Das Ende des Kalten Krieges – Der Zerfall der UdSSR

So wie Chrustschow vor ihm lockerte auch Gorbatschow die „eisernen Bande“, die ihn und die KPdSU scheinbar daran hinderten Glasnost und Perestrojika umzusetzen. In Wahrheit waren diese Fesseln alles, was die UdSSR und den ganzen Ostblock noch zusammenhielt.

Von Anton Hubauer

9. Die Ereignisse

Die Fakten neben den Personen

Eine inhaltliche Analyse des Kalten Krieges in den Ö1‑Mittagsjournalsendungen stößt rasch an die Grenzen des Sinnvollen. Der Kalte Krieg war ein zu umfassendes Thema, als dass es in einige wenige leicht zu vergleichende Beitragsgruppen gegliedert werden könnte. Beiträge dazu finden sich im Kunst- und Kulturbereich ebenso wie beim Sport. Die Palette der Berichterstattung reicht von der Dissidenten-Verfolgung in der UdSSR, über die Politik der US-Präsidenten gegenüber der Dritten Welt bis zur großen Weltpolitik und Diplomatie bei Gipfeltreffen. Insgesamt gibt es zur UdSSR 1.881 Beiträge in den digitalisierten Ö1‑Journalsendungen des Zeitraums vom 1. Jänner 1979 bis zum 31. Dezember 1989, zur USA sogar 2.537. 4.418 Beiträge, die aber sämtliche Aspekte der Berichterstattung umfassen, also erst einer tiefgehenden, den Rahmen dieser Untersuchung bei weitem sprengenden Analyse bedürfen, um eine mögliche Vorhersehbarkeit des Endes des Kalten Krieges aufzuzeigen. Die Beitragsdichte ist dabei so groß, dass die unten getroffene Auswahl von Ö1‑Journalbeiträgen keinerlei Anspruch auf einen repräsentativen Querschnitt der Berichterstattung erhebt, sie sollte lediglich anhand einiger Beispiele zum besseren Verständnis der Vorgänge dienen.

Beginnend mit dem NATO-Doppelbeschluss (Audioquelle 29: Mittagsjournal, JM‑791213: 6. Beitrag; Steinweg 1980: 40), dem sowjetischen Einmarsch in Afghanistan und dem daraus resultierenden Krieg, dem wechselseitigen Olympiaboykott der Spiele 1980 in Moskau (Audioquelle 30: Mittagsjournal, JM‑800121: 4. Beitrag) und der Spiele 1984 in Los Angeles (Audioquelle 31: Mittagsjournal, JM‑840509: 3.–4. Beitrag), den Ereignissen in Polen rund um die Solidarnosc 1980 und der Verhängung des Kriegsrechts im Dezember 1981 (Fowkes 1994: 170–182), den Abschuss des KAL-Fluges-007 1983 (Angermann 1995: 489), der NATO-Nachrüstung und der Friedensbewegung in Westeuropa als Antwort aus der Bevölkerung darauf in der Mitte der 80er Jahre (Connell 1987: 197ff.; Thränhardt 1996: 290ff.), dem SDI-Weltraumrüstungsprogramm 1983, dem Umgang der UdSSR mit Regimekritikern, der US-Politik in Mittel- und Südamerika, lässt sich eine lange Reihe von Ereignissen erstellen, die allesamt den Kalten Krieg näher an einen heißen Krieg brachten.

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Audioquelle 29: Mittagsjournal 13.12.1979 - NATO-Doppelbeschluß
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Audioquelle 30: Mittagsjournal 21.01.1980 - Olympia-Boykott Moskau 1980
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Audioquelle 31: Mittagsjournal 09.05.1984 - Olympiaboykottaufruf für Los Angeles 1984

