1928–1937 Armut, Elend und das Ende der Demokratie

Während das Jahr 1928 noch in die „Goldenen Zwanziger“ fiel, waren die kommenden Jahre geprägt von der Weltwirtschaftskrise, die Österreich Anfang der 1930er Jahre voll erfasste, und ein allgegenwärtiges Bild des Hungers, der Arbeits- und Hoffnungslosigkeit schuf. Als „Ausgesteuerte“ wurden die Arbeitslosen sich selbst überlassen, die Arbeiterbewegung sukzessive unterdrückt. Nach der Ausschaltung des Parlaments durch Bundeskanzler Engelbert Dollfuß im Jahr 1933 war der Februar 1934 ein weiterer Wendepunkt: Kampfhandlungen zwischen Schutzbund und Heimwehr forderten mehrere hundert Tote, die Sozialdemokratische Partei wurde verboten, zahlreiche Funktionäre der Sozialdemokratie wurden des Vergehens „Aufruhr“ angeklagt und verurteilt, acht Todesurteile vollstreckt. Am 1. Mai 1934 verkündete die Regierung unter Bundeskanzler Engelbert Dollfuß die neue Verfassung, die das staatsrechtliche Ende der Demokratie und den Beginn des Austrofaschismus als eine autoritäre und hierarchische Herrschaftsform auf allen Ebenen des politischen Systems bedeutete. Kurt Schuschnigg, der nach der Ermordung Dollfuß’ durch österreichische Nationalsozialisten im Juli 1934 die Regierung übernahm, versuchte zwar, die Selbständigkeit des Staates Österreich zu erhalten, das Erstarken der nationalsozialistischen Bewegung konnte er aber nicht aufhalten.

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1928 – Der Detektorapparat

1928 – Frühes Radio

Elisabeth Fickert-Sonnleithner (geb. 1912) erinnert sich an die Zeit des frühen Radios, sie beschreibt die ersten Sendungen und den damaligen Detektor­apparat, der noch keine Laut­sprecher hatte, sondern mit Kopf­hörern funktio­nierte. Radio­sendungen konnten in Österreich ab 1924 mit der Gründung der RAVAG (Radio Verkehrs AG) empfangen werden. Der im Interview erwähnte Charly Gaudriot leitete die erste Jazz-Kapelle der RAVAG und hatte seit 1928 seine eigene Sendung. Auch nach dem Zweiten Welt­krieg blieb er eine wichtige Figur des Radios, er gründete das „Kleine Wiener Rund­funk­orchester“, das er bis 1962 leitete.

1929 – Friedrich Zawrel spricht über die Zeit der Armut, in die er hineingeboren wurde

1929 – Wiener Elend

Das Jahr 1929 markiert den Beginn der Weltwirtschaftskrise. Die Wienerin und Mutter Friedrich Zawrels nahm in dieser Zeit der Arbeits- und Hoffnungslosigkeit befristete Arbeit in den Seiden­spinnereien in Lyon in Frankreich an. Als sie 1933/34 mit dem in der Zwischenzeit geborenen Friedrich Zawrel nach Wien zurückkehrte, war die Armut allgegenwärtig. Die frühen Kindheits­erinnerungen Friedrich Zawrels sind geprägt von hungernden Menschen, die sich um Kohlköpfe streiten.

1930 – Hasenschlagen

Während im Sommer Bojen die Schiff­fahrtsrinne anzeigten, wurden diese im Winter wegen des Eisstoßes entfernt und statt­dessen sogenannte „Hasen“ aus Holz eingeschlagen. Die Donau war bis in die 1950er Jahre im Winter häufig zuge­froren und die Angestellten der Schifffahrt wurden für drei Monate frei­gestellt bzw. für Reparatur­arbeiten an den Schiffen einge­teilt.

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1930 – Helmut Niederhuber erzählt von den Arbeiten auf der Donau vor dem Wintereinbruch

1931 – Schulausflug

Maria Rath, geboren 1917 in Mürzzuschlag, berichtet von einem Schulausflug, den ihre Klasse mitten in der Welt­wirtschafts­krise nur deswegen unternehmen konnte, weil die Lehrerin durch eine mehrfach ausverkaufte Schul­auf­führung relativ viel Geld sammeln konnte. Von der Bahnreise nach Innsbruck und München ist ihr vor allem der Besuch im Germanischen Nationalmuseum in München in Erinnerung geblieben.

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1931 – Klassenfahrt nach München während der Weltwirtschaftskrise

1932 – Demütigende Entschuldigung

Die Mutter von Margareta Ellmauer lief – bereits schwanger – nach der Hochzeit weg und musste ihre Schwiegereltern um Verzeihung bitten, damit diese sie wieder aufnahmen. Margareta Ellmauer thematisiert die Verluste der Mutter, mit denen sie sich deren Beziehungs­­un­­fähigkeit und die Lücke, die für sie selbst dadurch entstanden ist, erklärt.

