Eine Erfindung auf der Suche nach einer Anwendung – Musikaufnahmen auf Walzen

Thomas Alva Edison brachte im Jahr 1888 einen verbesserten Phonographen auf den Markt. Obwohl Edison als Verwendungszweck in erster Linie Diktate im Bürokontext und private Aufnahmen im Auge hatte, wurden Musikaufnahmen kommerziell zu den bedeutendsten Inhalten von Tonzylindern. Die Verwen­dung von Wachszylindern für den Phonographen wurde erstmals für das ebenfalls ab 1888 vermarktete Graphophon verwendet, sie wurden auch für den Phonographen übernommen. Daneben waren auch andere Formate in Verwendung, das von Edison verwendete Format setzte sich jedoch für einige Jahre als Standard in der inter­nationalen Tonzylinderproduktion durch. Einige der zwischen 1888 und ca. 1920 am häufigsten verwendeten Zylinderformate werden hier kurz vorgestellt.

Musik aus der Dose – Ein Tonzylinder aus Wachs

Thomas Alva Edison nahm in den 1880er Jahren die Entwicklungsarbeit am Phono­graphen wieder auf und brachte im Jahr 1888 eine verbesserte Version seiner Erfindung heraus. In der Zwischenzeit war auch bereits ein anderes Konkurrenz­produkt entwickelt worden. Chichester Alexander Bell und Charles Sumner Tainter hatten 1886 das sogenannte Graphophon patentieren lassen, das ebenfalls ab 1888 für Bürozwecke vermarktet wurde. Für das Graphophon wurden Zylinder aus einem Wachs­gemisch als Tonträger verwendet. Thomas Alva Edison übernahm diese Technik für seinen Phono­graphen. Ab diesem Zeitpunkt stellten Wachswalzen bzw. Tonzylinder den bevorzugten Träger für Phonographen dar. Edisons Format wurde großteils zum Standard für die Walzenherstellung.
Walzenaufnahmen wurden technisch in sogenannter Tiefenschrift produziert, das heißt, die Auf­nahme­information wurde vertikal in die Rille geschnitten und beim Abspielen auch so wieder abgetastet. Die Tiefenschrift wurde in so gut wie allen Zylinderformaten angewendet und dient als Unterscheidungsmerkmal von Phono­graphen und Grammophonen.

Braune Wachswalzen

Braune Wachswalzen wurden ab 1888 verwendet und neben Musikauf­nahmen vor allem auch für Privat- und Büroauf­nahmen angeboten. Kommerzielle Aufnahmen auf braunen Wachszylindern sind meist direkt aufgenommen, da in den 1890er Jahren noch keine verlässlichen Kopier­verfahren für Tonzylinder existierten.
Aufnahmen auf braunen Wachswalzen wurden bis 1906 verkauft. Auch danach wurden sie noch hergestellt, jedoch verlagerte sich ihr Gebrauch vom kommerziellen in den privaten Bereich.
Braune Wachswalzen gelten als besonders empfindlich, da sie als direkt bespielte Walzen weicher waren als spätere Formate, sie nützten sich durch den Abspielvorgang auch leichter ab. Braune Wachswalzen können mit Geschwindig­keiten zwischen 90 und 185 UpM abgespielt werden, teilweise ist die verwendete Geschwindigkeit nicht normiert.

00:02:16
Blue Danube Waltz (1898)

Digitalisat aus dem UCSB Cylinder Project

Rezept zur Herstellung einer braunen Wachswalze

„Gleiche Theile hartes Wachs (Schusterwachs) und altes Stearin werden in einer Blechpfanne bis zur Dünnflüssigkeit erwärmt. Man nimmt das Gefäß sodann vom Feuer und gießt tropfweise Ätznatronlauge unter Umrühren zu, bis sich eine feste Masse gebildet hat. Hierauf fügt man noch ungefähr den vierten Teil des vorher genommenen Quantums Wachs, sowie Stearin, mit etwas Asphalt und Fichtenharz bei und kocht noch einmal bis zum Flüssig­werden auf. Nun kann der Guß in die vorher heiß gemachte Form erfolgen. Das Eingießen muß ohne Unterbrechung geschehen und ist die Walze erst nach dem Erkalten vorsichtig auszuheben. Mehr Wachs macht die Walze weicher, mehr Stearin hingegen spröder. Ein größerer Laugenzusatz erschwert das Auflösen im Feuer und erfordert rascheren Guß, weil die Flüssigkeit schneller erstarrt. Durch diese Eigenschaften vermag man also den Härtegrad einer Walze genau nach Wunsch und Erfordernis regeln.“
(Parzer-Mühlbacher, 1902:12)

