Das Ende des Kalten Krieges – Entspannung und Eskalation

Der Kalte Krieg ist vorbei, er ist Geschichte und vergessen. Wann begann das Ende des Kalten Krieges? Wann war er wirklich vorbei?

Von Anton Hubauer

1. Das Thema – Der Zeitraum

Wann begann das Ende?

Es ist bemerkenswert, wie wenig eine historische Periode, die dem ganzen Planeten nach dem Zweiten Weltkrieg für über 40 Jahre ihren Stempel aufgedrückt hat, die Menschheit in permanenter Angst vor der atomaren Vernichtung bangen ließ, im öffentlichen Bewusstsein des neuen Jahrtausends gegenwärtig ist. Vielleicht liegt der Grund dieses schnellen Vergessens im ebenso plötzlichen Ende des Ringens zwischen den Supermächten.

Zwei Ereignisse bieten sich an, um einen zeitlichen Rahmen abzustecken. Die Invasion der Roten Armee in Afghanistan ab dem 27. Dezember 1979 (Isby 1989; Hildermeier 1998: 990; Audioquelle 1: Mittagsjournal, JM‑791228: 3. Beitrag; Audioquelle 2: Mittagsjournal, JM‑890215: 7.–9. Beitrag), und der Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 (Audioquelle 3: Mittagsjournal, JM‑891110: 1. Beitrag). Zwei Eckdaten der Geschichte, welche die letzte Phase des Kalten Krieges geradezu umklammern. Eine Frage, mit der sich diese Arbeit ebenfalls befassen möchte, ist diejenige nach der Absehbarkeit des Endes des Kalten Krieges, damit aber auch nach dem Ende des Ostblocks. Eine schwierige Frage, gespickt mit ideologischen Fallen, wie die Grenzstreifen des Eisernen Vorhanges mit Minen. Stramme Neocons in den USA hätten den Untergang der UdSSR und den Zerfall der Volksdemokratien in Osteuropa bis vor kurzem mit systemimmanenten und unbehebbaren Fehlern im Kommunismus selbst begründet.

„Bis vor kurzem“ … – hat doch die weltweite Finanzkrise 2008 ein wenig vom Vertrauen in den Status der beinahe naturwissenschaftlichen Unvermeidbarkeit des globalisierten Freien Marktes als Wirtschaftsform, mit der Demokratie westlicher Prägung als dazugehörender Entsprechung in der Gesellschaftsform, neben vielen Milliarden Dollar, Euro, Yen, Pfund und weiteren Abermilliarden in sonstigen Währungen und Börsenwerten dieser Welt, gekostet. Doch sollte diese Krise nicht den untergegangenen Kommunismus sowjetischer Prägung im milden und verklärenden Licht der Rückschau erstrahlen lassen. Die zentrale Planwirtschaft und die Volksdemokratie als ihr gesellschaftliches Pendant wurden tatsächlich von inneren Problemen und Krisen gebeutelt, zumindest was Osteuropa und die UdSSR betrafen. So kräftig gebeutelt, dass die unter der propagandistischen Fassade der sozialistischen Glückseligkeit gelegten eisernen Bande des Zusammenhaltes für den Staat, in Form der Partei, der Armee und der Geheimpolizei, sich lockerten und schließlich zerrissen, und der gesamte Ostblock, mit den Worten von Lew Dawidowitsch Bronstein, besser bekannt als Leo Trotzki, am Misthaufen der Geschichte gelandet ist.

00:02:33
Audioquelle 1: Mittagsjournal 1979.12.28 - Sowjet-Truppen in Afghanistan
00:10:08
Audioquelle 2: Mittagsjournal 1989.02.15 - UdSSR-Abzug aus Afghanistan
00:01:01
Audioquelle 3: Mittagsjournal 1989.11.10 - Öffnung DDR-Grenze

2. Die „Gegner“

Der Präsident der Vereinigten Staaten und der Generalsekretär der KPdSU

Es bleibt der Versuch einer inhaltlich-chronologischen Analyse des vorhandenen Materials auf mögliche Spuren des nahenden Endes. Der Kalender gibt die Chronologie vor, die zu Beginn gesetzten Eckdaten schränken den Zeitraum ein, doch wo lagen die inhaltlichen, die thematischen Brennpunkte in der Ö1‑Berichterstattung zum Kalten Krieg? Grob gesprochen lassen sich zwei Hauptgruppen unterscheiden. Beiträge, die das Handeln der Hauptakteure des Kalten Krieges in den Vordergrund stellen, Berichterstattung nach dem Motto „Wie Geschichte von den großen Staatsmännern und Weltenlenkern geschrieben wird“ und solche, mit Fakten und Ereignissen im Brennpunkt des Interesses oder „Wie durch wirtschaftliche und soziale Entwicklungen Fakten geschaffen werden, auf die von Seiten der Politik nur mehr reagiert werden kann“.

