Zum Schwerpunkt: Leben mit Behinderung

In dieser Interview-Kooperation, die in Zusammenarbeit mit dem Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim verwirklicht wurde, erzählen zehn Menschen, die mit einer Beeinträchtigung oder Behinderung leben, ihre Biografie.

Die Idee dieser Kooperation war es, dass Personen, die in unserer Gesellschaft und damit auch in der Oral History-Sammlung MenschenLeben unterrepräsentiert sind, ihre Lebenswelten selbst beschreiben. Fünf Frauen und fünf Männer erzählten ihre gesamte Lebensgeschichte. Sie sprachen von Kindheit und Familie, von Feiertagen und Reisen, von Schulausbildung und Hobbies, von Beziehungen und Arbeitsalltag sowie von Sehnsüchten, Wünschen und Träumen. Durch diese Lebensberichte erfahren wir von zugeschriebenen oder tatsächlichen Beeinträchtigungen, dem Hilfebedarf und den Barrieren im Alltag. Die Interviewpartner*innen sprechen über Aufenthalte in verschiedenen Betreuungseinrichtungen und Wohnheimen, über ihre Schwierigkeiten, einen Arbeitsplatz zu finden und die Herausforderungen des Lebens im Rollstuhl oder mit persönlicher Assistenz. Selbstbestimmung ist dabei ein zentrales Anliegen.

Text und Auswahl: Tina Plasil-Laschober, 2023

Bei zwei Interviews wurden spezielle Aufnahmesettings gewählt: Dorsi M. (wie sie für das Interview genannt werden wollte) kann verbal nicht selbst kommunizieren. Darum schrieb sie im Zeitraum von März bis Oktober 2022 ihre Lebensgeschichte auf vierzig Seiten auf. Dazu benutzte sie einen Computer, der auf Dorsis Bedürfnisse eingestellt ist. Die Interviewerin Angela Wegscheider begleitete sie während dieses Prozesses, formulierte Fragen, deren Antworten in den Gesamttext einflossen. Das Interview fand in der Form statt, dass das Sprachausgabegerät (mit einer Männerstimme) die Lebensgeschichte vorlas, während die Interviewerin und die Interviewpartnerin zuhörten und die verlesene Geschichte aufnahmen.

00:05:03
"Es waren halt immer Barrieren da."

Johann Berger ist 70 Jahre alt und beschreibt die Schwierigkeit, dass er als Gehörloser mit nur wenigen Menschen kommunizieren kann.

 

01:02:08 [00:01:24 bis 00:05:07]
"Ärzte sind auch keine Götter."

Dorsi M. ist 40 Jahre alt, erzählt im Interview von ihrer Schulausbildung, ihrer Familie und wie sie mit Menschen kommunizierte, bevor sie schreiben konnte. Sie erinnert sich an Freundschaften und Beziehungen. Sie beschreibt mit Hilfe ihres Computers mit Sprachausgabe, wie es bei der Geburt zu ihrer körperlichen Behinderung kam, und wie sie von ihrer Familie liebevoll aufgenommen wurde.

00:03:45
"Er ist ein braver Kerl, ich bin einfach glücklich."

Johann Berger und seine um 13 Jahre jüngere Frau Maria fahren in der Freizeit gerne Fahrrad. Sie erzählen davon, wie sie einander im Alltag helfen, da Johann Berger Schmerzen im Rücken und in den Schultern hat, und an Parkinson erkrankt ist.

Johann Berger ist gehörlos und erzählt seine Lebensgeschichte in Gebärdensprache. Darum wurde ein Video-Interview geführt, für das die Gebärdensprachdolmetscherin Stefanie Gunesch übersetzte. Sie ist bei der Aufnahme ebenso zu hören wie die Interviewerin Susanne Reisinger. Kameramann war Markus Burgstaller.

Sieben der zehn Interviews, die in der Kooperation mit dem Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim 2021 und 2022 aufgenommen wurden, sind als Audio in voller Länge über die Website der Österreichischen Mediathek anhörbar. Drei weitere Interviews, die nicht online verfügbar sind, sowie die Videos zu einigen Interviews können in den Benutzerräumen der Österreichischen Mediathek angehört und angeschaut werden.