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1932 – Die Mutter von Margareta Ellmauer muss zu ihren Schwiegereltern zurück

1933 – Tuberkulose in Wien

In der Zwischenkriegszeit war die als „Wiener Krankheit“ bekannte Tuberkulose stark verbreitet, weshalb die Stadt Wien in der unmittelbaren Nachkriegszeit mehrere Tuberkulosefürsorgestellen errichtete. Die Aufgabe der Fürsorger/innen war es, bei Hausbesuchen die Lebensumstände der Infizierten und Gefährdeten zu erheben, Ansteckungsquellen ausfindig zu machen und die Erkrankten zu einem Arztbesuch zu bewegen. Im Zuge ihrer Arbeit hat Elisabeth Fickert-Sonnleithner in besonderer Weise die Armut der 1930er Jahre und die Lebensumstände der Betroffenen mitbekommen. So erzählt sie von Frauen, die in Existenznöten ihre Schwangerschaften mit der Stricknadel unterbrochen haben. Schwangerschaftsabbrüche sollten noch weitere 40 Jahre unter Strafe stehen. Erst 1975 trat die Fristenlösung in Kraft, die bis heute gilt und der zufolge ein Schwangerschaftsabbruch bis zur 12. Schwangerschaftswoche straffrei ist.

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1933 - Elisabeth Fickert-Sonnleithner arbeitete in einer Tuberkulosefürsorgestelle des Roten Kreuzes in Wien

1934 – Arbeitslosensiedlung Leopoldau

Der Februar 1934 ist durch die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Schutzbund auf der einen und Heimwehr, Polizei und Bundesheer auf der anderen Seite in die Geschichte eingegangen. Infolge der Kampfhandlungen, die mehrere hundert Tote forderten, wurde nicht nur die Sozialdemokratie ausgeschaltet, sondern auch der Umbau des politischen Systems forciert. Zur selben Zeit zogen die arbeitslosen Eltern von Katharina Lamatsch in die Erwerbslosensiedlung in Leopoldau. Dort, wo sich heute die Großfeldsiedlung befindet, wurde 1932 die „Arbeitslosensiedlung“ am äußersten Stadtrand von Wien errichtet. Die Idee war, dass „ausgesteuerte“ Arbeitslose und bedürftige kinderreiche Familien ihre soziale Lage durch Selbstversorgung verbessern konnten.

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1934 – Katharina Lamatsch spricht von der Armut ihrer Eltern und der Suppe, mit der sie als Säugling ernährt wurde

1935 – Fettfischer am Opernball

In der Zwischenkriegszeit gab es am Donaukanal sogenannte Fettfischer, die sich ein bisschen Geld damit verdienten, das Fett aus den Gewässern der Donau zu schöpfen, um es an Seifensieder weiterzuverkaufen. Im dritten Wiener Gemeindebezirk aufgewachsen, erinnert sich Berta Nosek an diesen Beruf und erzählt vom Staunen der Erdberger Bevölkerung, als ein Fettfischer mit seiner Tochter in eleganter Kleidung zum Opernball fuhr. Seit 1921 wurden die Opernredouten der Republik Österreich abgehalten, allerdings fand erst im Jänner 1935 die erste Veranstaltung, die den Namen „Wiener Opernball“ trug, statt.

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1935 – Berta Nosek erinnert sich an die Fettfischer am Donaukanal

1936 – „Billige Franzl“

Die „billigen Franzl“ boten Haus­waren aller Art zu den besten Preisen an: Vom Schuh­band bis zur Hutnadel war alles dabei, was im Haushalt be­nötigt wurde. Wie die Kesselflicker und Scheren­schleifer zogen sie von Haus zu Haus, um ihre Waren und Dienste anzu­bieten. Ernst Janda (geb. 1929) beschreibt die Hausierer­berufe seiner Kindheit.

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1936 – Ernst Janda erinnert sich an die „Billigen Franzl“, Kesselflicker und Scherenschleifer

Kuratierung, Text: Eva Hallama

1937 – Das erste Fahrrad

Der Vater von Maria Rath gewann bei der Tombola ein Herren­fahrrad, das er kurzer­hand in ein Damenfahrrad für die Tochter umtauschte. Maria Rath lernte damit Radfahren und fuhr mit ihrem ersten Rad täglich in die Haus­haltungs­schule. Am Ende dieses Ausschnittes erzählt sie von einem kleinen Unfall. „Da war schon der Hitler da“, erinnert sie sich und thematisiert damit den Vorabend des NS-Regimes und den Umstand, dass persönliche Geschichten ihre eigenen Zäsuren haben.

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1937 – Ein Fahrrad bei der Tombola