Ethnologie, Film und Wissenschaft - Anmerkungen zur Geschichte des ethnografischen Films

Werner Petermann zufolge bedarf es vor „einer Geschichte des Films“ einer „(Kultur-)Geschichte des Sehens“. Dies würde uns die „Vor-Geschichte“, in welcher wir Ansichten und Anschauungen entwickelt haben bzw. von solchen beeinflusst wurden, erklären und uns helfen, ein soeben gemachtes Bild besser zu verstehen. Existierte eine „Vor-Geschichte“, hätten wir eine Erklärung darin, warum wir etwas abbilden, oder wie wir dies tun. Kurzum es existiert bereits eine „Vor-Auswahl“ des Motivs, noch bevor wir darauf gestoßen sind. (vgl. Petermann 1984:19)
Historisch kann die Geschichte des ethnografischen Films bis zum Ende des 19. Jahrhunderts zurückverfolgt werden. Innerhalb dieses Filmgenres entwickelten sich mehrere Filmtypen, welche sich ebenfalls stilistisch unterschieden und welche auch theoretisch reflektiert wurden. Beginnend mit einer Darstellung der historischen Entwicklung des ethnografischen Films soll kursorisch gezeigt werden, wie unterschiedlich dieser zu verschiedenen Zeiten als Medium und Methode eingesetzt wurde bzw. auf einige daraus folgende theoretischen Fragestellungen in Bezug auf den wissenschaftlichen Charakter sowie auf den dokumentarischen Gehalts dieser Filmproduktionen eingegangen werden. Schwerpunkte werden – neben der Betrachtung des Einflusses technischer Entwicklungen, die die Produktion ethnologischer Filmdokumente beeinflussten und einigen formalen Überlegungen zur Theorie des Dokumentarfilms im Allgemeinen – auch auf die Filmproduktionen des Österreichischen Bundesinstituts für den wissenschaftlichen Film (ÖWF) und deren wissenschaftshistorischer Verortung gelegt. 

Historische Eckdaten zur Entstehung des ethnografischen Films

Die Entstehung des Wissenschaftsfilms und des ethnografischen Films sind eng mit der Wissenschaftsgeschichte der Ethnologie (aktuell im deutschsprachigen Raum auch Kultur- und Sozialanthropologie, früher Volks- bzw. Völkerkunde) verbunden. Erste Versuche einer Verknüpfung von Film und ethnologischer Wissenschaft können bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts verortet werden.

Den ersten Kontakt zwischen Film und Ethnologie knüpfte Félix-Louis Regnault, ein französischer Arzt, im Jahre 1895. Er erfasste im ergologischen Sinne einen Arbeitsprozess, indem er eine töpfernde Wolof-Frau auf der Exposition Ethnographique de l'Afrique Occidentale in Paris filmte. (vgl. Lüem und Galizia 1987:25f) Regnaults nachfolgende Filme widmeten sich den interkulturellen Formen der Bewegung. Nicht nur in Regnaults Bewegungsstudien sondern auch in seinen Überlegungen zum wissenschaftlichen Film fanden sich Anhaltspunkte, die sich Jahre später in der Methodik des in Göttingen gegründeten Instituts für den wissenschaftlichen Film (IWF) wiederfanden. Er selbst interessierte sich bereits 1888 für Anthropologie und den Film, als Étienne-Jules Marey, der Erfinder der Chronofotografie, seine neue Kamera an der französischen Académie des sciences demonstrierte. Regnault sah in der Filmkamera bereits ein wissenschaftliches Instrument, das der Soziologie und Ethnologie zu „Exaktheit“ verhelfen könne. (vgl. Petermann 1984:21)

Eine bewusste Mitnahme einer Filmkamera erfolgte bereits auf der von Alfred Cort Haddon geleiteten Anthropologischen Expedition der Universität Cambridge 1898 zu den Torres-Strait-Inseln nördlich von Australien. Beeinflusst von Haddon, entschloss sich der australische Ethnologe Walter Baldwin Spencer, bei seiner Expedition nach Zentral- und Nordaustralien ebenfalls Filme aufzunehmen. Insgesamt wurden zwischen 3. April und 11. Mai 1901 15 Rollen à 3 Minuten aufgezeichnet. Die erste Rolle zeigt eine Regenzeremonie der Aranda. Spencers Filmmaterial galt Jahrzehnte lang als verschollen, bis es Mitte der 1960er Jahre im Melbourne Museum wiederentdeckt und konserviert wurde. (vgl. Petermann 1984:22)

Obwohl Haddon und Spencer große Hoffnungen in die Filmaufnahme setzten, konnte sich der Film als wissenschaftliche Feldforschungsmethode noch nicht durchsetzen. (vgl. MacDougall 1978:405) Zwar wurde die Kamera zu dokumentarischen Zwecken mitgenommen und eingesetzt – man war sich also der Möglichkeiten dieses Mediums bewusst – allerdings wurden diesbezüglich keine weiterführenden methodischen Überlegungen angestellt.

