2008–2017 Hundert Jahre Menschenleben

Was können wir über die letzten zehn Jahre in Österreich erzählen, reichen diese doch in die Gegenwart und ist die Zeit noch im Ausverhandeln – das, was war und wie es war? Selbstverständlich markieren auch dieses Jahrzehnt prägende Ereignisse wie der Syrienkrieg, der Millionen Menschen zur Flucht nach Europa zwang und der viele Österreicher/innen zunächst zur beispielslosen Flüchtlingshilfe animierte und zu einer Politik, die bald dem Kurs der zunehmenden Grenzschließung wich. Das „Projekt Europa“ wurde erstmals auf breiter Basis infrage gestellt: Die Bevölkerung Großbritanniens entschied sich in einer Abstimmung zum gänzlichen Ausstieg aus der EU und in Österreich wurde von einer Spaltung in zwei Lager gesprochen, die in der Wahl des Bundespräsidenten und bei der letzten Nationalratswahl besonders sichtbar geworden seien. 2008 wurde aber auch das Projekt „MenschenLeben“ ins Leben gerufen, dessen Interviews hier versammelt sind, und das die Menschen in Österreich nach den Höhen und Tiefen ihres Lebens, ihrem Alltag und ihren individuellen Geschichten befragt. Aus der Sicht des Projektes ist es das Jahrzehnt des Fragens und des Rückblicks auf (zumindest) hundert Jahre Leben, eine Zeit des Erinnerns und des Blicks in die Zukunft. 

2008 – Umstrukturierung

Christine Flamond war Mitarbeiterin der Szene Wien, als diese 2008 –  bis dahin zur Wiener Stadthalle gehörig – von einem anderen Konzertbetreiber übernommen wurde. Eindrücklich schildert sie, was diese Übernahme für die damaligen Mitarbeiter/innen und für die Musikszene bedeutete. 

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2008 – Christine Flamond erinnert sich an die Übergabe der Szene Wien

2009 – Mulatság am Augartenspitz

Das „Josefinische Erlustigungskomitee“ mit der Künstlerin Raja Schwahn-Reichmann und der Verein „Freunde des Augartens“ setzten sich gegen die Verbauung des Augartens ein und demonstrierten in Form von Veranstaltungen, künstlerischen Aktionen und der Besetzung gegen die geplante Verbauung der Augartens.
Weil die Vergabe des öffentlichen Platzes an einen privaten Verein, die Wiener Sängerknaben, höchst umstritten war, fand die Bewegung auch Unterstützung durch Teile der SPÖ und der Grünen. Im Jahr 2009 fanden mehrere Konzerte unter dem Titel „Mulatság“ statt, ungarisch für „Fest der Belustigung“. Ende 2009 wurde die erste Räumung der Besetzer/innen durchgeführt, der weitere folgen sollten. Letztendlich wurde der Bau durchgesetzt und 2012 die Konzerthalle Muth der Wiener Sängerknaben eröffnet.

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2009 – Oliver Bienenstock war Teil der Besetzung des Augartenspitzes

2010 – Ein Knopfgeschäft

Elisabeth Breuer kaufte sich 2010 spontan ein Knopfgeschäft und wurde nach ihrer Abfertigung Unternehmerin. Sie hat diesen Schritt nie bereut, im Gegenteil – das Geschäft hat sie geheilt und ihr viel Lebensfreude gebracht.

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2010 – Spontaner Kauf eines kleinen Knopf- und Zubehörladens

2011 – Anruf bei Konstantin Wecker

Die Veranstalterin Katharina Steiner entschied sich nach einem Konzertbesuch bei Konstantin Wecker spontan, dessen Manager zu kontaktieren, um dem Sänger eine mögliche Zusammenarbeit mit ihrer Agentur vorzuschlagen. Sie erzählt, wie unwahrscheinlich es eigentlich war, dass sie damit Erfolg hatte, aber auch, wie erfolgreich sie damit war, dieser spontanen Idee zu folgen und den Mut zu haben, Geistesblitze einfach einmal auszuprobieren.

2011 – Über spontane Ideen, Mut und glückliche Zufälle

2012 – „Die große Chance“

Peter Wiesinger bewarb sich bei der ORF-Show „Die große Chance“, die in mehreren Staffeln besondere Talente aller Art suchte. Die Jury, bestehend aus Moderator Peter Rapp, Sängerin Zabine, der Balletttänzerin Karina Sarkissova und dem Rapper Sido, schickte ihn allerdings schon nach dem ersten Vortanzen wieder nach Hause. Peter Wiesinger ließ sich deswegen aber nicht unterkriegen: Er schmiedet schon Pläne für die nächste Staffel.