Ein bestimmender Aspekt des Kalten Krieges in der Berichterstattung der Ö1‑Journalsendungen lag also bei den Männern an der Spitze. Der US-Präsident und der Parteivorsitzende der KPdSU waren so etwas wie die Personifizierungen des Kalten Krieges in der Gestalt von Politikern. Kennedy und Chruschtschow für die 60er Jahre und Nixon und Breschnew für die 70er Jahre waren solche Antagonistenpaare. Reagan und Gorbatschow sollten die beiden letzten, aber die vielleicht wichtigsten Gegenspieler, in diesem weltweiten Kampf sein. In der Amtszeit von Georg Bush, mit so wichtigen Ereignissen wie dem Fall der Berliner Mauer und dem Ende der UdSSR, war der Präsident der Vereinigten Staaten schon kein Gegner mehr des Generalsekretärs der KPdSU. John F. Kennedy und Nikita Sergejewitsch Chruschtschow stehen für den gescheiterten Versuch der Entspannung, gefolgt von der Errichtung der Berliner Mauer auf kommunistischer Seite (Fuhr 1990: 110; Dierk 2003: 80; Steininger 2001a: 232–243), aber auch für die beinahe nukleare Vernichtung der Welt durch die Kuba-Krise und ihre Rettung durch eine Verständigung zwischen den Machtblöcken in allerletzter Minute (Craig 1988: 170; Gosztony 1980a: 353ff; Treadgold 2000: 382; Torke 1993: 167f; Brauburger 2002: 269ff; Audioquelle 4: Mittagsjournal, JM‑890130: 8. Beitrag).

Richard M. Nixon und Leonid Iljitsch Breschnew stehen für die Politik der Détente – der Zusammenarbeit, der Entspannung (Bierling 2003: 157f). Eine Aussage, die für die Zeit nach Nixons Pekingreise vom 21. Februar 1972 zumindest teilweise (Audioquelle 5: Sonderjournal, JS-711231: 10.–12. Beitrag), zutreffend ist. Weder Breschnews Entschluss, den Prager Frühling 1968 durch Panzer niederwalzen zu lassen (Audioquelle 6: Mittagsjournal, JM‑680821_a; Gosztony 1982b: 263–368; Hildermeier 1998: 998; Luks 2000: 467f.), noch Nixons Einsatzbefehl für die B‑52 Bomber gegen Nordvietnam im Dezember 1972 (Angermann 1995: 441; Bierling 2003: 148), waren Akte der Entspannung. Aber der am 22. Mai 1972 unterzeichnete SALT‑I-Vertrag (Douglass 1983: 13f.), der am 21. Dezember 1972 unterzeichnete Grundlagenvertrag zwischen der BRD und der DDR (Audioquelle 7: Mittagsjournal, JM‑721221_b; Audioquelle 8: Mittagsjournal, JM‑721221_c), sowie die am 3. Juli 1973 beginnende Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit, kurz KSZE, in Helsinki (Stöver 2003: 89ff; Klambauer 2000: 142f.), schienen eine Phase der Sicherheit und der Berechenbarkeit in den Beziehungen der Großmächte einzuleiten: ein trügerischer Eindruck, wie die Zukunft zeigen sollte.

00:03:49
Audioquelle 4: Mittagsjournal 1989.01.30 - Kubakrise und Atomkriegsgefahr 1961
00:11:58
Audioquelle 5: Sonderjournal 1971.12.31 - Die UNO und die VR China
00:04:18
Audioquelle 6: Mittagsjournal 21.08.1968 - Einmarsch Warschauer Pakt Truppen in die CSSR
00:06:12
Audioquelle 7: Mittagsjournal 21.12.1972 - Unterzeichnung des Grundvertrages
00:04:12
Audioquelle 8: Mittagsjournal 21.12.1972 - O-Ton der Unterzeichnung des Grundvertrages