Die Resultate dieser Forschungsreisen inspirierten in weiterer Folge auch Rudolf Pöch, den Gründer des Institutes für Anthropologie und Ethnographie an der Universität Wien, eine Film- und eine stereoskopische Kamera auf seine von 1904 bis 1907 durchgeführten Forschungsreisen nach Neu Guinea und ins süd-westliche Afrika mitzunehmen. (vgl. De Brigard 2003:16)
Die dabei entstandenen Film- und Tondokumente wurden 1984 am ÖWF entdeckt und zusammen mit dem Österreichischen Phonogrammarchiv und dem Institut für Schallforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften bearbeitet und als wissenschaftliches Filmdokument neu herausgegeben. (vgl. Hermann 1985:7)

Robert J. Flaherty schuf mit „Nanook of the North“ ein bedeutendes Filmdokument der frühen 1920er Jahre. Lüem und Galizia bezeichnen diesen Moment der Filmgeschichte als „Geburtstunde des Ethno-Film und angenommene erste Anwendung einer Reihe von Grundprinzipien“. (Lüem und Galizia 1984:24) Flahertys Filmdreh gingen ein Feldaufenthalt sowie lange Vorstudien voraus. Ausgehend von seinem Vorhaben, die Inuit so darzustellen, wie sie sich selbst sehen, entwickelte Flaherty eine Feedback-Methode, bei der er sich nach jedem Drehtag mit seinen Akteur/innen traf und das Gefilmte besprach. (vgl. Christolova 2011:57)
Im Gegensatz zu dem in den 1910er Jahren entstandenen Genre des ethnografischen Spielfilmes, welches eine fiktive Handlung in einem „exotischen“ Umfeld mit authentischen Elementen verband, traten die Protagonisten in Flahertys Film als Individuen in Erscheinung. Flaherty verliess mit diesem Film den bis dato vorherrschenden distanzierten Blick von Filmemachern auf „exotische“ Gesellschaften und kreierte eine (ebenfalls fiktive) Dokumentation des Lebens der Inuit.

Ein Beispiel für den fiktionalen Charakter ist etwa, dass Nanook, die Hauptfigur, auf Flahertys Wunsch hin mit einem Speer, der längst nicht mehr verwendet wurde, anstelle des üblichen Gewehrs auf die Jagd ging und im Film selbst keinerlei Verweis auf diesen Sachverhalt existiert. (vgl. Hohenberger 1988:37)
Bereits in den 1920er Jahren wurde auch das Genre des Hochschullehrfilms entwickelt. Dieser wurde vor allem von Universitäten und Museen verwendet (vgl. Petermann 1984:35 und De Brigard 2003:20).
Hierbei war es vor allem die Ethnologie bzw. Völkerkunde, die eine Vorreiterrolle im wissenschaftlichen Filmschaffen einnahm. Es sind dabei zwei zeittypische Vorgehensweisen zu beobachten: einzelne Tätigkeiten abzubilden (zum Beispiel handwerkliche Arbeiten) und eine filmische Bestandsaufnahme einer Kultur zu versuchen. (vgl. Petermann 1984:35) Während die Ethnologie hier bereits auf Erfahrungen in der wissenschaftlichen Arbeit mit dem Medium Film zurückblicken konnte, befand sich die Volkskunde in diesem Bereich in ihrer Anfangsphase.

In Österreich wurden die ersten mikrokinematografischen Aufnahmen um 1920 durch Otto Storch produziert. Ungefähr zwei Jahre später entstanden am Universitätsinstitut für Orthopädische Chirurgie bei Adolf Lorenz in Wien erste medizinische Filme. (vgl. Hermann In ZWF 1985:7)

Mitte der 1920er Jahre wurde der Tonfilm entwickelt. Das führte dazu, dass auch gesprochener Kommentar für Filme verwendet werden konnte. (De Brigard 2003:22)
Zusammenfassend schildert Emilie de Brigard die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg und die Zwischenkriegszeit folgendermaßen „The generation before World War I was a time of innovation; the period between the wars was a time of popularization.“ (De Brigard 2003:20)
Während die Filmproduktion bis 1930 nur relativ schleppend voran ging – Filmmaterial war teuer und nur professionelle Handhabung garantierte den gewünschten Erfolg – änderte sich dies durch gezielte Finanzierung durch das nationalsozialistische Regime in Deutschland. (vgl. Dehnert 1994:41f)

Im methodischen Kontext der Feldforschung führte der Film nach wie vor ein Schattendasein. Durch die beiden US-Anthropologen Margaret Mead und Gregory Bateson erfolgte in den 1930er Jahren erstmals eine konkrete wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Anwendung des Mediums Film. Mead und Bateson benutzten während ihres Aufenthalts von 1936 bis 1939 in Bali und Neuguinea Fotografie und Film in einem bislang unüblichen Maß. Ziel war es, „[...] visuelle Bewegung und holistische Beziehungsstrukturen in komplexen Szenen vorzuführen, die viel besser filmisch dargestellt als mit bloßen Worten beschrieben werden konnten.“ (Heider 1976:29) Emile de Brigard schreibt, dass bis zu Mead und Batesons Arbeiten die ethnografischen Filme „[…] though intrinsically valuable, were not original in conception. What was new was the spread of film in anthropological teaching, fostered by museums and universities.” (De Brigard 2003:22)

In Deutschland hatte die Machtübernahme der NSDAP auch starke Auswirkungen auf die wissenschaftliche Filmtätigkeit, die stark für Propagandazwecke vereinnahmt wurde. Die thematische Ausrichtung der Filme stand in engem Zusammenhang mit der nationalsozialistischen Ideologie, wobei hier die Volkskunde eine besondere Rolle einnahm und mit der filmischen Dokumentation von deutschen Volksbräuchen ihren Teil zur „wissenschaftlichen“ Legitimation der NS-Ideologie beitrug. (vgl. Husmann 2007:385f).

