Sommerfrische und Kuraufenthalt

Während des Sommers gehörte es „in Wien zum guten Tone (…)‚ auf das Land zu ziehen‘“, schrieb der Topograph Adolph Schmidl 1833, „um der schwülen dumpfigen Stadt zu entfliehen“. Vororte wie Grinzing, Nußdorf und Heiligenstadt im Nordwesten Wiens entwickelten sich so im 19. Jahrhundert zu beliebten Sommerfrischeorten des Adels und Bürgertums.

Beehovens häufige Wohungswechsel hingen auch mit seiner Gewohnheit zusammen, während des Sommers in die Vororte Wiens oder die nähere Umgebung wie Baden zu übersiedeln. Mehrere Male zog der Komponist in den heutigen Bezirk Döbling; etwa in die Silbergasse, wo er während seines Aufenthalts im Sommer 1815 an der Cellosonate Nr. 5 arbeitete.

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Cellosonate Nr. 5 D-Dur op. 102 Nr. 2

entstanden 1815, als Beethoven in der Silbergasse lebte

Die Zuschreibung allerdings, dass Beethoven die Dritte Symphonie in der Döblinger Hauptstraße 92 komponiert habe, stellte sich als Irrtum heraus, der auf einer falschen Datierung beruht.

Symphonie Nr. 3 in Es-Dur op. 55 – „Eroica-Haus“ ohne „Eroica“

Auch am Haus in der Probusgasse wird klar, wie schwierig sich eine zeitliche und räumliche Verortung von Beethovens Werken mitunter gestaltet. Lange Zeit galt das Haus als Entstehungsort der Zweiten Symphonie – eine Zuschreibung, die letztendlich ebenfalls auf einem Datierungsfehler beruhte.

Beethovens Aufenthalte ‚am Land‘ waren jedenfalls eng mit seiner körperlichen Verfassung verknüpft. Auf Anraten seines Arztes zog er beispielsweise nach Heiligenstadt, wo sich eine Kuranstalt mit einer Heilquelle befand. Das Wohnhaus in der Probusgasse ist vor allem auch durch das „Heiligenstädter Testament“ bekannt, das Ludwig van Beethoven 1802 in Form eines – nicht verschickten – Briefes an seine Brüder verfasste und in dem seine Verzweiflung über die fortschreitende Gehörlosigkeit deutlich wird. Nur wenige Meter von der Probusgasse entfernt liegt das Haus am Pfarrplatz, in dem Fragmente der Dritten Symphonie entstanden.

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Symphonie Nr. 3 in Es-Dur op. 55

Fragmente der „Eroica“ entstanden vermutlich, als Beethoven am Pfarrplatz lebte.

„Döbling ist ein ziemlich grosses Dorf (…), welches zur Sommerszeit größtentheils von Wienern bewohnt" wird.

Joseph von Kurzböck: Neuester wienerischer Wegweiser für Fremde und Inländer vom Jahre, 1802, S. 322.

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Symphonie Nr. 2 in D-Dur op. 36

entstanden 1800–1802, lange Zeit der Probusgasse 6 zugeordnet

„Heiligenstadt, ein von der Stadt Wien eine Stunde weit entferntes (…) altes Dorf von 62 Häusern (…) Die Luft, und das Wasser ist sehr gesund, vorzüglich ist hier ein Bad, welches Nerven stärket und Lähmungen heilet. Die Lage dieses Dorfes mitten in den Weingärten und Feldern, ist eine von dem reitzensten und angenehmsten um Wien.“

Beiträge zur Geschichte des Dorfes Heiligenstadt, 1807, S. 5.

1808 wohnten der 38-jährige Ludwig van Beethoven, der zu dieser Zeit an der Sechsten Symphonie arbeitete, und der 17-jährige Franz Grillparzer gleichzeitig in einem Ende des 18. Jahrhunderts erbauten einstöckigen Haus in der heutigen Grinzinger Straße 64. Der bäuerlich geprägte Weinbauort war zu diesem Zeitpunkt noch nicht mit Stellwägen – einem regelmäßig verkehrenden, öffentlichen Verkehrsmittel – erreichbar und daher weitgehend beschaulich.

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Symphonie Nr. 6 in F-Dur op. 68

entstanden 1808, als Beethoven auch in der Grinzinger Straße lebte

„Grinzing am Fuße der Vorberge des Kahlengebirges, auf welchen trefflicher Wein wächst. (…) jene welche den Kahlen- oder Leopoldsberg besuchen wollen, fahren von Döbling nach Heiligenstadt, von wo sich die gekrümmte Straße die erstgenannten Berge hinaufwindet.“

Joseph von Kurzböck: Neuester wienerischer Wegweiser für Fremde und Inländer, 1802, S. 322–323.

Bei einem Umzug nach Döbling bat Beethoven 1822 seinen Bruder Nikolaus Johann, den Transport seines Klaviers zu organisieren:

„beym den englischen piano muß nebst den Füßen aus der Leyer unten vermittelst eines Beißels die Schrauben gezogen werden, du brauchst wohl mehrere Menschen in dem döblinschen Loch, wegen dem Klawier, am besten würde es wohl getragen“.

Ludwig van Beethoven an Johann van Beethoven, Ende August 1822