3. Détente am Ende

Das Ende der Entspannungspolitik

Jimmy Carter, der 39. Präsident der Vereinigten Staaten (Audioquelle 9: Mittagsjournal, JM‑761103: 3. Beitrag), und Leonid Breschnew arbeiteten noch weiter an der Entspannung zwischen Ost und West. Der, allerdings nur vorübergehende, Produktionsstopp von Neutronenbomben durch Carter im Jahr 1978 (Blanchard 1987: 71; Matthée 1985: 175ff.), die Unterzeichnung des SALT‑II-Vertrages in Wien am 18. Juni 1979 (Audioquelle 10: Mittagsjournal, JM‑790611: 6. Beitrag; Audioquelle 11: Mittagsjournal, JM‑790618: 6. Beitrag; Bierling 2003: 178; Afheldt 1987: 126f.) und der durch Nachfolgekonferenzen am Leben gehaltene KSZE-Prozess (Audioquelle 12: Mittagsjournal, JM‑771222: 7. Beitrag) stehen für ihre Bemühungen die Entspannungspolitik fortzusetzen, doch gab es auf anderen Gebieten der Weltpolitik weiterhin Rückschläge und Siege im Kalten Krieg für beide Seiten, die bei ausgeglichenen Beziehungen zwischen den Machtblöcken eigentlich gar nicht hätten stattfinden dürfen (Bierling 2003: 171; Luks 2000: 475).

00:05:23
Audioquelle 9: Mittagsjournal 03.11.1976 - Neue US-Präsident Jimmy Carter zu seinem Wahlsieg
00:04:10
Audioquelle 10: Mittagsjournal 11.06.1979 - US-Presse vor SALT-II Unterzeichnung in Wien
00:04:38
Audioquelle 11: Mittagsjournal 18.06.1979 - Vor Unterzeichnung des SALT-II-Vertrages
00:03:57
Audioquelle 12: Mittagsjournal 22.12.1977 - Belgrader KSZE-Konferenz

4. Wieder auf Konfrontationskurs

Die Verschlechterung der Beziehungen zwischen den Supermächten

Die ab dem Jahresende 1979 sich deutlich verschlechternden Beziehungen zwischen den Supermächten waren auch durch die personellen Krisen an der Spitze der USA und der UdSSR mitverursacht. Präsident Carter schien außenpolitisch, nach dem großen diplomatischen Erfolg des Friedensabkommens von Camp David zwischen Israel und Ägypten im Jahr 1978 (Audioquelle 13: Mittagsjournal, JM‑780918: 3. Beitrag) mit feierlicher Unterzeichnung am 26. März 1979 in Washington (Audioquelle 14: Mittagsjournal, JM‑790327: 7. Beitrag), vom Unglück verfolgt zu sein.

1979, das Jahr vor seinem Antreten zur Wahl für eine zweite Amtsperiode, wurde zunehmend zu einem außenpolitischen Katastrophenjahr für die Vereinigten Staaten. Die islamische Revolution im Iran, die Geiselnahme der US-Botschaftsangehörigen in Teheran, der sowjetische Einmarsch in Afghanistan, schließlich im April 1980 die misslungene Geiselbefreiung der US-Botschaftsangehörigen im Iran, jeder Punkt schien nur Carters Führungsschwäche zu bestätigen (Angermann 1995: 480f.; Bierling 2003: 167ff.). Generalsekretär Breschnew hingegen war ein zunehmend von Alter und Krankheit gezeichneter Mann. Sein Gesundheitszustand, aber auch die in der UdSSR nie wirklich geregelte Frage der Nachfolge eines Generalsekretärs der KPdSU, wurden zu schwer kalkulierbaren Faktoren der sowjetischen Außenpolitik (Hildermeier 1998: 1014f.).

Eine Personalentscheidung in Rom sollte einen erheblichen und von dieser Seite unerwarteten Einfluss auf den weiteren Verlauf des Kalten Krieges haben, die Wahl von Karol Wojtyla zum Nachfolger des römischen Bischofs am 16. Oktober 1978 (Audioquelle 15: Mittagsjournal, JM‑781017: 3.–5. Beitrag). Als Papst Johannes Paul II. sollte der Mann aus Polen das Interesse der Weltöffentlichkeit wieder vermehrt auf Osteuropa richten. Breschnew war von der Tatsache eines polnischen Summus Pontifex Ecclesiae Universalis schlicht schockiert (Luks 2000: 479).

00:07:03
Audioquelle 13: Mittagsjournal 18.09.1978 - Einzelheiten Camp David-Verhandlungen
00:04:36
Audioquelle 14: Mittagsjournal 27.03.1979 - Frieden Israel - Ägypten
00:18:59
Audioquelle 15: Mittagsjournal 17.10.1978 - Der neue Papst Johannes Paul II