In Bezug auf die Sammlung des ÖWF sind in diesem Zusammenhang die Aufnahmen von Richard Wolfram zu erwähnen, der als außerordentlicher Universitätsprofessor für „germanisch-deutsche Volkskunde“ an der Universität Wien und wesentliches Mitglied der „Kulturkommission Südtirol“, die sich mit der Umsiedlung der Südtiroler/innen in das Großdeutsche Reich befasste, in den Jahren 1940 und 1941 auch volkskundliche Filme in Südtirol drehte. Diese Filme wurden als historischer Filmbestand – wie auch die ethnografischen Filme von Rudolf Pöch, die medizinischen Filmbeiträge von Adolf Lorenz oder die mikrokinematografischen Aufnahmen von Otto Storch – ebenfalls in kommentierter Form in die Sammlung des ÖWF aufgenommen.

Volkskunde in der NS-Zeit
Filme von Richard Wolfram im historischen Bestand des ÖWF

Bedingt durch technische Neuerungen wuchs die Anzahl der Filmproduktionen in den 1950er Jahren beträchtlich. Grund dafür waren leichtere, tragbare Kameras sowie die zunehmende Verwendung von Synchronton. (vgl. Friedrich 1984:9) Werner Petermann hierzu: „Die neugewonnene Beweglichkeit erlaubte spontanes Reagieren und ungeahnte filmische Operationen. Zudem war die neue Technik relativ billig.“ (Petermann 1984:48) Neben den technischen Erleichterungen kam es Ende der 1960er Jahre zur Entdeckung des „seriösen ethnographischen Films“ durch das Fernsehen. (vgl. Petermann 1984:50), wodurch der Bedarf an ethnografischem Filmmaterial weiter stieg.

Während Bateson und Mead Feldforschung in Bali betrieben, war es Jean Rouch in Paris, der Vorlesungen von Marcel Mauss und Marcel Griaule besuchte und sein Interesse am ethnografischen Film entdeckte. (De Brigard 2003:27f) Rouch nutzte die technischen Neuerungen geschickt und etablierte durch seine partizipative Kamera das Cinéma Vérité. Dieser Ansatz versucht, eine authentischere Annäherung an die „Wirklichkeit“ zu finden, indem er die Interaktion zwischen Filmemacher/in und gefilmten Personen in den Vordergrund stellt. Rouch erkannte in der Kamera nicht nur ein passives Aufnahmegerät, sondern ein aktives Forschungsmittel.

Neben Jean Rouch etablierten sich John Marshall und Robert Gardner als bedeutende ethnografische Filmemacher der 1950er und 1960er. Die Zeit, in der Paul Hockings „a critical new development that has opened up vast new audiences for this type of film” verortet, ist charakteristisch für zwei Entwicklungen. Private Fernsehsender produzierten nun ebenfalls ethnografische Filme, die auch in Zusammenarbeit mit Anthropolog/innen und Dokumentarfilmer/innen entstanden. Die zweite Entwicklung resultierte aus dem Bewusstsein, dass der ethnografische Film in der wissenschaftlichen Arbeit durchaus auch eine Quellenfunktion hat. Während sich ein wissenschaftlicher Diskurs über den ethnografischen Film entwickelte und Literatur darüber produziert wurde, wurden gleichzeitig auch anthropologische Filmarchive entwickelt. (vgl. Hockings 2003:510f)

Die bereits geschilderte „neue Beweglichkeit“ brachte Ende der 1950er Jahre auch das „cinema direct“ als Form des Dokumentarfilms hervor. Rouch hierzu „[…] so kam mit dem Zweiten Weltkrieg der Tod ins Bild, mit dem cinema direct das Familien- und Sexualleben, kurz, das Repertoire des dokumentarisch Wahrscheinlichen hat sich zunehmend vergrößert, und damit ist die Möglichkeit, einen dokumentarischen von einem fiktionalen Film anhand der dargestellten Inhalte unterscheiden zu können, zunehmend geringer geworden.“ (Hohenberger 1988:36)  

Ziel des cinema direct war es, nicht mehr bloß über das Reale zu sprechen, sondern dem Realen eine Stimme zu geben. Der Hauptteil der Veränderung geschah im cinema direct durch den Ton selbst. Musik oder gesprochene Kommentare wurden weggelassen und durch den Originalton, Geräusche oder durch Interview-Passagen ersetzt. Die Verwendung von Originalton hatte auch Folgen für die Schnitttechnik und in weiterer Folge für die Struktur der Filme.

Während das cinema direct seine Hochphase erlebte, entwickelte sich im angelsächsischen Raum der wissenschaftliche Zweig der visuellen Anthropologie, der eine theoretische Auseinandersetzung mit visuellen Medien zum Ziel hatte und Fachinhalte sowie Methoden der Ethnologie und benachbarter Sozial-und Kulturwissenschaften verwendete und zusammenfasste. 

Visuelle Anthropologie

Die visuelle Anthropologie beschäftigt sich seit den 1970er Jahren mit der Erforschung unterschiedlicher visueller Repräsentationen, der Reflexion medialer und bildhafter Kommunikation, aber auch mit der audiovisuellen Dokumentation verschiedener kultureller oder sozialer Praktiken. Unter diese visuellen Kulturrepräsentationen fallen im Prinzip alle Bildträger (Bilder, Film, Fotografie, Videotechniken, Fernsehen, neue Medien etc.).
Jay Ruby, einer der bedeutendsten Theoretiker der visuellen Anthropologie, skizziert in seinem Artikel „The last 20 years of visual anthropology – a critical review“ (Ruby 2005) einige Überlegungen zur visuellen Anthropologie und den Zusammenhang zum ethnografischen Film; sie sollen hier kurz reflektiert werden, um einige der Grundprinzipien der visuellen Anthropologie aufzuzeigen:

