Der Kriegsverlauf bis Jahresende 1914
Frieden bis Weihnachten – Paix jusqu'à Noël – Peace until Christmas
Millionen Männer in ganz Europa – hunderttausende aus Teilen der restlichen Welt – marschierten im August 1914 in den Krieg. Alle waren davon überzeugt zu Weihnachten wieder zuhause zu sein. Fast niemand hielt es 1914 für möglich, dass der Krieg beinahe bis Weihnachten 1918 dauern sollte.
Als sich die Armeen im August 1914 in Marsch setzten, schien ein kurzer Krieg gewiss. Nur die Offensive konnte eine Entscheidung bringen, dementsprechend gab es nur Offensivpläne. Deutschland begann seine große Offensive im Westen, sie sollte einen schnellen Sieg über Frankreich erzielen.
Generalstabschef Helmuth von Moltke orientierte sich weitgehend an der Denkschrift seines Vorgängers Graf Schlieffen aus dem Jahr 1905. Der berühmte Schlieffen-Plan sah eine Umfassung der französischen Armee mit dem rechten Flügel vor, durch das neutrale Belgien und auch nördlich von Paris. Aber für eine 1:1-Umsetzung des Planes fehlten dem deutschen Heer mindestens 15, eher 20 Divisionen. So fiel die Umfassung nördlich von Paris komplett weg.
Praktisch gleichzeitig mit dem deutschen Aufmarsch begann der französische Plan XVII. Ebenfalls ein Offensivplan, der Angriffe links und rechts der starken deutschen Festung Metz vorsah.
Nachdem die Verletzung der belgischen Neutralität Großbritannien endgültig auf die Seite der Entente gestellt hatte, kam es Ende August zu den Grenzschlachten. Die Heere Frankreichs und Deutschlands trafen aus der Bewegung aufeinander und die Schlachten zählten zu den blutigsten des ganzen Krieges. Das deutsche Heer konnte die französische Armee schlagen und zum Rückzug zwingen, ein den Krieg entscheidender Sieg, wie Frankreichs Niederlage 1870 bei Sedan, blieb aber aus. Fast ganz Belgien und Teile Nordfrankreichs wurden von den deutschen Armeen besetzt, dabei kam es – besonders im wallonischen Teil Belgiens, aber auch in Nordfrankreich – immer wieder zu Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung. Die Frage, wie weit die Beteiligung belgischer Zivilisten, sogenannter Franktireurs, an den Kämpfen, oder Panikreaktionen deutscher Soldaten diese Vorkommen auslösten, ist bis heute umstritten. Der Rückzug ging bis an die Marne und beinahe vor die Tore von Paris.
Jetzt konnte der französische Oberbefehlshaber Joffre die sich verkürzenden Nachschubwege voll ausnutzen. Die Deutschen Armeen wurden gestoppt, oder stoppten ihren Vormarsch. Fest steht, dass Ende September 1914 die Westfront, nach einem kurzen Rückzug der deutschen Armee, zu erstarren begann.
Ein letzter Versuch zum Bewegungskrieg war das „Wettrennen zum Meer“, eine Abfolge von Schlachten um den Gegner nördlich zu überflügeln, bis schließlich mit der Ersten Flandernschlacht, im Herbst 1914, die Nordsee erreicht war. Zu Jahresende sahen sich die Militärs mit einer durchgehenden Front von der Schweiz zur Nordseeküste konfrontiert.
Auch im Osten blieb die Entscheidung aus. Deutschland war hier in der Defensive, dafür traten Russland und die Donaumonarchie zur Offensive an. Conrad von Hötzendorf, der österreich-ungarische Generalstabschef hoffte, allerdings vergeblich, auf Unterstützung durch eine deutsche Offensive aus dem Norden. Die erfolgreiche deutsche Verteidigung unter Hindenburg und Ludendorff in der Schlacht von Tannenberg und der Schlacht an den Masurischen Seen stoppte den russischen Vormarsch nach Ostpreußen. Das Gros der russischen Streitkräfte stand aber im Süden, in Galizien lag der Schwerpunkt der Armeen des Zaren. Dort mussten sich die k.u.k. Einheiten unter Conrad von Hötzendorf, nach anfänglichen Erfolgen, vor den immer stärker werdenden Russen zurückziehen.
In den Sommerschlachten waren die Verluste auf deutscher Seite relativ niedrig, umso schwerer wogen die riesigen Verluste der k.u.k. Streitkräfte. Auch Russland erlitt im Sommer große Verluste, doch noch schien der Menschennachschub auf russischer Seite unerschöpflich zu sein.
