1978–1987 Konflikt, Konfrontation und Katastrophe

1978 entschieden die Österreicherinnen und Österreicher in einer Volksabstimmung, das bereits gebaute Atomkraftwerk in Zwentendorf nicht in Betrieb zu nehmen. Der Abstimmung gingen viele Demonstrationen der Anti-AKW-Bewegung und eine erstarkende Zivilgesellschaft voraus, die auch weiterhin mit politischen Aktivitäten in der Öffentlichkeit präsent blieb. So etwa bei der Gründung des Wiener WUK oder der Besetzung der Hainburger Au, der schließlich der Einzug der Grünen ins österreichische Parlament folgte. Ein Umdenken wurde in den 1980er Jahren auch in Bezug auf Österreichs Vergangenheit in den Jahren der NS-Herrschaft in Gang gesetzt. Ausgelöst durch das Antreten von Kurt Waldheim bei der Bundespräsidentenwahl im Jahr 1986 und die Entscheidung der USA, ihn auf die Watchlist für Kriegsverbrecher zu setzen, wurden erstmals öffentlich und auf breiter Basis die Themen Schuld und Mitverantwortung der österreichischen Bevölkerung für NS-Verbrechen diskutiert. Die Jungen fragten, was ihre Väter im Krieg gesehen und getan hatten, andere wiederum waren überzeugt von der Unschuld ihrer Eltern. Im Jahr der Waldheim-Wahl ereignete sich aber noch eine ganz andere Katastrophe: der Unfall im Reaktor 4 des Kernkraftwerks Tschernobyl, dessen Auswirkungen bis nach Österreich reichten.

1978 – Hochzeit in Zwentendorf

Herbert Loitsch war Aktivist der Anti-AKW-Bewegung. Er erzählt von Ideen für die einprägsamsten Sprüche gegen die atomare Strahlung. Da die Bewegung basisdemokratisch organisiert war, war es nicht immer leicht, die Zustimmung aller für die markantesten Sprüche zu bekommen. In diesem Ausschnitt beweist die Gruppe um Herbert Loitsch abermals Kreativität. Da kurz vor der Volksabstimmung über die Inbetriebnahme des Kernkraftwerkes keine Demonstration mehr in Zwentendorf zugelassen wurde, beschlossen er und seine Freundin kurzerhand zu heiraten – in Zwentendorf. Zum Anti-AKW-Hochzeitsfest waren Tausende eingeladen. Bei der Volksabstimmung über die Inbetriebnahme des bereits über mehrere Jahre errichteten Kernkraftwerkes in Zwentendorf stimmte eine knappe Mehrheit mit „Nein“. Der amtierende Bundeskanzler Bruno Kreisky akzeptierte das Ergebnis, trat aber nicht von seinem Amt zurück, wie er es vor der Volksabstimmung angekündigt hatte und wodurch so mancheR zum Nein-Stimmen motiviert worden war. Ein Jahr danach gewann Kreisky die Wahlen mit absoluter Mehrheit.

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1978 – Herbert Loitsch erinnert sich an die Demonstrationen vor der Volksabstimmung

1979 – Die Fernsehserie „Holocaust“

Arno Gisinger beschreibt die „Malaise“ und die Betroffenheit im verrauchten Fernsehzimmer, die ein Unbehagen und eine große Unsicherheit zu Tage brachte, wie mit der elterlichen Vergangenheit während der NS-Zeit umzugehen sei. Über den Vergleich mit der Serie „Aktenzeichen XY“ thematisiert er das Sehen-Wollen, vielleicht auch die Faszination am Bösen, jedenfalls aber das Verdecken seiner Augen durch seine Mutter. Damit ist der Schutz vor dem Sehen angesprochen, aber auch die kollektive Verdrängung, die im Verdecken der Augen mitschwingt und gesellschaftlich mit der Ausstrahlung der Serie offensichtlich geworden war. Die Serie „Holocaust“ brachte im März 1979 die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit in die Wohnzimmer und evozierte Fragen an die Eltern auf einer breiten Ebene: „Auf welcher Seite standet ihr eigentlich damals?“ und „Was habt ihr gewusst?“ wurden ab nun kollektiv verhandelt und mit der sogenannten Waldheim-Affäre 1986 erneut und in einer großen Öffentlichkeit debattiert.

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1979 – Arno Gisinger erinnert sich an die US-Fernsehserie „Holocaust“, die er gemeinsam mit seinen Eltern sah

1980 – Das Dorian Gray in Bad Ischl

Thomas Rihl erzählt über das Lokal „Dorian Gray“, das in Bad Ischl zu dieser Zeit ein wichtiger Ort und nächtliches Rom war. Er beschreibt das besondere Ambiente „wie aus einer anderen Welt“, das es nur dort gegeben hatte, und spricht vom legendären Türsteher mit besonderem Spitznamen.