  • Visual anthropology as ethnographic film

International betrachtet, verbreitete sich der ethnografische Film in den 1980er und 1990er-Jahren rasant. Als möglichen Grund für diese Entwicklung nennt Jay Ruby den Unterrichtsfilm. Ruby hierzu: „The growing interest in ethnographic Film was part of a larger development over the past half-century of the general use of audiovisual (AV) aid for teaching. Universities established film libraries and AV departments […].” Neben der Etablierung des ethnografischen Films an Universitäten wurden zahlreiche ethnografische Filmfestivals eingerichtet. Ruby zufolge wurde der Begriff „ethnografisch“ in dieser Zeit sehr breit und auf eine altmodische Art und Weise verwendet. „[…] most of these screenings include virtually any social documentary presenting an empathetic portrait of some aspect of a culture, with portrayals of the »exotic other« more common than mainstream Western culture.“ (Ruby 2005:161)
Neben dem Fehlen einer theoretischen Diskussionsbasis für den ethnografischen Film war es mitunter die Dominanz des Fernsehens, die den ethnografischen Film in die Richtung des Genres des Dokumentarfilms drängte. Lipp und Kleinert, die sich im Bereich der „Visual anthropology as ethnographic film“ mit der Frage beschäftigen, welche methodischen Unterschiede in den Endprodukten filmender Ethnolog/innen oder ethnografierender Filmer/innen festzustellen sind und auf welche Art sich deren Filme differenzieren, schreiben dazu: „Welche Form ein Film zu haben hat, bemisst sich dabei – in aller Regel – nicht nach dem Stoff oder der Haltung des Autors, sondern nach dem Sendeplatz, für den er produziert wird.“ (Lipp und Kleinert 2011:18) Auch Ruby kritisiert diese Entwicklung wie folgt: „Ethnographic filmmakers appear to be primarily concerned with meeting the conventions of documentary film, and only secondarily, if at all, concerned with meeting the scientific requirements of ethnography.” (Ruby 1975:108 und Ruby 2005:161f)
Beate Engelbrecht schreibt dazu: „Die Machart des Films richtet sich u. a. danach, welches Zielpublikum der Filmemacher im Auge gehabt hat. Sehr oft haben die Ethnologen sowohl Forschung als auch Lehre als Zielpublikum vor Augen, und letztlich wollen die meisten einen ethnographischen Film machen, um an ein größeres Publikum außerhalb des wissenschaftlichen Rahmens zu gelangen.“ (Engelbrecht 1995: 174) 
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass in der Geschichte des ethnografischen Films viele Ansprüche an ihn gestellt wurden. Das „ethnografische“ eines Films lässt sich jedoch weder an seinem Gegenstand, noch an seiner narrativen Form, noch an seiner Wirkung auf die Zuschauer festmachen. „Eine Ethnologie mit audiovisuellen Mitteln muss immer aufs Neue Ausdrucksformen schaffen, die ethnographisches Denken reflektieren. Die ethnologische Epistemologie bestimmt die Gesamtheit des Produktionsprozesses, kann dabei aber in durchaus unterschiedlichen Formen auftreten.“ (Lipp und Kleinert 2011:21)
Ähnlich wie Lipp und Kleinert fordert auch Ruby dazu auf, unterschiedliche Ansätze in die Produktion von ethnografischen Filmen einfließen zu lassen. Dabei nicht irrelevant ist seiner Meinung nach der Einfluss der digitalen Technologie, die dazu verwendet werden sollte, anthropologische Inhalte zu transportieren. (Ruby 2005:162)

  • Cultural study of pictorial media

Während viele Autor/innen das Fehlen einer Auseinandersetzung der Anthropologie mit dem ethnografischen Film oder Video sowohl in der Produktion als auch seiner Verwendung beklagen, etablierte sich die Anthropologie der Bildmedien („anthropology of pictorial media“) als akzeptierte Forschungsmethode. Interessant in dieser Entwicklung ist, dass die Analyse der sozialen Verwendung von Bildern, egal ob es sich dabei um zeitgenössische oder historische Bilder handelt, als Methode der Anthropologie en vogue zu sein scheint, während Fotografie als Forschungsmethode bzw. Technik kaum verwendet wird. (vgl. Ruby 2005:163) Dabei erfolgte innerhalb der Anthropologie der Bildmedien eine Zweiteilung der Forschungstypen: Während sich eine Forschungsrichtung mit dem Einfluss von Bildmedien auf eine Kultur auseinandersetzt, widmet sich eine andere Richtung der Behandlung der Frage, wie Menschen ihre eigenen Bildwelten kreieren. (vgl. Ruby 2005:164)

  • Visual anthropology as the anthropology of visual communication

Die Anthropologie der visuellen Kommunikation geht von der Annahme aus, dass visuelle Welten als soziale Prozesse der Kommunikation zu verstehen sind. „This visual anthropology logically proceeds from the belief that culture is manifested through visible symbols embedded in gestures, ceremonies, rituals and artefacts situated in constructed and natural environments. Culture is conceived of as manifesting itself in scripts with plot involving actors and actresses with lines, costumes, props and settings.” (Ruby 2005:165)
Die Anthropologie der visuellen Kommunikation unterscheidet sich von den zwei erstgenannten Richtungen auf folgende Art und Weise. „To begin, it problematizes the production of ethnographic film as a researchable question about how films, in general, communicate. Anthropologists desiring to communicate their anthropological ideas via film have to confront the problem of how film communicates for any purpose before they can be assured that they can accomplish their desired goal.” (Ruby 2005:165) 