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2012 – Peter Wiesinger wollte seine Chance nützen
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2013 – Die Gleichstellungsbeauftragte der Universität Graz spricht über die zwei Seiten dieser Funktion

2013 – Gleichstellung als Feigenblatt

Ilse Wieser arbeitet an der Universität Graz in der Koordinationsstelle für Geschlechterstudien und Gleichstellung. Sie spricht über ein schwer zu überwindendes Paradoxon solcher Einrichtungen: Sie repräsentieren ungewollt die Fortschrittlichkeit der Institution, an der sie arbeiten. Gleichstellungseinrichtungen sind wie Aushängeschilder für Gleichberechtigung, während sie selbst vielmehr an der Sichtbarmachung von Ungleichheiten interessiert sind. Auf der anderen Seite wird es ihnen nicht gerade leicht gemacht, das institutionalisierte Patriarchat tatsächlich in seinen Strukturen zu ändern, um echte Gleichstellung und ein gutes Leben für alle Geschlechter zu schaffen.

2014 – Vom Schlaf und vom Alter

Zum Zeitpunkt des Interviews war Ilse Oberhuber 92 Jahre alt und nach wie vor Inhaberin des größten Bürsten- und Korbfachgeschäftes Europas. Sie spricht vom Alter, das sie gar nicht kommen sehen hat, von der Vermeidung des Doktors – wenn möglich – und von ihren Schlafgewohnheiten, die möglicherweise nicht ganz unschuldig sind an ihrer guten Konstitution.

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2014 – Ilse Oberhuber merkte das Altwerden gar nicht

2015 – Flüchtlingshilfe am Westbahnhof

Sylvia K. ist ihrem eigenen Unbehagen über die Ankunft der vielen Flüchtlinge in Österreich im Jahr 2015 begegnet, indem sie sich mit denjenigen, die ihr Angst machten, konfrontierte. Sie entschied sich dazu, am Westbahnhof zu helfen, wo die meisten Flüchtenden ankamen und mit Wasser, Essen und Kleidung erstversorgt wurden. Danach war sie in einem Flüchtlingsnotquartier tätig und erzählt von der emotionalen Belastung dieser Arbeit. 

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2015 – Sylvia K. spricht über ihre Konfrontation mit traumatisierten Menschen

2016 – Die weiteren Aussichten

Während für Manfred Schindler der wirtschaftliche Aufschwung, die Möglich­keit, Arbeit zu finden, Friede in Öster­reich und in Europa Fixpunkte seines Lebens waren, ist heute – in den Tagen nach „Brexit“ – eingetreten, was man nicht für möglich gehalten hätte. Der Volksent­scheid am 23. Juni 2016, bei dem die britische Bevölkerung mit einer knappen Mehrheit dafür stimmte, aus der EU auszutreten, stellte für viele Europäer/innen den Beginn eines drohenden Zerfalls und die offensichtlich gewordene Krise der Europäischen Union dar.

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2016 – Über den „Brexit“ und die (Un-)Möglichkeiten Europas

Kuratierung, Text: Eva Hallama

2017 – Und danach?

Nicht alle, aber doch viele Interviewpartner/innen aus dem Projekt MenschenLeben hatten zum Zeitpunkt des Interviews ein schon langes Leben hinter sich. Die Konfrontation mit dem einen großen Erlebnis, das jedem von ihnen – und auch jedem von uns – noch bevorstand und -steht, war manchmal spürbar, manchmal direkt angesprochen, manchmal wurde sie vermieden oder gar nicht in Erwägung gezogen. Hans Fritz dachte bei seinem Interviewtermin darüber nach, wie es sich anfühlen könnte, wenn man stirbt. Allzu große Angst hat er davor nicht, aber den einen oder anderen Wunsch hat er schon an den Tod.

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2017 – Hans Fritz denkt darüber nach, wie es sein könnte, wenn man stirbt

Wir danken allen Interviewpartner/innen, die hier vertreten sind, aber auch jenen, die wir hier nicht präsentieren konnten, für Ihr Vertrauen, Ihre Zeit und Ihre Geschichten der letzten 100 Jahre! 
Haben Sie Fragen oder Anregungen zum Projekt MenschenLeben oder möchten Sie Ihre Lebensgeschichte aufzeichnen lassen, dann nehmen Sie bitte mit dem Projektteam Verbindung auf:

Büro Wien:
Mag. Isabelle Engels
c/o Österreichische Mediathek
Webgasse 2a, 1060 Wien
Tel: 01/5973669-7160