„Ich stamme aus meiner Kindheit wie aus meinem Land“ aus der Sendung Radiokolleg vom 20. Oktober 1987 (siehe auch Arbeitsblatt 2)
Kindheitserinnerungen
Christine Nöstlinger und Erich Fried
Ausgehend von den Kindheitserinnerungen der vor allem für ihre Kinder- und Jugendbücher bekannten österreichischen Schriftstellerin Christine Nöstlinger und des Lyrikers, Übersetzers und Essayisten Erich Fried erfolgt eine Auseinandersetzung mit deren Leben und Werken. Die Lebensgeschichten dienen auch als Anstoß, sich die eigene Kindheit zu vergegenwärtigen. Anschließend sollen narrative Interviews innerhalb des eigenen Familien- und Bekanntenkreises über die Zeit der Kindheit durchgeführt werden. Verschiedene Interviewformen sowie Tipps für deren Umsetzung werden zur Verfügung gestellt.
Darum geht’s
Der Fokus dieses Themenpakets liegt neben dem aktiven Zuhören sowie der Recherche zu einer österreichischen Autorin und einem österreichischen Autor auf der kreativen Auseinandersetzung mit der eigenen Erinnerung in Form vom Verfassen unterschiedlicher Textsorten und Collagen und dem Durchführen von Interviews. Arbeitsblätter sowohl zu den Kindheitserinnerungen als auch zu ausführlichen Portraits von Christine Nöstlinger und Erich Fried werden angeboten. Ebenso finden Sie Anregungen und Tipps zu einem Oral-History-Projekt, das sich für einen fächerübergreifenden Unterricht mit Geschichte und Sozialkunde/Politischer Bildung anbietet.
1. Arbeitsanregungen für den Unterricht
1.1) Einstieg: Brainstorming zu Christine Nöstlinger und Erich Fried – Arbeitsblatt 1
Die Durchführung dieser Übung ist in Einzelarbeit, Partnerarbeit oder im Klassenverband möglich.
Die Schüler/innen erhalten ein Blatt, auf dem in der Mitte ein Bild von Christine Nöstlinger zu sehen ist, ein weiteres mit einem Bild von Erich Fried.
Die Schüler/innen notieren auf dem Blatt ihre Vermutungen über die Beziehung zu den Eltern, zu den Geschwistern, über die Schulzeit, den späteren Familienstand, die Arbeit als Schriftsteller/in, die politische Orientierung usw.
1.2) Kindheitserinnerungen von Christine Nöstlinger und Erich Fried anhören – Arbeitsblatt 2
Die Schüler/innen beantworten in Einzelarbeit die Fragen zu den Kindheitserinnerungen von Christine Nöstlinger bzw. Erich Fried, die mithilfe einer Radiosendung zu beantworten sind, und vergleichen sie anschließend im Plenum. Es hat sich bewährt, nach der fünften Frage bzw. nach eigenem Ermessen die Sendung zu unterbrechen und die Antworten zu vergleichen.
1.3) Über die eigene Kindheit
- Zunächst überlegt jede/r für sich, welche Erinnerungen an die eigene Kindheit geweckt wurden und hält die Ergebnisse stichwortartig fest.
- Danach erfolgt ein Austausch mit der Sitznachbarin bzw. dem Sitznachbarn. Dadurch werden wahrscheinlich weitere Erinnerungen wachgerufen.
- Im Klassenverband werden von jeder Schülerin bzw. jedem Schüler kurz die wichtigsten Kindheitserinnerungen seiner Gesprächspartnerin bzw. seines Gesprächspartners erzählt.
Anschließend werden die gesammelten Erinnerungen festgehalten. Dafür werden folgende Arbeitsaufträge vorgeschlagen:
Schreiben Sie einen Text über Ihre Kindheit.
- Gehen Sie dabei entweder auf einen Menschen oder auf einen Ort ein, der Sie besonders geprägt hat.
- Gehen Sie auf ein Ereignis ein, an das Sie sich besonders gut erinnern können, zum Beispiel Ihr erstes bewusstes politisches Ereignis, Ihr erster Schultag, … (so wie Erich Fried).