Anmerkungen zur Theorie des Dokumentarfilms

Der Dokumentarfilm als Genre baut in starkem Maße auf den Lehrfilmen der 1920er Jahre auf. Erst in den 1970er Jahren wurde dieses Genre wissenschaftlich behandelt, was auch mit der Entwicklung des Dokumentarfilms zu einem Fernsehformat erklärt werden kann. Stark beeinflusst wurde der Dokumentarfilm durch das cinema direct, welches die „nichtfilmische Realität“ zum Referenzobjekt des Dokumentarfilms erhob.
Der folgende Abschnitt beschäftigt sich mit filmwissenschaftlichen Fragestellungen zur Theorie des Dokumentarfilms. Dabei sollen in Anlehnung an Hohenbergers „Die Wirklichkeit des Films“ aus dem Jahr 1988 jene Realitäten dargestellt werden, in denen sich der Dokumentarfilm bewegt: „die, die der Film abbilden soll, die, die er in seiner Apparatur selbst darstellt und die in starkem Maße zu seiner ideologischen Bestimmung beiträgt, und schließlich die, auf die hin er vermittelt, wobei die Realität des Subjekts unbedingt miteinzubeziehen ist, da es der Zuschauer ist, der in seiner Wahrnehmung die Differenz von dokumentarisch und fiktional immer wieder reproduziert.“ (Hohenberger 1988:61)
Hohenberger unterteilt die Realitäten des Dokumentarfilms in eine Produktionsseite und eine Rezeptionsseite. In der ersten findet sich die alltägliche Realität, „so wie sie unabhängig vom Film existiert und erkannt werden kann.“ Aus dieser Realität wählt der/die Produzent/in, was er/sie filmen möchte. Diese Wirklichkeit, liegt  vor der Zeitebene des Filmes und wird als „nichtfilmische Realität“ wahrgenommen. „Sie gibt im weitesten Sinn (ideologisch, politisch) vor, was gefilmt wird. Welche Themen aktuell sind.“ Jene Realität Zeit, die sich im Moment der Filmaufnahme vor der Kamera befindet, ist als „vorfilmische Realität“ zu verstehen und resultiert im Endeffekt aus der Wahl der Filmemacher/innen, welcher Realitätsausschnitt gewählt wurde. Der Produktionsseite steht die Rezeptionsseite gegenüber. In Bezug auf diese spricht Hohenberger von einer nichtfilmischen Realität, in die der fertige Film zurückgebracht wird. Als „Realität Film“ bezeichnet Hohenberger alles, was unter die Produktion eines Films fällt. Die „filmische Realität“ hingegen meint den fertigen Film. Dieser wird als „relativ autonome Realität“ wahrgenommen. Als „nachfilmische Realität“ wird jene Zeit beschrieben, die sowohl den unmittelbaren Akt der Filmbetrachtung als auch das Rückwirken auf die nichtfilmische Realität beinhaltet. (vgl. Hohenberger 1988:29f) 

Der klassische Erklärdokumentarismus als Produkt des Tonfilms

Der klassische Erklärdokumentarismus geht auf die Etablierung des Tonfilms Ende der 1920er Jahre zurück. (De Brigard 2003:22) Bis in die 1960er Jahre erfolgte eine synthetische Herstellung des Tons im Dokumentarfilm. Mit Hilfe des Tons wurde eine diegetische Kontinuität in Form eines Off-Kommentars erreicht, der die Sequenzen in argumentative Blöcke teilt. Musik diente meist zur Untermalung des Kommentars. (vgl. Hohenberger 1988:121)
Ton, als wesentliches Element der menschlichen Wahrnehmung, kann die Stimmung eines Films beeinflussen und – richtig eingesetzt – räumliche Brüche teilweise abfangen. (vgl. Engelbrecht 1995:154 und Hohenberger 1988:50) Der Ton in Form eines Kommentars machte den Dokumentarfilm zu einem Erklärer von Realität und änderte im Vergleich zum Stummfilm seine Adressierungsweise. Die Zuseher/innen wurden von nun an direkt angesprochen. Dies führte zu einer weiteren Differenzierung des dokumentarischen und des fiktionalen Films.

Im Folgenden soll auf zwei Richtungen der dokumentarischen Filmarbeit eingegangen werden, wobei ersterer, der Interview-orientierte Dokumentarfilm, als Nachfolger des klassischen Erklärdokumentarismus verstanden werden kann, bei dem sich ein einzelner Kommentar auf mehrere Stimmen verteilt. Der Zweite, der beobachtungs-orientierte Dokumentarfilm resultiert aus der dokumentarischen Praxis, in der vor allem der Alltag als Gegenstand der Betrachtung verstanden wird. (vgl. Hohenberger 1988:130ff)

Der Interview-orientierte Dokumentarfilm

Das Aufkommen des Interview-orientierten Dokumentarfilms geht mit der Etablierung der „oral-history“-Methode in den Geschichtswissenschaften einher. Diese beruht ebenfalls auf Interviews mit Zeitzeug/innen. Neben den Geschichtswissenschaften setzte (und setzt) diese Methode auch die Volkskunde bzw. die deutschsprachige Ethnologie ein und wird unter anderem für die Rekonstruktion von Alltags- sowie Lokalgeschichte verwendet. (vgl. Böhm 2009:7ff)

Der/die Interviewte erhält im Kontext des narrativen Interviews die Autorität des Off-Kommentars des klassischen Erklärdokumentarismus. Dabei wird seine/ihre Geschichte zu „der“ Geschichte verdichtet. Durch die Unterlegung des Interviews mit zusätzlichem Material (Fotos, Archivmaterial etc.) wird das Interview reflektiert und kontextualisiert. Diese Form der filmischen Geschichtsschreibung lässt sich besonders leicht auch für den fiktionalen Film adaptieren, zumal die „Mustergültigkeit der Zeugen und ihrer Reden“ – wie Hohenberger es bezeichnet –, kaum in Frage gestellt wird. (vgl. Hohenberger 1988:131)

