Ein lang gehegter Traum

Tonaufzeichnungen sind in unserer Gesellschaft allgegenwärtig und aus unserem Alltag nicht wegzudenken. Die Möglichkeit, Töne aufzuzeichnen (und wiederzugeben) wurde allerdings erst am Ende des 19. Jahrhunderts erfolg­reich entwickelt. Als Erfinder der Tonaufzeichnung wird meist Thomas Alva Edison genannt. Seine Erfindung, die erstmals die maschinelle Aufzeichnung und Wiedergabe von Klängen möglich machte, erfolgte jedoch nicht aus dem Nichts. Dem zuvor stand eine jahrhundertelange Geschichte der Versuche, Sprache und Musik zu konservieren oder auch zu reproduzieren. Frühe Apparate zur Klangfixierung hatten entweder versucht, menschliche Stimm­organe in mechanischer Form nachzuvollziehen oder in einzelne Klänge zu zerteilen, die dann maschinell wiedergegeben werden sollten. Die schluss­end­lich in ihren Grundzügen sehr einfach anmutende Erfindung des Phono­graphen hatte einen vollkommen anderen Ansatz. Sie baute auf einigen vorherigen Erfindungen auf und wurde erst durch ein grundlegend neues Verständnis von Klängen, Geräuschen und Stimmen, das erst im Laufe des 19. Jahrhunderts entwickelt wurde, denkbar.

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Vibrationsexperimente im 19. Jahrhundert – Klang als Welle

Vibrationsexperimente im 19. Jahrhundert – Klang als Welle

Die Vibration einer Stimmgabel. Der Beginn der modernen Tonaufzeichnung?

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Das Echo eines Klangbildes aus dem Jahr 1850

Akustische Übertragung der Wellenform von Claude Servais Mathias Pouillet durch Patrick Feaster (firstsounds.org)

Der englische Physiker und Wellentheoretiker Thomas Young entdeckte Anfang des 19. Jahrhunderts, dass man die Vibrationen einer Stimmgabel auch in Form einer Welle aufzeichnen konnte. Im Vergleich zu früheren Versuchen der Herstellung von Klang- und Musikautomaten stellte der Versuch, Klang als Welle zu beschreiben und zu visualisieren, eine grundlegend neue Herangehensweise an die Frage der Klangaufzeichnung dar.

Thomas Young entwickelte bereits 1807 einen sogenannten Kymographen („Wellenschreiber“), der zur Aufzeichnung der Vibrationen einer Stimmgabel über einen sich drehenden Zylinder mit berußtem Papier verwendet wurde. Das Gerät ähnelt in seinem Konstruktionsprinzip bereits stark dem erst ca. 70 Jahre später entwickelten Phonographen.

Der französische Drucker Édouard-Léon Scott de Martinville entwickelte 1857 ein Gerät zur Auf­zeichnung von Klängen über eine Membran.
Mit dem Phonautographen konnten Klänge aller Art grafisch auf einem über einen Glaszylinder gespannten mit Ruß überzogenen Papierstreifen sichtbar gemacht werden. Die Erfindung diente in erster Linie der Visualisierung und Darstellung von Schallereignissen, die Möglichkeit einer Ton­wiedergabe war ursprünglich nicht angedacht.

Mit dem Phonautographen konnten erstmals Klänge über ein „Medium“ in eine visuelle Form transkribiert werden. Parallel zu den über die Luft mittels einer an einer Membran befestigten Schweineborste übertragenen Laut­ereignissen wurden bei den meisten Aufnahmen auch die Schwingungen einer Stimmgabel aufgezeichnet.

Digitale Reproduktion von Scotts Aufnahmen – das Projekt firstsounds.org

Obwohl eine Wiedergabe der Phon­autogramme von Scott aus dessen Sicht nicht vorgesehen war, war eine Reproduktion dieser Tonaufnahmen in den Phonautogrammen potentiell angelegt.

2008 konnten mehrere erhaltene Phonauto­gramme im Rahmen des Projektes firstsounds.org von David Giovannoni, Earl Cornell und Patrick Feaster mit Hilfe digitaler Methoden erstmals hörbar gemacht werden.

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Au Claire de la Lune

Übertragung einer Phonautographen­aufzeichnung aus dem Jahr 1860

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Gamme de La Voix

Stimmaufnahme einer Tonleiter, Übertragung einer Phonautographen­aufzeichnung aus dem Jahr 1860

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Auszug aus Ducis Othello

Übertragung einer Phonautographen­aufzeichnung aus dem Jahr 1860

00:00:14 [00:00:00]
Vole, Petite Abeille

Übertragung einer Phonautographen­aufzeichnung aus dem Jahr 1860

00:00:15 [00:00:00]
Jeune Jouvencelle

Übertragung einer Phonautographen­aufzeichnung aus dem Jahr 1857

00:00:24 [00:00:00]
Stimmgabel, 435 Hz

Übertragung einer Phonautographen­aufzeichnung aus dem Jahr 1859

Am 24. Dezember 1877 reichte Thomas Alva Edison in den USA ein Patent für eine neu entwickelte „Sprechmaschine“ ein.
Das von Edison entwickelte und von seinem Mitarbeiter John Kruesi konstruierte Gerät bestand aus einem Schalltrichter, aus einer Schalldose mit einer Membran und einer Nadel sowie einer sich drehenden Walze. Die Walze wurde mit einer Stanniolfolie über­zogen.

Aufnahmen wurden in den Trichter gesprochen, die Schallwellen wurden darin gebündelt und brachten eine Membran in der unter dem Trichter montierten Schalldose zum Schwingen. Die Schwingungen wurden über die Membran auf die daran befestigte Nadel übertragen und in die darunter rotierende Zinnfolie graviert.

Dieser Vorgang war prinzipiell um­kehr­bar, beim Anhören wird die Walze wieder gedreht, die Nadel tastet die gravierte Rille ab, ihre Bewegungen versetzen die Membran in Schwingung und über den darüber befestigten Wiedergabetrichter wird die Stimm­auf­nahme dann wieder hörbar.

Die Erfindung Edisons hatte in der Presse einen großen Widerhall. Edison gründete für die kommerzielle Vermarktung des Gerätes die Edison Speaking Phonograph Company, welche 1879 auch einen ersten Phonographen für den Haus­ge­brauch, den Edison Parlor Speaking Phonograph in den Verkauf brachte. Erste Phonographen wurden vereinzelt an Schausteller verkauft, die diese vor zahlendem Publikum als Attraktion ausstellten. 

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„Mary had a little lamb“

Thomas Alva Edison erinnert sich (1929)

Eine epochale Erfindung!? Wie geht’s weiter?

Das öffentliche Interesse an der neuen Erfindung ließ bald nach. Die schlechte Aufnahmequalität sowie die Fragilität der produzierten Aufnahmen waren Gründe für das abflauende Interesse an der neuen Erfindung.
Edison beschäftigte sich inzwischen wieder mit anderen Erfindungen und nahm erst 1888 seine Arbeit an der „Sprech­maschine“ wieder auf …