00:02:12
Marche des Lutteurs

Digitalisat aus dem UCSB Cylinder Archive

Concert-Walzen

Ebenfalls aus braunem Wachs hergestellt aber mit 12,5 cm mehr als den doppelten Durchmesser einer Standard-Walze hatten die zwischen 1899 und 1908 produ­zie­rten Concert-Walzen.
Concert-Walzen waren vorbespielt mit einer Breitrille und derselben Spieldauer von 2 Minuten wie braune Wachswalzen. Concert-Walzen konnten wegen ihrer Dimensionen nur auf speziellen Phono­graphen abgespielt werden. Sie wurden zwischen 1899 und 1908 hergestellt. Auch andere Firmen brachten Walzen mit diesem großen Durchmesser auf den Markt.

Goldgusswalzen

Goldgusswalzen bzw. Hartgusswalzen waren die ersten industriell her­stell­baren Walzen. Sie wurden von 1902 bis ca. 1912 produziert. Ab 1908 wurden sie auch unter dem Namen „Standard-Walzen“ vertrieben.
Aus einem direkt aufgenommenen Original aus braunem Wachs wurde mittels eines galvanischen Verfahrens eine Gold-Kupfer-Gussform her­ge­stellt. Die Originalwalze wurde bei diesem Prozess zerstört.
Mithilfe der Gussform konnten aus der Originaleinspielung eine Vielzahl an völlig identen Aufnahmen herestellt werden. Die aus der Gussform her­ge­stellten Walzen waren außerdem um einiges widerstandsfähiger beim Abspielvorgang als braune Wachswalzen, jedoch auch spröder und zer­brech­licher.
Goldgusswalzen hatten eine Spieldauer von 2 Minuten, die Abspiel­geschwindigkeit war meist 160 Umdrehungen pro Minute.

Amberol-Zylinder

Als Reaktion auf die populärer werdende Konkurrenz durch Schellack­aufnahmen wurde 1908 der Amberol-Zylinder auf den Markt gebracht. Da Schellacks eine längere Spieldauer als die zuvor verkauften Walzen hatten, sollte diese verlängert werden. Durch eine Erhöhung der Rillendichte um das Doppelte konnte die Spielzeit der Amberol-Zylinder im Vergleich zu den vorher erhältlichen Walzen auf 4 Minuten verdoppelt werden. Amberol-Walzen waren – wie die bereits seit einigen Jahren hergestellten Goldguss­walzen – aus einer schwarzen Wachsmischung, jedoch mit einer größeren Härte. Dies führte dazu, dass sie auch spröder waren und dadurch zer­brech­licher wurden. Durch die feinere Rille musste von den Konsu­ment_innen auch ein anderes Abspielgerät verwendet werden, bzw. vorhandene Geräte umgerüstet werden. Amberol-Zylinder wurden nur ca. vier Jahre herge­stellt.

00:04:21
Call Me Up (1910)