Der beobachtungs-orientierte Dokumentarfilm

Während die Interview-orientierte Arbeitsweise im Dokumentarfilm die Zuseher/innen direkt-auditiv anspricht, erfolgt dies im Beobachtungs-orientierten Dokumentarfilm auf eine indirekt-visuelle Weise. Hohenberger zufolge entwickelte sich der beobachtungs-orientierte Dokumentarfilm aus dem cinema direct, durch dessen Aufkommen in den 1960er Jahren sich das Erscheinungsbild des Dokumentarfilms radikal wandelte. Die Veränderungen fanden dabei vor allem auf der Ebene des Tons statt. Musik, Kommentar oder offizielle Reden wurden dabei weggelassen. Der Film beinhaltete Originalgeräusche (Original-, Synchronton) oder Interviews mit unbekannten Personen. (vgl. Hohenberger 1988:125f)
Während für den Interview-orientierten Dokumentarfilm bei der Auswahl der „vorfilmischen Realität“ stets ein Ereignis ausgewählt wurde, „dessen Eigendramaturgie die Filmarbeit vorkonstruieren ließ“, wurde beim beobachtungs-orientierten Dokumentarfilm das Objektiv auf „das Alltägliche“ gerichtet. (vgl. Hohenberger 1988:132)

Problematiken des Dokumentarfilms

Die nichtfilmische Realität stellt ein unendliches Reservoir an Abbildbarem zu Verfügung. Es ist allerdings die Realität der Filmemacher/innen, die eine Selektion an dieser nichtfilmischen Realität vornimmt. Diese Selektion ist politisch und ideologisch geprägt. –, „Das vorfilmische Reale ist ja nicht einfach das Dargestellte, […], sondern wird in der Begegnung der Realität Film mit der nichtfilmischen Realität erst hergestellt. [..] Der ‚Text im Kopf‘, der die Umwandlung vorfilmischer in filmische Realität leitet, setzt hier schon bei der Auswahl aus dem Nichtfilmischen an.“ (vgl. Hohenberger 1988:36f)
Der Dokumentarfilm produziert, im Gegensatz zum fiktionalen Film, das Reale im Moment seiner Existenz schon als seine zukünftige Erinnerung und hebt somit die Geschichte auf – Hohenberger spricht hier von einer „ahistorischen Beliebigkeit“ des Dokumentarfilms. Dadurch lässt der Dokumentarfilm jede Vergangenheit beliebig gegenwärtig werden und zerstört in weiterer Folge für die Gegenwart das Bewusstsein für Geschichte als historischer Prozess. (vgl. Hohenberger 1988:31)
Hans-Ulrich Schlumpf, der von der Praxis der Dokumentarfilmproduktion geprägt ist, verweist in seinem Text „Warum mich das Graspfeilspiel der Eipo langweilt“ ebenfalls auf die Manipulierbarkeit des Films. Laut Schlumpf handelt es sich beim Film immer um Gestaltung, was den Film zu einem subjektiven Produkt gegebener Verhältnisse macht. „Eine Kamera ist immer Zeuge tatsächlich ablaufender Geschehnisse, auch dann, wenn diese inszeniert sind.“ (Schlumpf 1987:52) Weiter schreibt er: „Jedes Ein- und Ausschalten der Kamera beinhaltet ein ganzes Programm, ist eine subjektive Wahl. […] Spätestens beim Rollenwechsel entsteht ein Zeitsprung. Zwei Rollen, aneinandergehängt sind bereits ein Konstrukt. Dem Zuschauer wird eine Kontinuität suggeriert, die in Wirklichkeit nicht bestanden hat.“ (vgl. Schlumpf 1987:56) 
Ein weiterer Kritikpunkt ist die im Kontext des Dokumentarfilms bzw. in der „nachfilmischen Realität“ stattfindende Objektivierung des Dokumentarfilms. Diese Zuschreibung erfolgt Hohenberger zufolge auf Grund der „Abbildeigenschaft“. „Die Zuschreibung von Objektivität aufgrund der filmischen Abbildqualität verkennt jedoch, daß der Film die Abbilder der vorfilmischen Objekte in einen narrativen Zusammenhang bringt, d. h. sie als Erzählmomente auf der Zeitachse anordnet.“ (Hohenberger 1988:85)