Der Osten unterschied sich vom Westen insofern, weil es noch keine durchgängige Front gab. Zu groß war der Kriegsschauplatz, es blieb ein Bewegungskrieg, bei dem alle Armeen immer wieder lange Vorstöße und Rückzüge unternahmen. Allerdings wurde der Vorteil, der sich durch die Weite des Raumes ergab, zum Teil durch die schlechte Infrastruktur aufgehoben.
Der Herbst sah trotz weiterer Angriffe und Gegenangriffe keine großen Veränderungen, nur mehr Verluste. Lemberg blieb ebenso in russischer Hand wie Lodz. Przemyśl, die größte Festung der Doppelmonarchie, war von russischen Truppen belagert worden, dann entsetzt, nur um abermals belagert zu werden. Die Bedrohung von Krakau und Schlesien war abgewandt, aber die Möglichkeit eines russischen Durchbruchs durch die Karpaten bedrohte immer noch Ungarn. Am Balkan kamen die Kämpfe im Dezember dort zum Stillstand, wo sie im August begonnen hatten. Serbien hatte den Angriff Österreich-Ungarns zurückgeschlagen.
Der aufgestaute, aber auch geschürte Hass, kombiniert mit der Frustration durch den militärischen Misserfolg und die teilweise Beteiligung von Zivilisten an den Kämpfen führte auch hier zu schrecklichen Verbrechen an der Zivilbevölkerung. Im November 1914 kam mit den Kriegserklärungen der Entente an das Osmanische Reich ein weiterer Kriegsschauplatz hinzu. Die Hohe Pforte hatte sich auf die Seite der Mittelmächte gestellt. In Istanbul versprach man sich von einem Sieg der Mittelmächte mehr, befanden sich doch mit Serbien, vor allem aber mit Russland, zwei Gegner der Türkei im Lager der Entente.
Dass der Erste Weltkrieg diesen Namen von Anfang an ganz und gar verdiente, ist im Kampf um die deutschen Kolonien in Übersee begründet. Diese fielen alle im Laufe des Jahres 1914 an die Entente, mit Ausnahme von Deutsch Ostafrika. 1914 war die Hauptaufgabe der Luftstreitkräfte die Feindaufklärung, doch schon bald sollte sich dies ändern. Auf den Weltmeeren zeigt sich die Überlegenheit der Entente, besonders die Übermacht der Royal Navy. Die Blockade Deutschlands und Österreich-Ungarns wurde immer effektiver, deutsche U-Boote erzielten zwar Erfolge, aber es gab weder genügend U-Boote, noch Taktiken und Strategien für einen wirksamen U-Boot-Krieg.
Weihnachten 1914 kam, doch der Krieg ging weiter. Die Feuerpause zu Weihnachten, von den Soldaten spontan an manchen Abschnitten der Westfront eingehalten, wurde von der militärischen Führung auf beiden Seiten rasch unterdrückt.
Chronologie der Ereignisse
Jänner – Juni 1914
1. Jänner
Die 30-jährige Urheberrechtsfrist für Wagners Oper Parsifal läuft aus: Bayreuth hat nicht mehr das Monopol auf Aufführungen dieser Oper.
1. Wiener Parsifal am 14. Jänner 1914. (mit Erik Schmedes als Parsifal, Anna von Mildeburg als Kundry und Friedrich Weidemann als Klingsor).
5. Jänner
Ankündigung des 8-Stundentages in den Ford-Werken (USA). In Österreich-Ungarn gilt zu dieser Zeit in der Industrie weitgehend der 10-Stundentag.
17. Mai
Der Wiener Associationfootball-Club sichert sich durch ein 1:1 gegen SK Rapid Wien den Fußball-Meisterschaftstitel in der Wiener 1. Klasse.
22. Mai
Der erste Propaganda-Dokumentarfilm Österreich-Ungarns wird in den Kinos aufgeführt, er trägt den Titel "Unsere Kriegsflotte".
Juni
Trotz Interventionsversuchen von russischer Seite stehen zwei, in Großbritannien gebaute, "Dreadnought"-Schachtschiffe kurz vor Fertigstellung und Übergabe an die türkische Marine. Die Regierung Asquith beharrt auf ihrem liberalen Standpunkt, sich nicht in die Geschäfte britischer Firmen einzumischen. Hintergrund ist die Furcht Russlands nicht nur die Passage durch die Meerengen (Dardanellen und Bosporus) verwehrt zu bekommen, sondern auch im Schwarzen Meer gegenüber der türkischen Marine ins Hintertreffen zu geraten.