10. Dem Ende entgegen

Die UdSSR vor und nach Tschernobyl

Die Verschärfung der Stimmungslage zwischen den Machtblöcken hielt bis zum Erscheinen von Gorbatschow auf der politischen Bühne an, aber auch danach war die Außenpolitik der UdSSR nicht nur vom Geist von Perestroika und Glasnost durchdrungen. Bezeichnend dafür ist wohl der TASS-Kommentar als Reaktion zur Wahl von Kurt Waldheim zum österreichischen Bundespräsidenten (Audioquelle 32: Mittagsjournal, JM‑860609: 11. Beitrag). Generell haben die Auswirkungen von Perestroika und Glasnost auf die Politik, die Wirtschaft, das Leben und den Alltag in den kommunistischen Staaten, weniger Spuren in der Berichterstattung hinterlassen, als man erwarten würde. Die Reaktor-Katastrophe von Tschernobyl dagegen fand in der Berichterstattung ein breites Medienecho. Durch die grenzüberschreitenden Folgen und die Schwere dieses Super-GAUs erklärt sich das große und anhaltende Medieninteresse. Der Umgang der sowjetischen Stellen, auch der Medien, mit der Katastrophe zeigte noch keine Auswirkungen der Reformen auf den Apparat, sollte es doch 1 ½ Wochen dauern, bis sowjetische Zeitungen ihr Schweigen zum Reaktor-Unfall brachen (Audioquelle 33: Mittagsjournal, JM‑860506: 3. Beitrag).

Glasnost und Perestroika brachten zuwenig greifbare Verbesserungen im Leben der Bevölkerung, sie eröffneten aber die Möglichkeit die wachsende Unzufriedenheit mit diesem Leben unter Hammer und Sichel zu artikulieren. Ein echtes Anzeichen für das baldige Ende der UdSSR fand im Sommer 1989 nur einen sehr bescheidenen Widerhall in der Berichterstattung der Ö1‑Journale, die Bergarbeiterstreiks in der UdSSR (Audioquelle 34: Mittagsjournal, JM‑890718: 12. Beitrag). Die von Kohlestaub geschwärzten Gesichter der Arbeiterelite der UdSSR sagten mehr über die innere Verfassung des Landes aus als alle ihre Forderungen, denn die Kumpel bekamen nicht einmal mehr Seife, um sich zu waschen (Hildermeier 1998: 1042ff.). Streiks hatten schon einmal den Zusammenbruch eines russischen Reiches ausgelöst, doch dachte 1989 wohl niemand in der KPdSU, dass der UdSSR ein Schicksal drohen könnte, wie es die Bolschewiki dem Zaren hatten angedeihen lassen, nämlich die Auslöschung. Die wachsende Unzufriedenheit war aber nur zum Teil durch die schlechte Wirtschaftslage bedingt. Die kommunistischen Regierungen der Staaten Osteuropas und einer Reihe von Sowjetrepubliken selbst, sahen sich nicht nur mit der wirtschaftlichen Misere konfrontiert, ein vom Sozialismus längst überwunden geglaubtes Gespenst, der Nationalismus, erhob sich wieder. Hier sollten die Reformen Gorbatschows und sein Abgehen von der Breschnew-Doktrin die unmittelbarsten Folgen haben, denn im Jahre 1989 kam mit Ausnahme der DDR praktisch das Ende aller osteuropäischen Volksdemokratien, und auch die DDR sollte nicht mehr lange bestehen.

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Audioquelle 32: Mittagsjournal 09.06.1986 - Moskaus Reaktion auf Waldheims Wahlsieg
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Audioquelle 33: Mittagsjournal 06.05.1986 - Erste Reaktionen aus der UdSSR
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Audioquelle 34: Mittagsjournal 18.07.1989 - Streiks in der UdSSR

