1919–1920

Im Friedensvertrag von Saint-Germain-en-Laye, einem der Pariser-Vororte-Verträge nach Kriegsende, entsteht die Republik Österreich. Der Anschluss an das Deutsche Reich wird verboten und der Name muss von Republik Deutschösterreich auf Republik Österreich geändert werden. Im Kleinstaat mitten in Europa herrschen Hunger, Not und Zweifel an einer Zukunft für dieses Rest-Land.

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Friede von St. Germain

Delegationsleiter Karl Renner

Der große Umbruch

Zusammenbruch und Zerfall Österreich-Ungarns stellten für die Bevölkerung im Raum der jetzigen Republik Österreich einen außerordentlich tiefen Einschnitt dar. Die wirtschaftlichen Folgen waren tiefgreifend und zunächst vor allem die Versorgungslage – besonders in Wien – katastrophal. Die staatliche Umorganisation Mitteleuropas löste Migrationsströme aus und die Bevölkerung geriet in eine sehr lange währende Krise ihres politischen Selbstverständnisses: Aus den Bewohnern einer Großmacht waren solche eines verarmten Kleinstaates mit noch unsicheren Grenzen und ungewissen Zukunftschancen geworden.

Zur Zeit der Monarchie hatte sich ein großer Teil der Bevölkerung in nationaler Hinsicht als deutsch empfunden und von der Staatszugehörigkeit als Österreicher. Nun existierte das alte Österreich nicht mehr, sodass die Orientierung am Nationalgefühl in den Vordergrund trat. Daher die Versuche, statt eines neuen Staates lieber gleich den Anschluss an Deutschland zu erreichen, daher die später auf alliierten Druck wieder aufgegebene Staatsbezeichnung "Deutsch-Österreich" für die neue Republik.

Der neue Kleinstaat kam also unter wenig Erfolg versprechenden Aussichten auf die Welt, und entsprechend gering war die innere Bindung vieler Bewohner an den "Staat, den keiner wollte". Manche blickten auch in der Folge zurück in die Vergangenheit, viele weiterhin nach Deutschland. Die Entwicklung eines spezifisch österreichischen Nationalgefühls lag noch in weiter Ferne.

Andererseits ist unverkennbar, dass die allererste Zeit der Republik einen politisch-sozialen Entwicklungssprung mit sich brachte: Frauenwahlrecht, Achtstunden-Arbeitstag, Urlaubsanspruch, Arbeitslosenversicherung.

00:01:05
Die neue Republik

Staatskanzler Renner

00:00:20
Wirtschaftliche Reform

Karl Renner

00:00:43
Sozialreform

Karl Renner

00:01:01
Landwirtschaft

Karl Renner

00:01:12
Hymne der Republik

Renner-Kienzl-Hymne

00:06:25
Salzburger Festspiele

Hugo von Hofmannsthal

00:01:23
Die tote Stadt

Erich Wolfgang Korngold

1919

Jänner 1919

08.01.

Der Schriftsteller Peter Altenberg (eigentlich Richard Engländer, *9. März 1859) stirbt in Wien.

15.01.

Ermordung der kommunistischen Politiker Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg in Berlin durch Soldaten der Garde-Kavallerie-Schützen-Division.

Februar 1919

11.02.

Friedrich Ebert wird von der Nationalversammlung zum ersten Reichspräsidenten der Weimarer Republik gewählt.

16.02.

Wahlen zur verfassunggebenden Nationalversammlung (Nationalrat). Frauen haben erstmals das Wahlrecht, die Sozialdemokraten werden stärkste Partei.

21.02.

Ermordung des bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner (*14. Mai 1867) in München.

22.02.

Ein Zusammenstoß zwischen Kommunisten und deutschnationalen Studenten in Graz endet mit sechs Todesopfern.

27.02. – 02.03.

Geheimverhandlungen zwischen Deutschland und Österreich auf Außenministerebene bezüglich des Anschlusses Österreichs an Deutschland.

März 1919

01.03. – 02.03.

"Reichskonferenz der Arbeiterräte" unter Friedrich Adler in Wien. Die Errichtung einer von kommunistischer Seite geforderten Rätediktatur wird abgelehnt.
 

04.03.

1. Sitzung der konstituierenden Nationalversammlung.

12.03.

Erklärung der konstituierenden Nationalversammlung: Deutschösterreich ist ein Teil der Deutschen Republik.

15.03.

Zweite Regierung Karl Renner (Sozialdemokrat). Koalition aus Sozialdemokraten und Christlichsozialen.

21.03.

Ausrufung der kommunistischen Räteregierung unter Béla Kun in Ungarn.

23.03.

Der ehemalige Kaiser Karl I. verlässt mit seiner Familie Österreich und geht in die Schweiz ins Exil.

April 1919

03.04.

Die konstituierende Nationalversammlung verweist die Familie Habsburg des Landes. Das Familienvermögen wird beschlagnahmt. Das Führen von Adelstiteln wird in Österreich untersagt.

Abschaffung der Todesstrafe in Österreich.

07.04.

Ausrufung der Räterepublik in München. Ende der (kommunistischen) Räterepublik am 2. Mai.

17.04.

Kommunistische Unruhen in Wien: Sechs Tote und zahlreiche Verletzte.

22.04.

Die Siegermächte bekräftigen das Anschlussverbot Österreichs an Deutschland.

Mai 1919

Schwere Zusammenstöße zwischen slowenischer und deutschsprachiger Bevölkerung in Südkärnten. Im Juni dringen slowenische Truppen bis Klagenfurt vor.

07.05.