- Laut Christine Nöstlinger hat jeder und jede in seiner Kindheit so viel erlebt, dass sie bzw. er zumindest ein Kinderbuch verfassen könnte. Versuchen Sie sich als Kinderbuchautor/in!
Fotografieren Sie Gegenstände, Orte, Personen, Stofftiere, Spielsachen, Comicfiguren, Fernsehheldinnen und ‑helden etc. und gestalten Sie damit eine Collage zu Ihrer Kindheit oder eine PowerPoint-Präsentation.
Es empfiehlt sich, eine Präsentationsstunde festzulegen, z. B. im Rahmen eines Elternabends, in welcher die Schüler/innen ihre Texte vorlesen und ihre Collagen präsentieren können.
1.4) Recherche zu Christine Nöstlinger und Erich Fried – Arbeitsblatt 3
Im Anschluss an die Auseinandersetzung mit der eigenen Kindheit folgt eine intensive Auseinandersetzung mit den Biografien Christine Nöstlingers und Erich Frieds. Als Hilfe für die Ausarbeitung der für die Recherche vorgeschlagenen Sendungen werden wesentliche Begriffe, die in der aufgelisteten Reihenfolge in den Audiobeiträgen vorkommen, zur Verfügung gestellt.
1.5) Vergleich: Vermutungen und Realität
Zum Abschluss wird nochmals auf das anfängliche Brainstorming zu Christine Nöstlinger und Erich Fried zurückgegriffen und die Vermutungen werden mit der Realität verglichen. Falsche Annahmen werden korrigiert und wichtige Informationen zum Leben von Christine Nöstlinger und Erich Fried ergänzt.
1.6) Vertiefung
Als weitere Vertiefung des Themas können in einem gemeinsamen Gespräch die unterschiedlichen Lebenswelten von Christine Nöstlinger und Erich Fried herausgearbeitet werden. Zum Beispiel könnte besprochen werden, ob eine weibliche bzw. eine männliche Perspektive zu erkennen ist, und wenn dies der Fall ist, wie sich diese auf das Leben von Nöstlinger bzw. Fried auswirkte. Aber auch die unterschiedlichen Erfahrungen während der nationalsozialistischen Herrschaft und in der Nachkriegszeit könnten thematisiert werden. Christine Nöstlinger lebte in Österreich, während Erich Fried beinahe den gesamten genannten Zeitraum im Exil verbrachte.
1.7) Oral-History-Projekt, fächerübergreifend mit Geschichte/Politischer Bildung
Die Schüler/innen führen Interviews im Familien- und Bekanntenkreis zum Thema Kindheit. Beispiele sind dazu auf der Seite des Oral-History-Projekts „MenschenLeben – Eine Sammlung lebensgeschichtlicher Erzählungen“ im Rahmen der Onlineausstellung „Österreich am Wort“ der Österreichischen Mediathek nachzuhören.
2. Arbeitsblätter
Arbeitsblatt 1
dient als Einstieg in die Thematik. Ausgehend von einem Bild der Autorin bzw. des Autors sollen Vermutungen über ihr bzw. sein Leben angestellt oder bereits Bekanntes in Form eines Brainstormings aufgeschrieben werden. Diese fiktive Biografie kann anschließend mit den Ergebnissen der Recherche zu Christine Nöstlinger bzw. Erich Fried verglichen werden.
Arbeitsblatt 1 – Christine Nöstlinger
Arbeitsblatt 1 – Erich Fried
Arbeitsblatt 2
bietet Fragen zu den Kindheitserinnerungen von Christine Nöstlinger bzw. Erich Fried, die mithilfe einer Radiosendung zu beantworten sind. Es hat sich bewährt, nach der fünften Frage bzw. nach eigenem Ermessen die Sendung zu unterbrechen und die Antworten zu vergleichen.
