

Anschließend werden die gesammelten Erinnerungen festgehalten. Da­für werden folgende Arbeits­auf­träge vor­ge­schlagen:
Schreiben Sie einen Text über Ihre Kindheit.

  • Gehen Sie dabei entweder auf einen Menschen oder auf einen Ort ein, der Sie be­sonders geprägt hat.
  • Gehen Sie auf ein Ereignis ein, an das Sie sich besonders gut er­innern können, zum Bei­spiel Ihr erstes be­wusstes politisches Er­eignis, Ihr erster Schul­tag, … (so wie Erich Fried).
  • Laut Christine Nöstlinger hat jeder und jede in seiner Kind­heit so viel erlebt, dass sie bzw. er zu­mindest ein Kinder­buch ver­fassen könnte. Ver­suchen Sie sich als Kinder­buch­autor/in!

Fotografieren Sie Gegenstände, Orte, Personen, Stoff­tiere, Spiel­sachen, Comic­figuren, Fern­seh­heldinnen und ‑helden etc. und ge­stalten Sie damit eine Collage zu Ihrer Kindheit oder eine PowerPoint-Präsentation.

Es empfiehlt sich, eine Präsentationsstunde festzulegen, z. B. im Rahmen eines Eltern­abends, in welcher die Schüler/innen ihre Texte vor­lesen und ihre Collagen präsen­tieren können.

1.4) Recherche zu Christine Nöstlinger und Erich Fried – Arbeitsblatt 3
Im Anschluss an die Auseinandersetzung mit der eigenen Kindheit folgt eine inten­sive Aus­ein­ander­setzung mit den Bio­gra­fien Christine Nöstlingers und Erich Frieds. Als Hilfe für die Aus­arbei­tung der für die Recherche vor­ge­schlagenen Sendungen werden wesent­liche Be­griffe, die in der auf­gelisteten Reihen­folge in den Audio­beiträgen vor­kommen, zur Ver­fügung g­estellt.

1.5) Vergleich: Vermutungen und Realität
Zum Abschluss wird nochmals auf das anfängliche Brain­storming zu Christine Nöstlinger und Erich Fried zurück­ge­griffen und die Ver­mutungen werden mit der Realität ver­glichen. Falsche An­nahmen werden korrigiert und wichtige Infor­mationen zum Leben von Christine Nöstlinger und Erich Fried er­gänzt.

1.6) Vertiefung
Als weitere Vertiefung des Themas können in einem gemeinsamen Ge­spräch die unter­schied­lichen Lebens­welten von Christine Nöstlinger und Erich Fried her­aus­ge­arbeitet werden. Zum Bei­spiel könnte be­sprochen werden, ob eine weibliche bzw. eine männliche Perspektive zu er­kennen ist, und wenn dies der Fall ist, wie sich diese auf das Leben von Nöstlinger bzw. Fried aus­wirkte. Aber auch die unter­schiedlichen Er­fahrungen während der national­sozialis­tischen Herr­schaft und in der Nach­kriegs­zeit könnten thema­tisiert werden. Christine Nöstlinger lebte in Österreich, während Erich Fried bei­nahe den ge­samten gen­annten Zeit­raum im Exil ver­brachte.

1.7) Oral-History-Projekt, fächerübergreifend mit Geschichte/Politischer Bildung
Die Schüler/innen führen Interviews im Familien- und Be­kannten­kreis zum Thema Kind­heit. Bei­spiele sind dazu auf der Seite des Oral-History-Projekts „MenschenLeben – Eine Sammlung lebens­ge­schichtlicher Er­zählungen“ im Rahmen der Online­aus­stellung „Österreich am Wort“ der Österreichischen Mediathek nach­zu­hören.

2. Arbeitsblätter

Arbeitsblatt 1

dient als Einstieg in die Thematik. Ausgehend von einem Bild der Autorin bzw. des Autors sollen Ver­mut­ungen über ihr bzw. sein Leben an­ge­stellt oder bereits Be­kanntes in Form eines Brain­stormings auf­ge­schrieben werden. Diese fiktive Bio­grafie kann an­schließend mit den Er­ge­bnissen der Re­cher­che zu Christine Nöstlinger bzw. Erich Fried ver­glichen werden.

Arbeitsblatt 1 – Christine Nöstlinger

Arbeitsblatt 1 – Erich Fried

Arbeitsblatt 2

bietet Fragen zu den Kindheitserinnerungen von Christine Nöstlinger bzw. Erich Fried, die mit­hilfe einer Radio­sendung zu be­ant­worten sind. Es hat sich bewährt, nach der fünften Frage bzw. nach eigenem Er­messen die Sendung zu unter­brechen und die Ant­worten zu ver­gleichen.