Übergabe des Entwurfs für den Vertrag von Versailles. Die Siegermächte fordern die Anerkennung der alleinigen Kriegsschuld durch Deutschland. Der Anschluss von Österreichs an Deutschland wird untersagt, das linke Rheinufer soll entmilitarisiert und von den Alliierten besetzt werden. Hohe Reparationszahlungen. Die Friedensbedingungen werden in Deutschland als ungerecht und hart empfunden. Unterzeichnung des Friedensvertrags durch das Deutsche Reich am 28. Juni im Spiegelsaal des Schlosses von Versailles.

11.05.

Eine Volksbefragung in Vorarlberg über den Anschluss an die Schweiz bringt 80 % Zustimmung.

14.05.

Die österreichische Delegation trifft in Saint Germain ein.

Juni 1919

02.06.

Übergabe der Friedensbestimmungen an die österreichische Delegation in Saint Germain.

15.06.

Kommunistischer Putschversuch in Wien: 20 Tote.

Juli 1919

30.07.

Ein Gesetz über bezahlten Urlaub wird beschlossen.

September 1919

02.09.

Übergabe der endgültigen Friedensbestimmungen an die österreichische Delegation in Saint Germain.

06.09.

Die konstituierende Nationalversammlung nimmt unter Protest die Bedingungen des Friedensvertrags an.

10.09.

Unterzeichnung des Vertrages von Saint Germain durch Staatskanzler Karl Renner. Österreich vertritt den Rechtsstandpunkt, dass das jetzige Österreich ein neuer Staat sei (– und deshalb kein kriegsführender Staat war), während der Vertrag vom Umstand der völkerrechtlichen Kontinuität Österreichs ausgeht. Böhmen, Mähren und einige Gemeinden Niederösterreichs gehen an die neu gegründete Tschechoslowakei, Südtirol bis zum Brenner, das Küstenland mit Görz und Triest, Istrien und Gebiete Dalmatiens müssen an Italien abgetreten werden, Teile der Untersteiermark, das Kärntner Mießtal und das Seeland gehen an das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen, Westungarn (Burgenland) kommt zu Österreich. Festsetzung von Reparationszahlungen, Verbot eines Anschlusses an Deutschland, Festsetzung der Größe eines Berufsheeres auf 30.000 Mann.

Oktober 1919

17.10.

Dritte Regierung Karl Renner.

21.10.

Beschluss eines Gesetzes über die Staatsform, gemäß den Friedensbestimmungen wird aus der "Republik Deutschösterreich" die "Republik Österreich".

Dezember 1919

17.12.

Das Gesetz über die Einführung des Acht-Stunden-Tages wird für alle Arbeitsverhältnisse beschlossen.

1920

Februar 1920

10.02.


Eine Demonstration gegen die herrschende Versorgungslage in Leoben (Steiermark) endet mit fünf Toten.

24.02.

Gründung der NSDAP in München.

März 1920

01.03.

Miklós Horthy (1868–1957) wird zum Reichsverweser in Ungarn ernannt.

18.03.

Erlass eines neuen Wehrgesetzes: Der in den Friedensverträgen bewilligte Höchststand des Berufsheeres von 30.000 Mann wird in der 1. Republik allerdings nie erreicht.

April 1920

20.04.

Eröffnung der VII. Olympischen Spiele in Antwerpen. Österreich ist von der Teilnahme ausgeschlossen.

Juni 1920

04.06.

Unterzeichnung des Friedensvertrags zwischen den Alliierten und Ungarn in Trianon bei Paris. Ungarn muss rund 70 % seines ehemaligen Territoriums abtreten.

07.06.

Demonstrationen und Plünderungen in Wien und Graz gegen Lebensmittelpreise und die herrschende Versorgungslage. In Graz kommt es dabei zu 15 Toten.

10.06.

Die Differenzen zwischen Sozialdemokraten und Christlichsozialen über Heeresvertrauensmänner führen zum Bruch der Koalition.

Juli 1920

07. 07.

Rücktritt der Regierung Renner und erste Regierung Michael Mayr (Christlichsozialer). Es ist eine Proporzregierung aus allen Parteien.

August 1920

22.08.

Eröffnung der 1. Salzburger Festspiele. Erste Aufführung von Jedermann von Hugo von Hofmannsthal vor dem Salzburger Dom.

September 1920

08.09.

Der indische Nationalkongress beschließt, die Unabhängigkeitsbestrebungen des Freiheitskämpfers Mahatma Gandhi (1869–1948) zu unterstützen.

Oktober 1920

01.10.

Die konstituierende Nationalversammlung beschließt die neue Verfassung der Republik Österreich. Maßgeblichen Anteil an der Ausarbeitung hat Hans Kelsen (1881–1973).

10.10.

Volksabstimmung in Kärnten: Jener Teil Südkärntens mit überwiegend slowenischer Bevölkerung entscheidet sich für den Verbleib bei Österreich, daraufhin wird im überwiegend deutschsprachigen Teil nicht mehr abgestimmt.

17.10.

Nationalratswahlen: Die Christlichsozialen werden stärkste Partei.

22.10.

Die Sozialdemokraten scheiden aus der Regierung aus.

November 1920

02.11.

Der Republikaner Warren G. Harding wird neuer Präsidenten der USA.

15.11.

1. Vollversammlung des Völkerbundes in Genf.

20.11.

Zweite Regierung Michael Mayr (Christlichsozialer).

Dezember 1920

04.12.

Uraufführung der Oper "Die tote Stadt" von Erich Wolfgang Korngold in Hamburg und Köln.

09.12.

Der parteilose Michael Hainisch wird von der Bundesversammlung zum Bundespräsidenten gewählt.

16.12.

In München erwirbt die NSDAP die Wochenzeitung "Völkischer Beobachter".

Aufnahme Österreichs in den Völkerbund.