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1980 – Thomas Rihl erinnert sich an das Szenelokal in Bad Ischl der 1980er Jahre

1981 – Ein Leben in Wien

Dilaver Öztürk erzählt von der Zeit, als seine Mutter mit ihm und seinem Bruder die Türkei verließ, um ihrem Mann, Dilaver Öztürks Vater, der hier schon mehrere Jahre als Gastarbeiter arbeitete, nach Wien nachzufolgen. Als Fünfjähriger hatte er nicht das geringste Interesse, seine Heimat zu verlassen und weigerte sich mehrmals, mitzukommen. Seine Traurig­keit verflog aber bald und die Reise begann ihm zu gefallen. Für Dilaver Öztürk war die erste Zeit in Wien eine sehr schöne, obwohl die mehrköpfige Familie zunächst in einer ziemlich herunter­gekommenen „Männer-WG“, dann in einer zwar eigenen, aber mit 38 Quadratmetern sehr kleinen Wohnung lebte.

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1981 – Dilaver Öztürk erzählt von den Schwierigkeiten eines Kindes, ein vollkommen neues Leben anzufangen

1982 – Ton am Eis

Der gebürtige Wiener mit dem Pseudonym Clavis erinnert sich in einem lebensgeschichtlichen Interview an den Eislaufplatz am Heumarkt Anfang der 1980er Jahre. Er spricht über das Königreich des Eishockeyspielers, die dort veranstalteten Pärchentanzabende und die erfolgreiche österreichische Eiskunstläuferin Claudia Kristofics-Binder, die Anfang der 1980er Jahren hier am Heumarkt trainierte und im Jahr 1982 Europameisterin im Eiskunstlauf wurde.

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1982 – Tanzabende und Eiskunstlauf am Eislaufplatz

1983 – Die Jethose

Ein Klassiker der Skimode in den 1970er und 1980er Jahren war die hautenge Jethose mit Hosenträgern, die über dem Skischuh getragen wurde und sich neuerdings wieder in den Skimodehäusern finden lässt. Man könnte auch meinen, sie war nie weg! Roland Jähn erzählt von seiner Freude über das Weihnachtsgeschenk, mit dem er endlich gut bekleidet seine Künste auf der Skipiste zeigen konnte. 

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1983 – Roland Jähn erinnert sich an die Jethose

1985 – Die Donau friert zu

Im Februar 1985 konnten die Österreicher/innen ein seltenes Naturschauspiel beobachten, das sich seitdem nicht mehr wiederholt hat: Der Winter war derart kalt, dass nach tagelangen Temperaturen bis zu minus 30 Grad die Donau zufror und Risikofreudige zu Fuß über den Fluss spazieren konnten. Zu diesen Wagemutigen zählte auch die Mutter von Silvia Krieger.

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1985 – Silvia Krieger erinnert sich an die klirrende Kälte, die die Donau das Frieren lehrte

1986 – Tschernobyl im Labor

Katharina Lamatsch erzählt von ihrem späteren Mann, der 1986 – noch mit seiner ersten Frau verheiratet – in einem Labor im Arsenal arbeitete, wo er strahlenverseuchte Bodenproben untersuchte. Er blieb, während andere angesichts der Katastrophe den Job hinschmissen. Der Super-GAU von Tschernobyl unweit der ukrainischen Hauptstadt Kiew ereignete sich am 26. April 1986. Die radioaktive Wolke zog Richtung Westeuropa und sorgte auch in Österreich für massiv erhöhte Strahlenwerte, die teilweise noch immer messbar sind. Heute befindet sich im Arsenal ein Labor der Wiener Universität für Bodenkultur, das Bodenproben durchführt und in verschiedenen wissenschaftlichen Projekten die Folgen der Katastrophe von Tschernobyl untersucht.

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1986 – Die Katastrophe von Tschernobyl

1987 – Der Fall Waldheim

Als sich der ehemalige UN-Generalsekretär Kurt Waldheim 1986 im österreichischen Präsidentschaftswahlkampf als Kandidat der ÖVP bewarb, kamen Teile seiner Vergangenheit ans Licht, die er bis dahin in seiner Biografie, in offiziellen Lebensläufen und Fragebögen verschwiegen hatte: Er war Mitglied der Reiter-SA gewesen und hatte unter anderem in einer Heeresgruppe gedient, deren Kommandant Alexander Löhr 1947 als Kriegsverbrecher hingerichtet worden war. Kurt Waldheim wurde trotz der internationalen Debatte, die der österreichische Wahlkampf auslöste, mit knapper Mehrheit zum Präsidenten gewählt. Seine Präsidentschaft war jedoch geprägt von außenpolitischer Isolierung und der Entscheidung der USA im Jahr 1987: Waldheim wurde auf die Watchlist für mutmaßliche Kriegsverbrecher gesetzt, ihm wurde die Einreise in die USA verboten. Die Waldheim-Affäre löste ihn Österreich emotionale Debatten aus, Empörung auf der einen Seite und die Infragestellung des bisherigen Umgangs mit der eigenen NS-Vergangenheit auf der anderen. Die scheinbar alles legitimierende Aussage, man habe im Krieg nur seine Pflicht getan, hatte seine allgemeine Gültigkeit verloren.

Kuratierung, Text: Eva Hallama

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1987 – Peter Schauer erinnert sich an die Entscheidung der US-Regierung, Kurt Waldheim auf die Watchlist für mutmaßliche Kriegsverbrecher zu setzen