Arbeitsblatt 2 – Christine Nöstlinger

Arbeitsblatt 2 – Christine Nöstlinger
(mit Lösungen)

Arbeitsblatt 2 – Erich Fried

Arbeitsblatt 2 – Erich Fried
(mit Lösungen)

Arbeitsblatt 3

bietet eine Hilfestellung für die intensive Auseinandersetzung mit der Bio­grafie von Christine Nöstlinger bzw. von Erich Fried. Begriffe, die in den ausführlichen Radio­portraits vor­kommen, werden auf­ge­listet und sollen nach ihrer Be­deutung im Leben der Autorin bzw. des Autors unter­sucht werden.

Arbeitsblatt 3 – Christine Nöstlinger

Arbeitsblatt 3 – Christine Nöstlinger
(mit Lösungen)

Arbeitsblatt 3 – Erich Fried

Arbeitsblatt 3 – Erich Fried
(mit Lösungen)

3. Christine Nöstlinger

Österreichs bedeutendste Kinderbuchautorin wurde 1936 in Wien geboren. Im Mittel­punkt ihrer Er­zählung über ihre Kind­heit stehen Per­sonen und Orte, die sie ge­prägt haben.

Mit über 100 Büchern zählt sie heute zu den bekanntesten und einfluss­reichsten Kinder- und Jugend­buch­autorinnen des deutsch­sprach­igen Raums, wobei ihre Bücher auch in zahl­reiche Sprachen über­setzt wurden. Die Schrift­stellerin wurde mit vielen inter­national renommierten Preisen wie der Hans-Christian-Andersen-Medaille, dem Astrid-Lindgren-Memorial-Award oder dem Öster­reichischen Staats­preis aus­ge­zeichnet.

00:14:38
Kindheitserinnerungen Nöstlingers

„Ich stamme aus meiner Kindheit wie aus meinem Land“ aus der Sendung Radiokolleg vom 20. Oktober 1987 (siehe auch Arbeitsblatt 2)

01:00:06 [00:55:33 bis 00:57:44]
Nöstlinger am Andersen-Tag 1985

Wofür Bücher eine Hilfe sein können. Mittags­journal vom 2. April 1985

Vor ihrem literarischen Durchbruch absolvierte sie eine Ausbildung an der Akademie der bildenden Künste und arbeitete kurze Zeit als Grafikerin. Nach ihrer Heirat und der Geburt zweier Kinder begann sie, literarisch zu arbeiten. Ihr erstes Buch „Die feuer­rote Friede­rike“ (1970) wurde zur Über­raschung der Autorin ein großer Er­folg.

Neben Kinder- und Jugend­büchern schreibt sie für Zeitungen, für den Rund­funk und das Fern­sehen und auch drei von Nöstlinger ver­fasste Koch­bücher sind erhältlich.

Mit ihren Werken wie „Gretchen Sack­meier“ (1981) oder „Das Aus­tausch­kind“ (1982) durch­bricht sie die in der Kinder- und Jugend­literatur vor­herrschende heile Welt. Sie kon­frontiert ihre Leser/innen mit schwierigen Familien­si­tu­a­ti­onen, un­sicheren Eltern, Schul­problemen, puber­tären Sinn­krisen und Ein­sam­keit. Im Mittel­punkt ihrer Ge­schichten stehen Außen­seiter­figuren, die sich gegen Unter­drückung und Un­ge­rechtig­keit be­haupten müssen.

In „Maikäfer flieg“ (1973) und „Zwei Wochen im Mai“ (1981) verarbeitet sie ihre Er­leb­nisse der Kriegs- und Nach­kriegs­zeit. Aber auch sonst greift sie beim Schreiben auf eigene Kind­heits­er­fahrungen zu­rück. Als Er­zähl­perspek­tive wählt sie jene des Kindes und auch auf sprach­licher Ebene bleibt sie nahe bei den Menschen. Der anfangs heftig kritisierte Ein­satz des Wiener Dialekts wird eines ihrer un­ver­kenn­baren Er­kenn­ungs­merk­male.

Christine Nöstlinger schreibt aber auch für Er­wach­sene. Im Laufe der Zeit wird sie eine Symbol­figur für die auf­kommende Frauen­be­wegung. In einer Sam­mlung von Ge­dichten unter dem Titel „Iba de gaunz oaman Fraun“ („Über die ganz armen Frauen“) (1982) thematisiert sie Kon­flikte zwischen Männern und Frauen.

Christine Nöstlinger war in zweiter Ehe mit dem 2011 ver­storbenen Journa­listen Ernst Nöstlinger ver­heiratet. Die Autorin hat zwei Töchter und lebt heute ab­wech­selnd im 20. Bezirk in Wien und im Wald­viertel auf einem Bauern­hof.