Überlegungen zum ethnografischen Film als Dokumentarfilm

Der ethnografische Film erhielt viele neue Impulse aus der Bewegung des neuen Dokumentarfilms der 1960er Jahre, der sich aus dem cinema direct entwickelte. Der ethnografische Film als eigenes Genre des Dokumentarfilms wurde sowohl von Ethnolog/innen als auch von Dokumentarist/innen willkommen geheißen. Der ethnografische Film kann aber auch in enger Verbindung zum Forschungsfilm gesehen werden, da ethnografische Filme auch Dokumente für weitere Forschungszwecke bereitstellen können.
Das gefilmte Material kann man folgendermaßen einteilen: in a) den unbearbeiteten, belichteten Film und b) in den fertigen, geschnittenen Film. (vgl. Hohenberger 1988:142) Besonders in der US-amerikanischen visuellen Anthropologie erfolgt eine Unterscheidung in ungeschnittenes Material („footage“) und in den ethnografischen Film („ethnographic film“) per se. David MacDougall dazu: „Films are structured works made for presentation to an audience [...]. Films are analogous in this sense to an anthropologist’s public writings or to any other creative or scholarly productions. Footage, on the other hand, is the raw material that comes out of a camera, and no such expectations attach to it.” (MacDougall 1978: 407) Während der fertiggestellte Film als Produkt wissenschaftlicher Forschung anerkannt wird, schaffte es das Rohmaterial ethnografischer Forschung („footage“) nur selten in ein Archiv, bleibt im Verborgenen und gerät somit meist in Vergessenheit.
Neben der Differenzierung in unbearbeitetes und bearbeitetes Material unterteilt MacDougall den ethnografischen Film auch anhand stilistischer Merkmale. Ihm zufolge kann ein ethnografischer Film sowohl im Ansatz veranschaulichend („illustrative“) als auch offenbarend („revelatory“) verfasst sein. MacDougall betont dabei die Nähe des erstgenannten zur geschriebenen Anthropologie („written anthropology“).
„Illustrative ethnographic films make use of images either as data to be elucidated by means of a spoken commentary or as visual support for verbal statements. […]. Revelatory films, on the other hand, require the viewer to make a continuous interpretation of both the visual and verbal material articulated by the film-maker. […] Revelatory films very often follow the chronological structures perceived in events.” (MacDougall 1978: 413)
Freilich kann man den ethnografischen Film auch – wie Beate Engelbrecht – grundsätzlich, oder vielleicht auch nur provokatorisch, in Frage stellen: „Den ethnographischen Film gibt es nicht. Im Bereich der Ethnologie gibt es zahlreiche Einsatzmöglichketen von Film und noch weitaus mehr Möglichkeiten der filmischen Umsetzung. Dies alles hängt von den gewählten Themen, von der jeweils zu filmenden Gesellschaft, von der Intention des Filmemachers und damit verbunden vom Zielpublikum ab […] in der Praxis werden alle möglichen Mittel in jeglicher Kombination zur Erreichung bestimmter Ziele eingesetzt.“ (Engelbrecht 1995:148) Engelbrecht setzt dabei drei Schwerpunkte: 1) Einsatz von Video im Sinne eines ethnografischen Notizbuches, 2) Einsatz von Video im Sinne einer visuellen Beschreibung eines Ereignisses, oder 3) Einsatz von Film zur Diskussion bestimmter Zusammenhänge.
Beate Engelbrechts Betonung der vielfältigen Einsatzmöglichkeiten des ethnografischen Films spiegelt sich in Lipp und Kleinerts Forderung nach der Schaffung von Ausdrucksformen, „die das Denken in Form und Inhalt reflektieren“ wider. Dabei kann es als Aufgabe von Ethnolog/innen angesehen werden, Transparenz unter komplexen Bedingungen zu schaffen. (vgl. Lipp und Kleinert 2011:15ff)
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass an ethnografische Filme teils sehr hohe Ansprüche gestellt werden. Ein ethnografischer Film soll sowohl Analysematerial bereitstellen, Datensammlung sein, der Verifikation ethnografischer Hypothesen dienen und gleichzeitig Feldforschungsersatz für Studierende sein. „Er muß daher a priori fiktionale Elemente ausschließen, an eine ethnographische Methodologie anbindbar sein, textuell einen dem vorfilmischen Realen gegenüber scheinbar transparenten Diskurs herstellen, in dem sein Objekt vor der Zeit, der Geschichte, dem Vergehen des Objekts (kaum ein ethnographischer Film wird nicht mit dem Hinweis auf die Vergänglichkeit des Abgebildeten produziert) gerettet werden kann.“ (vgl. Hohenberger 1988:146)