Arbeitsblatt 2 – Christine Nöstlinger
Arbeitsblatt 2 – Christine Nöstlinger
(mit Lösungen)
Arbeitsblatt 2 – Erich Fried
Arbeitsblatt 2 – Erich Fried
(mit Lösungen)
Arbeitsblatt 3
bietet eine Hilfestellung für die intensive Auseinandersetzung mit der Biografie von Christine Nöstlinger bzw. von Erich Fried. Begriffe, die in den ausführlichen Radioportraits vorkommen, werden aufgelistet und sollen nach ihrer Bedeutung im Leben der Autorin bzw. des Autors untersucht werden.
Arbeitsblatt 3 – Christine Nöstlinger
Arbeitsblatt 3 – Christine Nöstlinger
(mit Lösungen)
Arbeitsblatt 3 – Erich Fried
Arbeitsblatt 3 – Erich Fried
(mit Lösungen)
3. Christine Nöstlinger
Österreichs bedeutendste Kinderbuchautorin wurde 1936 in Wien geboren. Im Mittelpunkt ihrer Erzählung über ihre Kindheit stehen Personen und Orte, die sie geprägt haben.
Mit über 100 Büchern zählt sie heute zu den bekanntesten und einflussreichsten Kinder- und Jugendbuchautorinnen des deutschsprachigen Raums, wobei ihre Bücher auch in zahlreiche Sprachen übersetzt wurden. Die Schriftstellerin wurde mit vielen international renommierten Preisen wie der Hans-Christian-Andersen-Medaille, dem Astrid-Lindgren-Memorial-Award oder dem Österreichischen Staatspreis ausgezeichnet.
Vor ihrem literarischen Durchbruch absolvierte sie eine Ausbildung an der Akademie der bildenden Künste und arbeitete kurze Zeit als Grafikerin. Nach ihrer Heirat und der Geburt zweier Kinder begann sie, literarisch zu arbeiten. Ihr erstes Buch „Die feuerrote Friederike“ (1970) wurde zur Überraschung der Autorin ein großer Erfolg.
Neben Kinder- und Jugendbüchern schreibt sie für Zeitungen, für den Rundfunk und das Fernsehen und auch drei von Nöstlinger verfasste Kochbücher sind erhältlich.
Mit ihren Werken wie „Gretchen Sackmeier“ (1981) oder „Das Austauschkind“ (1982) durchbricht sie die in der Kinder- und Jugendliteratur vorherrschende heile Welt. Sie konfrontiert ihre Leser/innen mit schwierigen Familiensituationen, unsicheren Eltern, Schulproblemen, pubertären Sinnkrisen und Einsamkeit. Im Mittelpunkt ihrer Geschichten stehen Außenseiterfiguren, die sich gegen Unterdrückung und Ungerechtigkeit behaupten müssen.
In „Maikäfer flieg“ (1973) und „Zwei Wochen im Mai“ (1981) verarbeitet sie ihre Erlebnisse der Kriegs- und Nachkriegszeit. Aber auch sonst greift sie beim Schreiben auf eigene Kindheitserfahrungen zurück. Als Erzählperspektive wählt sie jene des Kindes und auch auf sprachlicher Ebene bleibt sie nahe bei den Menschen. Der anfangs heftig kritisierte Einsatz des Wiener Dialekts wird eines ihrer unverkennbaren Erkennungsmerkmale.
Christine Nöstlinger schreibt aber auch für Erwachsene. Im Laufe der Zeit wird sie eine Symbolfigur für die aufkommende Frauenbewegung. In einer Sammlung von Gedichten unter dem Titel „Iba de gaunz oaman Fraun“ („Über die ganz armen Frauen“) (1982) thematisiert sie Konflikte zwischen Männern und Frauen.
Christine Nöstlinger war in zweiter Ehe mit dem 2011 verstorbenen Journalisten Ernst Nöstlinger verheiratet. Die Autorin hat zwei Töchter und lebt heute abwechselnd im 20. Bezirk in Wien und im Waldviertel auf einem Bauernhof.
- Christine Nöstlingers auf Wikipedia
- Kurze Biografie auf der Seite des Instituts für Frauenbiographieforschung
- Beiträge von und über Christine Nöstlinger: In ihrem eigenen Beitrag schreibt sie auf amüsante Art und Weise über ein Wiener Dialektbuch als Abendlektüre, das Erinnerungen an ihre Kindheit weckt.