6. Juni
Der Chemiker Adolf von Lieben (* 3. Dezember 1836) stirbt in Wien.
21. Juni
Die Schriftstellerin und Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner (* 9. Juni 1843) stirbt in Wien.
28. Juni
Ermordung des österreichisch-ungarischen Thronfolgers Erzherzog Franz Ferdinand (* 18. Juli 1863) und seiner Gattin Sophie Herzogin von Hohenberg (* 1. März 1868) durch Gavrilo Princip in Sarajewo.
Juli – Dezember 1914
5. bis 6. Juli
Die "Mission Hoyos" bringt den erhofften außenpolitischen "Blankoscheck" von Berlin für Wien. Kaiser Wilhelm II. und die deutsche Regierung versichern Österreich-Ungarn der unbedingten und uneingeschränkten Bündnistreue, die vielzitierte "Nibelungentreue". Berlin drängt auf rasches Vorgehen gegen Serbien. Dazu fehlt aber die Einigkeit in Wien, der ungarische Ministerpräsident Tisza ist gegen ein sofortiges militräisches Vorgehen.
14. Juli
Einigung in Wien auf ein so gut wie unannehmbares Ultimatum an Belgrad. Der Diplomatie soll so genüge getan werden, die Kriegsschuld aber bei Serbien liegen. Die Übergab ist erst nach dem Staatsbesuch der französischen Regierungspitze in Russland geplant. Das Treffen soll nicht zur Abstimmung der Vorgehensweise Frankreichs und Russlands genützt werden.
20. bis 23. Juli
Französisch-russisches Regierungstreffen in Petersburg. Seit dem 17. Juli sind Russland, Frankreich, Serbien, Italien und Rumänien, teils durch Entzifferung des österreichisch-ungarischen Telegraphencodes und teils durch Indiskretionen des österreich-ungarischen Außenministers Berchtold selbst, über das geplante Ultimatum informiert.
23. Juli
Überreichung des Ultimatums an Serbien.
25. Juli
Russische Teilmobilmachung gegen Österreich-Ungarn, wofür es keinen Plan gibt. Der russische Generalstab macht auf die Unmöglichkeit der Abwandlung des Mobilmachungsplanes aufmerksam. Also eigentlich Beginn der russischen Mobilmachung. Aber auch eine Teilmobilmachung hätte die deutsche Mobilmachung ausgelöst. Serbien lehnt das Ultimatum ab und leitet Generalmobilmachung ein. Österreichisch-ungarische Teilmobilmachung für Fall "B" – Balkan.
28. Juli
Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien.
30. Juli
Russland geht von der verdeckten Mobilmachung ab und verkündet nun offiziell die Generalmobilmachung.
31. Juli
Österreich-ungarische Generalmobilmachung. Entgegen den Versprechungen von Generalstabschef Conrad geht die Überleitung von Mobilmachung Fall "B" wie Balkan, auf Mobilmachung "R" wie Russland alles andere als reibungslos vor sich. Deutsches Ultimatum an Russland, seine Mobilmachung einzustellen, und Ultimatum an Frankreich, sich neutral zu erklären.
1. August
Frankreich erklärt Generalmobilmachung.
Deutschlands Generalmobilmachung und Kriegserklärung an Russland.
2. August
Deutsches Ultimatum an Belgien für Durchmarschrechte. Neutralitätserklärung Italiens, das mit Österreich-Ungarn und Deutschland im Dreibund ist. Zwei moderne Schlachtschiffe für die Türkei, die in britischen Werften gebaut wurden, werden am Tag der Übergabe an die türkischen Besatzungen von der britischen Admiralität beschlagnahmt, obwohl sie bereits bezahlt waren. Die von Istanbul erhoffte maritime Überlegenheit über Russland kommt dadurch nicht zustande.
4. August
Kriegserklärung Großbritanniens an das Deutsche Reich. Beginn des deutschen Angriffes auf die belgische Festung Lüttich.
6. August
Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Russland.
8. August 1914
Kriegserklärung Großbritanniens an Österreich-Ungarn.
9. August
Beginn der Verschiffung der britischen Truppen über den Ärmelkanal.
10. August
Der deutsche moderne Schlachtkreuzer SMS Goeben und der Kreuzer SMS Breslau laufen in türkische Gewässer, die Dardanellen, ein. Die Schiffe werden am 16. August, mit Besatzungen, von der Türkei übernommen. Dadurch wird die Beschlagnahme zweier Schlachtschiffe für die Türkei, durch die britische Admiralität und in britischen Werften, teilweise kompensiert. Istanbul verfügt nun über das mit Abstand stärkste Kriegsschiff im Schwarzen Meer. Der unmittelbare Auslöser, warum die Türkei auf die Seite der Mittelmächte trat.