11. Der Fall der Berliner Mauer – Das Ende des Ostblocks – 1. Teil

Als die Ereignisse die Politik überrollten

Polen und Ungarn bildeten eine Art von Avantgarde, fanden doch dort schon freie Wahlen oder Vorbereitungen dazu statt (Audioquelle 35: Mittagsjournal, JM‑890606: 10. Beitrag; Audioquelle 36: Mittagsjournal, JM‑890613: 8. Beitrag; Mommsen 1992: 47–67, 96–117). Der Verdacht von gefälschten Wahlergebnissen, bei Kommunalwahlen im Mai 1989, mit daraus resultierenden Demonstrationen, bildeten eine Art von Auftakt für das Ende der DDR (Audioquelle 37: Mittagsjournal, JM‑890508: 7. Beitrag). Der nächste Schritt wurde durch den Abbau des Eisernen Vorhanges an der österreichisch-ungarischen Grenze ermöglicht (Audioquelle 38: Mittagsjournal, JM‑890502: 5. Beitrag). Im Sommer dieses Jahres setzte ein Flüchtlingsstrom von Bürgern der DDR über Ungarn, aber auch über die Botschaft der BRD in Prag in den Westen, in die BRD ein. Versuche von Seiten der DDR, die Grenze zur ČSSR zu schließen, führten zu heftigen Auseinandersetzungen und zu neuerlichen Demonstrationen im Land gegen den alleinigen Führungsanspruch der SED. Die 40-Jahrfeier der DDR hatte den makaberen Flair einer pompösen Beerdigung des Arbeiter- und Bauernstaates. Die Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität war schließlich so groß, dass Erich Honecker als Staatsratsvorsitzender am 18. Oktober 1989 zurücktrat (Staritz 1996: 356–369). Mit dem Fall der Mauer und der Öffnung der Grenzen war der Weg frei für die kommende deutsche Wiedervereinigung (Audioquelle 39: Abendjournal, JA-891222: 7. Beitrag).

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Audioquelle 35: Mittagsjournal 06.06.1989 - Wahlen in Polen
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Audioquelle 36: Mittagsjournal 13.06.1989 - Wahlen in Ungarn
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Audioquelle 37: Mittagsjournal 08.05.1989 - Proteste in DDR nach Wahlbetrug
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Audioquelle 38: Mittagsjournal 02.05.1989 - Abbau des Eisernen Vorhanges
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Audioquelle 39: Abendjournal 22.12.1989 - Öffnung des Brandenburger Tores

12. Der Fall der Berliner Mauer – Das Ende des Ostblocks – 2. Teil

Als die Ereignisse die Politik überrollten

In der ČSSR fand die doch nicht so „samtene Revolution“ des November und Dezember 1989 statt (Audioquelle 40: Mittagsjournal, JM‑891118: 3. Beitrag; Mommsen 1992: 77–95). Samtene Ironie der Geschichte dagegen war der erste Ö1-Journal-Beitrag zur ČSSR in diesem Jahr über die abermalige Verhaftung von Václav Havel am 10. Jänner 1989 und der letzte Beitrag zur ČSSR am 29. Dezember 1989 anlässlich seiner Wahl zum Staatspräsidenten (Audioquelle 41: Mittagsjournal, JM‑890110: 6. Beitrag; Audioquelle 42, Abendjournal, JA‑891229: 1. Beitrag). In Bulgarien kündigte am 18. November 1989 der neue Staatschef Petar Mladenow, der Nachfolger von Todor Schiwkow, freie Wahlen an (Audioquelle 43, Mittagsjournal, JM‑891118: 5. Beitrag). Lediglich in Rumänien und in Teilen der UdSSR verlief das Ende des Kalten Krieges blutig, zum Teil sehr blutig (Audioquelle 44, Mittagsjournal, JM‑891227: 3. Beitrag; Mommsen 1992: 143–166; Simon 1993: 126–187).

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Audioquelle 40: Mittagsjournal 18.11.1989 - Polizei gegen Studenten in Prag
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Audioquelle 41: Mittagsjournal 10.01.1989 - Havel verhaftet
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Audioquelle 42: Abendjournal 29.12.1989 - Havel neuer CSSR Präsident
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Audioquelle 43: Mittagsjournal 18.11.1989 - Wahlen in Bulgarien angekündigt
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Audioquelle 44: Mittagsjournal 27.12.1989 - Rumänien - Ceaucesuc wurde hingerichtet