Überlegungen zu den wissenschaftlichen Filmen des ÖWF

Die Filme des ÖWF sowie jene des IWF wurden als wissenschaftliche Filme innerhalb von staatlichen Institutionen nach einem sehr starren Regelwerk produziert. Innerhalb der Arbeit des ÖWF wurde eine Einteilung in Lehrfilm, Forschungsfilm und Dokumentationsfilm getroffen, Während Forschungsfilme im ethnologischen Bereich nicht vertreten waren und Lehrfilme nur vereinzelt, stellten die Dokumentationsfilme den zahlenmäßig größten Anteil am Filmbestand dar. Handelt es sich bei den ethnologischen Filmen des ÖWF aber wirklich um „wissenschaftliche Dokumentationen“? Wie wissenschaftlich bzw. wie dokumentarisch sind diese Filme? Wie bereits in Hohenbergers Schilderungen über die „Nachfilmische Realität“ angesprochen, erfolgt die Erkennung oder Zuschreibung, ob es sich bei einem Film um eine Dokumentation handelt oder nicht, in dieser nachfilmischen Realität. In einer theoretischen Konzeption der Filmwahrnehmung beschreibt Hohenberger den „Realitätseindruck als Konstitutionsproblem des filmischen Signifikanten selbst“. Laut Hohenberger ist es nicht nur das, was ein Film tatsächlich zeigt, was seinen Realitätseindruck ausmacht, sondern das, was er eben nicht zeigt und was die Zuschauer/innen durch ihre eigene Realitätswahrnehmung ergänzen. (vgl. Hohenberger 1988:46ff) Dieser Prozess wird durch stilistische Merkmale des Films gefördert. Hohenberger spricht von der Dreidimensionalität des Films bzw. des bewegten Raumes, der den Rezipient/innen die reale Anwesenheit vor Ort suggeriert. Dabei spielt auch der Ton eine wichtige Rolle. „Die Lautstärke des Tons trägt außerdem wesentlich zu Konstruktion des dreidimensionalen Raums bei, ist er laut, nehmen wir seine Quelle als räumlich nah an, ist er leise, als eher im Hintergrund, in der vermeintlichen Tiefe des Raums.“ Weiter schreibt Hohenberger: „Der so durch verschiedenen Faktoren bewirkte Realitätseindruck des Films ist unabhängig von Gattung oder Genres. Er besteht in erster Linie in der Zuschreibung eines Modus des Gegenwärtigseins auf die dargestellten Figuren und ihre Handlungen.“ (vgl. Hohenberger 1988:49f) Hohenberger zufolge machen also erst die stilistischen Merkmale, der dadurch geschaffene Realitätseindruck auf seine Rezipient/innen einen Film zu einem dokumentarischen Film.
Ramón Reichert setzt sich in seiner Forschung auch mit der Zuschreibung von „Wissenschaftlichkeit“ beim Wissenschaftsfilm auseinander. Bereits im Prozess der Forschung, schreibt er, ist der Film in eine Vielzahl wissensgenerierender Techniken eingebunden. Etwa in lokale Rahmenbedingungen, divergierenden Rezeptionskontext, inszenatorische Praktiken, Forschungstraditionen, soziale Machtbeziehungen der Forscher, narrative Elemente oder Kontingenzen, die unterhalb der Wahrnehmungsschwelle der Forscher/innen angesiedelt sind. Reichert spricht davon, dass der Film in der wissenschaftlichen Kommunikation diverse komplexe Transformationsprozesse durchläuft, die es zu untersuchen gilt. Im Sinne einer Filmanalyse fordert Reichert die Analyse der Prozeduren der Filmherstellung. Diese Herangehensweise soll „den epistemischen Status von Film im Prozess der Forschung“ klären, um den Status von präsentablen Endprodukten, wie sie in öffentlichen Ritualen vorgeführt werden, angemessen einschätzen zu können. (vgl. Reichert 2009:2ff) Während Hohenberger von der Tatsache der Existenz diverser Genres des Films ausgeht, spricht Reichert die Notwendigkeit der Historisierung der Gattungs- und Genrebegriffe an, um so kulturelle Praktiken aufzudecken.  
Hohenberger und Reichert analysieren also den wissenschaftlichen Film durchaus unterschiedlich. Reichert fügt noch hinzu, dass es neben den diskursspezifischen Kommunikationsstrategien, der Vielzahl informativer, narrativer, rhetorischer und didaktischer Strategien des Films eine Frage der filmischen Repräsentation ist, wie ein Film aufgefasst wird. „Ob Filme als wissenschaftlich, belehrend oder unterhaltend tituliert werden, ist nun keine Frage der ontologischen Gattungsbestimmung mehr, sondern eine der Verfahren, Modi und Narrative filmischer Repräsentation.“ (Reichert 2009:5)

Conclusio

Die Theorie des ethnografischen Films steht in starkem Zusammenhang mit der Theorie des Films im Allgemeinen sowie jener des Dokumentarfilms im Speziellen. Es waren jedoch auch technisch bedingte Veränderungen, die die Produktions- und Gestaltungsmöglichkeiten von ethnografischen Filmen verändert haben. Zudem hatten auch wissenschafts- bzw. fachhistorische Entwicklungen Auswirkungen auf deren jeweilige Gestaltung. (Ethnografische) Filme waren und sind jeweils auch ein Produkt ihrer Entstehungszeit bzw. des zu dieser Zeit angewandten Wissenschaftsverständnisses. Eine historische Analyse dieser Filme ist somit nur durch eine Analyse der jeweiligen Entstehungszusammenhänge verständlich. Zu Beginn des ethnografischen Filmens war es zum Beispiel typisch, „fremde Kulturen“ abzubilden bzw. zu filmen. Aus heutiger Sicht spiegeln diese Filme den Ethnozentrismus des kolonialistisch geprägten Umfeldes wider, in dem sich die Forscher/innen befanden. Die ideologischen Voraussetzungen bzw. massiven obrigkeitlichen Vorgaben und Sichtweisen lassen sich besonders deutlich bei Filmen finden, die im Rahmen nationalsozialistischer Volks- und Völkerkunde entstanden sind und auch propagandistische Zwecke erfüllten.  Im Rahmen der Sammlung des ÖWF sind für eine Analyse der Filme auch der administrative Rahmen der Institution, deren Aufgaben, Ansprüche und Reglementierungen von Bedeutung. Der Filmbestand stellt filmhistorisch aber auch ethnologisch betrachtet eine Besonderheit dar. Dieses Quellenmaterial ermöglicht einerseits wissenschaftshistorische Erkundungen in die Geschichte der (österreichischen) volks- und völkerkundlichen Forschung (nicht nur) der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, aufgrund ihres besonderen Entstehungszusammenhanges geben die Filme auch Einblick in ein historisches Verständnis von Wissenschaftlichkeit und wissenschaftlicher Arbeit. Mit der Schließung des ÖWF bzw. spätestens mit der Auflösung des Instituts für den wissenschaftlichen Film in Göttingen (siehe dazu den Beitrag: „Abriss der Geschichte des Österreichischen Bundesinstituts für den Wissenschaftlichen Film (ÖWF)“) ging deren mehrere Jahrzehnte dauernde Produktion zu Ende. Die Filmsammlung des ÖWF stellt somit einen abgeschlossenen Bestand dar, dessen wissenschaftshistorische Bearbeitung jedoch erst am Anfang steht und durch die Bereitstellung dieser Originalquellen im Rahmen des Projektes „Wissenschaft als Film“ angeregt und ermöglicht werden soll.

(Wissenschaftliche Mitarbeiterin: Verena Kubicek) 

Quellen

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Diese Ausstellung ist im Rahmen des Projektes Österreich am Wort entstanden.
Ein Großteil der Medien ist dort in voller Länge abrufbar.