14. August
Weitere französische Offensiven im Elsass und in Lothringen.
15. August
Russische Truppen dringen in Ostpreußen ein. Der Befehlshaber der deutschen 8. Armee von Prittwitz plant den Rückzug hinter die Weichsel.
16. August
Die belgische Festung Lüttich kapituliert. Beginn der österreich-ungarischen Offenisve gegen Serbien.
17. bis 19. August
Kämpfe in Ostpreußen, Beginn der Grenzschlachten zwischen Frankreich und Deutschland. Die Offensive der k.u.k. Truppen gegen Serbien kommt nur schleppend voran.
22. August
Paul von Hindenburg übernimmt den Oberbefehl über die 8. Armee in Ostpreußen, sein Stabschef wird Erich Ludendorff. Vorstoß russischer Truppen auf österreich-ungarisches Gebiet, Beginn der Schlacht um Galizien. Bei den Grenzschlachten im Westen werden alleine an diesem Tag, nur auf französischer Seite, 27.000 Mann getötet.
23. bis 25. August
Kämpfe in Ostpreußen, Fortdauer der Grenzschlachten, erste Schlacht der britischen Truppen bei Mons, Kämpfe in Galizien und an der Balkanfront. Vorgehen der Entente gegen deutsche Kolonien.
26. August bis 2. September
Beginn der Schlacht von Tannenberg in Ostpreußen. Österreichischer Sieg bei Komarow wird durch die Niederlage bei Gnila Lipa wertlos. In der Schlacht um Lemberg müssen sich die k.u.k Truppen nach schweren Verlusten zurückziehen, Lemberg fällt am 2. September an die angreifenden Russen.
28. August
Das erste große Seegefecht des Krieges vor Helgoland endet mit einem britschen Sieg. Beginn der Belagerung der französischen Festung Maubeuge.
31. August
Auf Anordnung des Zaren wird Sankt Petersburg in Petrograd umbenannt.
2. bis 10. September
Zweite Schlacht bei Lemberg. Die Rückeroberung scheitert; die Truppen der k. u. k. Armee müssen sich bis an den Dunajec zurückziehen.
5. September bis 12. September
Schlacht an der Marne. Der deutsche Vormarsch stoppt, gefolgt von einem Rückzug auf eine besser verteidigbaren Frontverlauf.
6. bis 14. September
Serbische Offensive an der unteren Save.
8. September
Offensive der k. u. k. Armee gegen Nordwestserbien.
11. September
Serbisch-montenegrinischer Vorstoß auf Sarajewo.
12. September bis 20. September
Schlacht an der Aisne. Ende des deutschen Rückzuges nach der Marne-Schlacht, erfolglose Angriffe der französischen und britischen Truppen, die Westfront beginnt zu erstarren.
14. September bis 19. Oktober
Westfront – Wettlauf zum Meer. Gegenseitige Versuche zur Überflügelung durch Angriffe immmer weiter nördlich, bis die Kämpfe die Nordseeküste vor Ypern erreichen.
20. Oktober bis 18. November
Erste Flandernschlacht.
22. bis 26. Oktober
Schlacht bei Iwangorod (bei Warschau). Rückzug der k. u. k. Armee unter General Dankl.
Rückzug der Verbündeten auf die Linie Warthe - Krakau - Karpaten.
3. November
Selbstmord des Lyrikers Georg Trakl in Krakau. Trakl, der im September als Sanitätsoffizier an der Schlacht von Grodek teilnahm, erlitt aufgrund der schrecklichen Leiden der Verwundeten und der Grausamkeit der Schlacht einen Nervenzusammenbruch. Er wurde in ein Militärhospital in Krakau eingewiesen.
6. November
Beginn der östereichisch-ungarischen Großoffensive gegen Serbien (bis 15. Dezember)
9. November
Neuerliche Belagerung Przemysls durch russische Truppen
19. bis 25. November
Erfolgreiche Kämpfe der k. u. k. 2. Armee bei Krakau und Tschenstochau
27. November
Neuerliche Räumung von Czernowitz durch die österreich-ungarische Armee
10. Dezember
Der Laryngologe Robert Bárány erhält den Nobelpreis für Medizin
Ende Dezember
Schwere Kämpfe mit russischen Truppen in den Karpaten. Beginn der französischen Offensiven in der Champagne und im Artois.