- Interview in „Die Zeit“. Nöstlinger erzählt über die Zeit nach dem Tod ihres Mannes und über ihre Krebserkrankung.
- Begriffserklärung Bassena
- 00:54:35 Christine Nöstlinger erinnert sich. Eine ausführliche Erzählung über ihr Leben, 1974
-
00:37:14
Eine Geschichte aus dem Waldviertel über ihre Nachbarin, 1978
[00:16:42 - 00:27:45] -
01:00:06
Eine Botschaft zum jährlichen Andersen-Tag. Beitrag im Mittagsjournal vom 2. April 1985
[00:55:33 - 00:57:44]
4. Erich Fried
Der Lyriker, Übersetzer und Essayist Erich Fried wurde 1921 in Wien geboren. Nach dem Tod seines Vaters an den Folgen eines Verhörs durch die Gestapo flüchtete Fried nach London und kehrte (offiziell) erst 1962 zum ersten Mal nach Wien zurück. 1982 erhielt der Autor wieder die österreichische Staatsbürgerschaft, behielt aber gleichzeitig die britische, die er 1949 angenommen hatte. Er starb 1988 im deutschen Baden-Baden an Darmkrebs und wurde in London, wo Fried bis zuletzt wohnte, beigesetzt.
In seinen Kindheitserinnerungen berichtet er über Menschen, die ihn prägten, sowie von politischen Ereignissen.
In den frühen 1960er Jahren begründete Erich Fried mit politischer Lyrik seine Popularität. Der Dichter schrieb stets provozierend und mahnend. Die bestimmenden Themen seiner einfach scheinenden, aber dabei kunstvoll durchkomponierten Lyrik waren Menschlichkeit, politischer Widerstand und Engagement. Dabei ging es ihm um größtmögliche Verständlichkeit und Genauigkeit in Form und Inhalt.
Fried wurde oft „Kommunistenfreundlichkeit“ und „Terrorismusverständnis“ vorgeworfen. Seine Offenheit in alle Richtungen löste bei vielen Verwirrung aus; seinen Gedanken der Feindesliebe jedoch bewunderten auch viele seiner Kritiker/innen. Erich Fried bestritt zahlreiche öffentliche Auftritte, wobei seine Liebesgedichte die Anzahl der Leser/innen seiner Werke erheblich erhöhte.
Sein dichterisches Werk und seine philosophischen Reflexionen ließen den Autor zu einer moralischen und künstlerischen Instanz werden, die aber bis zuletzt umstritten blieb. Erich Fried wurden zahlreiche Auszeichnungen wie der Georg-Büchner-Preis, der Österreichische Staatspreis für Verdienste um die österreichische Literatur im Ausland und kurz vor seinem Tod die Ehrendoktorwürde der Universität Osnabrück verliehen.
Erich Fried war drei Mal verheiratet und Vater von sechs Kindern.
Ein Jahr nach seinem Tod wurde in Wien die Internationale Erich Fried Gesellschaft für Literatur und Sprache gegründet, die jährlich den vom österreichischen Bundeskanzleramt gestifteten Erich-Fried-Preis verleiht.
- 00:01:39 Kurzes Video zum Polizeieinsatz beim Justizpalastbrand 1927
- 00:25:01 Fried im Interview über seine Kindheit in Wien, seine Beziehung zur Literatur, seine Eltern und sein Emigrantenschicksal, 1972
- 00:01:26 Die Not des Exilanten – Der Lyriker Erich Fried in London, 1986 [Ausschnitt]
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00:51:22
Gedenken an Erich Fried. Erwin Ringl: Über die Magie der Namen. Ernst Jandl: Recht auf Irrtum. Journal-Panorama vom 12. Dezember 1988
[00:37:51 - 00:45:40] - 00:44:50 Sich erinnern und sich annähern. Eine Begegnung mit Erich Fried ein Jahr vor seinem Tod
- 00:10:55 Fried liest aus eigenen Werken, unter anderem die Gedichte „Links, rechts, links, rechts“ und „Sprachliche Endlösung“, 1982
(Text und Inhalt: Julia Müller, 2014)