00:45:13 [00:00:00 bis 00:04:40]
"Sie haben gesagt, ich bin zu deppert, dass ich schwimme, dabei kann ich schwimmen wie ein Pfitschipfeil.“

Bibi (Pseudonym), 32 Jahre alt, lebt mit einer Lern- und körperlichen Beeinträchtigung. Sie besuchte Integrationsklassen, schloss die Schule im Polytechnischen Lehrgang ab, machte eine Peer-Ausbildung und hatte verschiedene Arbeiten, unter anderem im Café Lebenswert im Schloss Hartheim. Sie lebt seit zehn Jahren in einer Beziehung.

 

Interviews: Angela Wegscheider, Susanne Reisinger
Kamera: Markus Burgstaller

Eine Kooperation der Sammlung MenschenLeben mit dem Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim

00:17:06 [00:08:25 bis 00:12:48]
"Durch meine Erfahrung in der Interessensvertretung ist das Land an mich herangetreten …"

Alfred Prantl, 62 Jahre alt, war ehrenamtlicher Interessensvertreter in seiner Betreuungseinrichtung. Er erzählt nicht ohne Stolz über sein Durchsetzungsvermögen und seine Erfolge im Kampf um mehr Chancengleichheit. 2010 wurde Alfred Prantl zum Obmann des Interessensvertretungs-Beirats gewählt.

00:32:00 [00:27:11 bis 00:31:51]
"Unsere Beziehung zeigt, dass beeinträchtigte Menschen in der Lage sind, eine Ehe zu führen."

Biwi (Pseudonym), 54 Jahre alt, erzählt in seinem lebensgeschichtlichen Interview sehr genau über sein Leben in verschiedenen Heimen und Betreuungseinrichtungen. Er erinnert sich an Vorgaben und Regeln und beschreibt, wann und wie diese gelockert wurden, was ihm und den anderen ermöglichte, selbstbestimmter zu leben.

00:20:04 [00:00:38 bis 00:03:40]
"Wir haben etwas von der Welt gesehen!"

In ihrem lebensgeschichtlichen Interview erinnert sich die 61-jährige Conny an die Geburt ihrer Schwestern, an schöne und kränkende Momente in der Schule, aber auch an tragische Schicksalsschläge und Verluste. Sie erzählt von Wegbegleiterinnen und Haustieren, Erfahrungen in Wohnheimen und in der Coronakrise. Sie arbeitete in verschiedenen Werkstätten als Näherin und in der Küche und in der Wäscherei. Besondere Erinnerungen hat sie an verschiedene Reisen, vor allem Kreuzfahrten.

"Es war ziemlich schwer, eine Arbeit zu finden."

Der 56-jährige Thomas Straßer ist von Geburt an querschnittgelähmt. Er erzählt von seiner Familie, von Betreuerinnen und von seiner Leidenschaft für Fußball und Segelfliegen. Sein wichtigstes Thema ist aber die Schwierigkeit für Menschen, die mit einer Behinderung leben, einen Arbeitsplatz zu finden.

01:02:08 [00:17:36 bis 00:21:50]
"Zusammenhelfen war dort überhaupt sehr verpönt."

Klaudia Karoliny kam vor 62 Jahren mit einer angeborenen Querschnittslähmung auf die Welt. Nach ihrem Handelsschulabschluss arbeitete sie als Schreibkraft und Sachbearbeiterin in der Landesverwaltung in Linz und später als Bildungsbereichsleiterin im Empowerment Center, einem Beratungs- und Schulungszentrum für Menschen mit Behinderungen. In ihrem Oral History Interview erzählt Klaudia Karoliny von der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung und dem Besuch bei Demonstrationen. Sie erzählt vom Kennenlernen ihres Ehemannes und vom Muttersein, von ihrem Aufwachsen in der Familie und von der Suche nach einer geeigneten Schule. An ihre Pflichtschulzeit im Heim in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren hat sie keine gute Erinnerung.