00:54:35 [00:14:21 bis 00:18:29]
Über ihre Angst vor der Außen­seiter­rolle im Gymnasium

Interview mit der Autorin (1974)

00:54:35 [00:18:30 bis 00:19:48]
Über das Lesen und über die Schule

Interview mit der Autorin (1974)

00:54:35 [00:19:49 bis 00:21:25]
Über ihre geheime Leiden­schaft, das Rezitieren, und über kindliche Erotik

Interview mit der Autorin (1974)

00:54:35 [00:30:00 bis 00:32:08]
Über ihre Beziehungen und über ihr Modebewusstsein

Interview mit der Autorin (1974)

00:54:35 [00:39:09 bis 00:45:51]
Über ihr frustrierendes Leben als Hausfrau und Mutter sowie den Beginn ihres Erfolges

Interview mit der Autorin (1974)

01:00:02 [00:52:38 bis 00:57:24]
Gespräch über ihr Buch „Iba de gaunz oaman Fraun“, die Ver­wendung des Dialekts und Voyeuris­mus beim Schreiben

Beitrag im Mittagsjournal vom 1. März 1982

4. Erich Fried

Der Lyriker, Übersetzer und Essayist Erich Fried wurde 1921 in Wien geboren. Nach dem Tod seines Vaters an den Folgen eines Ver­hörs durch die Gestapo flüchtete Fried nach London und kehrte (offiziell) erst 1962 zum ersten Mal nach Wien zurück. 1982 erhielt der Autor wieder die öster­reichische Staats­bürger­schaft, be­hielt aber gleich­zeitig die britische, die er 1949 an­ge­nommen hatte. Er starb 1988 im deutschen Baden-Baden an Darm­krebs und wurde in London, wo Fried bis zu­letzt wohnte, bei­ge­setzt.

In seinen Kindheitserinnerungen berichtet er über Menschen, die ihn prägten, sowie von politischen Ereignissen.

00:14:32
Kindheitserinnerungen Frieds

„Ich stamme aus meiner Kindheit wie aus meinem Land“ aus der Sendung Radio­kolleg vom 19. Oktober 1987

In den frühen 1960er Jahren begründete Erich Fried mit politischer Lyrik seine Popu­lari­tät. Der Dichter schrieb stets provo­zierend und mahnend. Die be­stimmenden Themen seiner ein­fach scheinenden, aber dabei kunst­voll durch­kompo­nierten Lyrik waren Mensch­lich­keit, politischer Wider­stand und En­ga­ge­ment. Dabei ging es ihm um größt­mögliche Ver­ständ­lich­keit und Ge­nauig­keit in Form und In­halt.

Fried wurde oft „Kommunisten­freundlich­keit“ und „Terror­ismus­ver­ständnis“ vor­ge­worfen. Seine Offen­heit in alle Richtungen löste bei vielen Ver­wirrung aus; seinen Ge­danken der Feindes­liebe je­doch be­wun­derten auch viele seiner Kritiker/innen. Erich Fried be­stritt zahl­reiche öffent­liche Auf­tritte, wo­bei seine Liebes­gedichte die An­zahl der Leser/innen seiner Werke er­heblich er­höhte.

Sein dichterisches Werk und seine phi­lo­so­phischen Re­flex­ionen ließen den Autor zu einer moral­ischen und künstler­ischen In­stanz werden, die aber bis zu­letzt um­stritten blieb. Erich Fried wurden zahl­reiche Aus­zeichnungen wie der Georg-Büchner-Preis, der Öster­reichische Staats­­preis für Ver­dienste um die öster­reichische Literatur im Aus­land und kurz vor seinem Tod die Ehren­doktor­würde der Uni­versi­tät Osnabrück ver­liehen.

Erich Fried war drei Mal verheiratet und Vater von sechs Kindern.

Ein Jahr nach seinem Tod wurde in Wien die Inter­nationale Erich Fried Gesellschaft für Literatur und Sprache gegründet, die jährlich den vom öster­rei­chischen Bundes­kanzler­amt gestifteten Erich-Fried-Preis verleiht.

00:59:56 [00:48:14 bis 00:48:31]
Erich Fried liest das Gedicht „Drei Fragen zugleich“, in dem sein künstlerisches Credo zum Ausdruck gebracht wird

Ausschnitt aus dem Abend­journal vom 23. November 1988

00:51:22 [00:45:42 bis 00:50:16]
Der Verleger Klaus Wagenbach über Frieds Arbeit als Schrift­steller

Ausschnitt aus dem Abend­journal mit einem Nach­ruf auf Erich Fried vom 12. Dezember 1988

01:00:03 [00:52:28 bis 00:54:05]
Über seine politische Lyrik

Beitrag im Mittags­journal vom 7. Dezember 1982

01:00:03 [00:54:15 bis 00:54:48]
Fried liest das Gedicht „Was es ist“

Ausschnitt aus dem Mittags­journal vom 7. Dezember 1982

00:51:22 [00:33:20 bis 00:37:50]
Hrdlicka und Hawlicek zur Ver­leihung des Öster­reichi­schen Staats­preises an Fried

Burgtheater-Matinee zum Gedenken an Erich Fried im Journal-Panorama vom 12. Dezember 1988

00:51:22 [00:31:09 bis 00:33:19]
Peter Turrini anlässlich des Todes von Erich Fried

Burgtheater-Matinee zum Gedenken an Erich Fried im Journal-Panorama vom 12. Dezember 1988

(Text und Inhalt: Julia Müller, 2014)