Digitalisat aus dem UCSB Cylinder Project

Blaue Amberol-Zylinder

Die zerbrechlichen und sehr schnell abgenützten Amberol-Zylinder wurden ab 1912 durch ein neues Walzen-Format ersetzt. Die neu entwickelten Blue Amberol-Zylinder wurden nicht mehr aus Wachs, sondern aus dem sehr robusten Zelluloid hergestellt. Zelluloid war bereits einige Jahre zuvor für die Walzenproduktion verwendet worden, jedoch von Edison aufgrund auf­rechter Patente nicht verwendet worden. 1912 kaufte Edison die Patente der 1906 eingestellten Lambert Company.
Blaue Amberols ersetzten innerhalb kürzester Zeit alle vorher produzierten Walzenformate, viele Aufnahmen aus dem Katalog wurden neu auf Blauen Amberols herausgegeben.
Nachdem die Aufnahmestudios der Edison Phonograph Company 1914 durch ein Feuer zerstört wurden, wurden Blue Amberols nur mehr als akustische Überspielung von Edison Diamond Discs hergestellt, wodurch ihre Qualität sehr geschmälert wurde.
Blaue Amberols wurden bis 1929 hergestellt, danach wurde die Edison Phonograph Company eingestellt, womit die Ära der kommerziell herge­stellten Musikwalzen zu Ende ging.

Lioret-Zylinder

Bereits 1893 war Zelluloid als besonders hartes Material für die Produktion von Tonzylindern verwendet worden. Der französische Uhrmacher und Erfinder Henri Lioret hatte eine sprechende Puppe mit einem neuen Walzen­format entwickelt, das er in den 1890er Jahren zu einem eigenen Musik­walzensystem weiterentwickelte.

Lioret-Zylinder bestanden aus einer Messingkonstruktion mit einem Zelluloidüberzug. Lioret-Zylinder konnten bereits sehr früh mittels Guss­formen dupliziert werden. Lioret entwickelte dafür auch einen eigenen Phonographen, den sogenannten Lioretgraph. Die Walzen wurden mit ca. 100 bis 120 Umdrehungen pro Minute abgespielt, die in unterschied­lichen Dimension angefertigten Zylinder hatten eine Spieldauer von 30 Sekunden bis ca. 4 Minuten. 1899 listete der Lioret-Katalog ca. 1400 Titel.
Das Abspielsystem von Lioret konnte preislich nicht mit anderen Phono­graphen­systemen mithalten, 1901 wurde die Produktion von Lioret-Zylindern eingestellt.

Diamond Disc: Eine Platte für den Phonographen?

Edisons letzter Versuch, den seit 1910 überhandnehmenden Schall­platten­markt mitzuprägen, war eine besondere Schall­platte.
Auf einen mit Kunstharz überzogenen massiven Plattenkern wurden die Toninformationen über eine Pressmatrize ge­presst. Die Tonaufzeichnung wurde mit Tiefenschrift aus­ge­führt. Für die Abtastung wurde eine eigene Abspiel­vorrich­tung mit einem (namensgebenden) Diamant­saphir entwickelt. Die Platte konnte nur auf einem eigenen Ab­spiel­gerät abge­spielt werden, ein Abspielen auf herkömm­lichen Grammo­phonen war nicht möglich, bzw. zerstörte die Aufnahme. Die Qualität und Lautstärke der Aufnahmen war besser als zeitge­nössische Schellackaufnahmen. Bis 1927, als die elektrische Aufnahmetechnik für Schellackplatten bereit zum neuen Standard ge­worden war, wurden Diamond Discs akustisch aufgenommen.
Der Preis für die Abspielgeräte und Schallplatten lag um einiges über jenem von Grammophonen. Im Jahr 1929 wurde die Produktion von Diamond Discs eingestellt.

Die Edison Diamond Disc stellte bereits eine der letzten Neu­entwicklungen in der Ära der Phonographen-Aufnahmen (mit Tiefenschrift) dar. Obwohl sie durch die akustische Auf­nahme­technik bis in die Ära der elektrischen Aufnahme hinein als ein Symbol für eine obsolet gewordene Technik gesehen werden konnte, war sie durch ihre klangliche Brillanz und die Entwicklung der Long Playing Diamond Disc, die bereits das Potential der Vinyl-Ära vorwegnahm, auch ein Vorgriff auf zukünftige Aufnahmeformate. Die Erfindung setzte sich jedoch nicht durch.
Die Ära der Phonographen selbst ging noch einige Jahre weiter. Als Diktiergerät im Büroalltag sowie als Aufnahme­gerät für Field Recordings im Wissenschaftsbereich waren Phonographen noch bis in die 1950er Jahre in Verwendung.

00:04:23
A broken Doll (1916)

Edison Diamond Disc: Ein Schallplattenformat mit Tiefenschrift