Das Ende des Kalten Krieges – Versuch einer Analyse

War diese geschichtliche Wendepunkt vorhersehbar? Die Antwort lautet „Nein“, in keinem Beitrag der Ö1-Journale, oder in irgendeiner anderen Nachrichtensendung oder Zeitung der Welt, war diese Prophezeiung zu hören, zu sehen oder zu lesen gewesen.

Von Anton Hubauer

13. Versuch einer Analyse

Beiträge zu Krisenherden und Stellvertreterkriegen in der Dritten Welt

1989 löste sich der Ostblock auf, 1990 folgte die deutsche Wiedervereinigung, und 1991 kam des Ende des Warschauer Paktes und der UdSSR. In drei Jahren hat eine Veränderung der Welt stattgefunden, die so niemand erwartete oder vorhersah, auch nicht in den Beiträgen der Ö1‑Journalsendungen. Am Ende dieser Arbeit soll noch ein kurzes Beispiel für eine mögliche Auswertung der Ö1‑Journalsendungen über den Kalten Krieg von der Seite der Ereignisgeschichte gegeben werden. Dazu muss zuerst ein thematischer Bereich des Kalten Krieges, ein Untersuchungsfeld, enger gefasst werden. Daraus können sich durchaus Anhaltspunkte zur Medienpräsenz, zur Interessenlage für bestimmte Themen, auch über längere Zeiträume, ergeben. Konkret soll die Berichterstattung im Ö1‑Mittagsjournal der Jahre 1979 bis 1989 über Staaten in der Dritten Welt, die Schauplätze von Stellvertreterkriegen und Krisenherde in den 70er und 80er Jahren waren, untersucht werden.

Ö1-Journal-Beiträge zu Krisenherden und Stellvertreterkriegen

Jahr

Afghanistan

Nicaragua

Vietnam

Kambodscha

Äthiopien

Somalia

1979

7

17

55

28

0

0

1980

168

3

15

9

0

1

1981

19

3

5

4

0

1

1982

8

5

2

1

1

1

1983

12

18

6

1

3

1

1984

5

33

9

4

4

1

1985

8

15

5

2

5

0

1986

15

17

2

1

2

0

1987

12

10

0

3

3

1

1988

29

10

3

6

7

1

1989

29

5

3

6

3

0

Beiträge

312

136

105

65

28

7

Bei diesem recht groben Vergleich zwischen einzelnen Krisenherden und Schauplätzen von Stellvertreterkriegen fällt zuerst die ungleiche Verteilung des medialen Interesses auf. Über 2/3 der Berichterstattung betreffen Afghanistan und Nicaragua.

Die Massierung in der Berichterstattung zu Afghanistan im Jahr 1980 ergibt sich durch die Berichte über den Einmarsch der Roten Armee und den Krieg im Land selbst, doch erhöhte sich diese Zahl durch die Berichte über die Reaktionen und die verschiedenen Sanktionsmaßnahmen der USA, der westlichen Welt und der Blockfreien-Staaten stark. Alleine zur Frage des Boykotts der Olympiade in Moskau 1980 wurden 25 Beiträge gesendet. Danach flachte das Interesse stark ab, um in den Jahren 1988 und 1989 durch den Abzug der Roten Armee aus Afghanistan wieder anzusteigen.

Die „Interessenskurve“ für Nicaragua mit Höhepunkten im Jahre 1979, und 1983 bis 1985 ergibt sich aus dem Sieg der Sandinisten und der Iran-Contra-Affäre, als die abenteuerlichsten Waffen- und Drogengeschäfte zur Finanzierung der anti-sandinistischen Kämpfer in Honduras, durch den Nationalen Sicherheitsrat der Vereinigten Staaten, aufgedeckt wurden.

Vietnam und Kambodscha fanden im Laufe der Berichterstattung auch noch ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit, wobei sich aber der Schwerpunkt im Jahr 1979 aus kriegerischen Ereignissen, für Medien immer von großem Interesse, ergab. Nach zunehmenden und immer schwereren Grenzverletzungen, durch die Roten Khmer, marschierte die vietnamesische Volksarmee in Kambodscha ein und stürzte das Wahnsinnsregime von Pol Pot. Weil Pol Pot aber ein Schützling der Volksrepublik China war, fühlte sich diese zu einer Strafexpedition nach Nordvietnam veranlasst.

Neben Laos rangierte ganz Afrika am unteren Ende des medialen Interesses, was das Wort vom vergessenen Kontinent zu bestätigen scheint. Das leicht gestiegene Interesse an Äthiopien hatte einen anderen Grund als Krieg, eine Hungersnot von biblischem Ausmaß vermochte das Gewissen, auch der österreichischen Öffentlichkeit, wachzurütteln. Die Ursachen für diese Katastrophe waren nur teilweise naturbedingt, zum Teil aber auch im Krieg zwischen Äthiopien und Somalia, sowie im Unabhängigkeitskampf von Eritrea zu suchen. Beide Konflikte waren älter als der Kalte Krieg, wurden durch ihn aber weiter entfacht.

Angola, der ständige Schauplatz eines Bürger- und Stellvertreterkrieges, brachte es auf ganze 18 Beiträge in 11 Jahren, verglichen mit Laos und Somalia, den beiden Schlusslichtern der Medienpräsenz, eine geradezu ausführliche Berichterstattung. Diese beiden Länder bekamen je 7 Beiträge in den 11 Jahren, pro Jahr also 0,64 Beiträge, oder, bei einer durchschnittlichen Dauer eines Beitrages von ca. 4 Minuten, ganze 2 Minuten und 34 Sekunden mediale Aufmerksamkeit.

Was aber aus keinem Beitrag wirklich herauszuhören ist, das ist der Zerfall des Ostblocks und das Ende des Kalten Krieges bis der Zeitpunkt da war. Kein Reporter, Journalist, Experte, Politiker oder Analytiker hätte im Jahr 1988 auf das Ende der UdSSR innerhalb der nächsten fünf Jahre auch nur einen müden Heller gesetzt. Die Geschichte, ihr Ablauf wurde einmal mehr nicht von den Zentren der Macht, egal ob den tatsächlichen oder scheinbaren, gelenkt, sie bahnte sich selbst ihren Weg.

(Publiziert 2008)

14. Literaturliste und Quellen

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15. Ö1-Journalsendungen

(JM-...... – Mittagsjournal, JA-...... – Abendjournal, JS-...... – Sonderjournal)

  • JM-680821_a
  • JM-721221_b
  • JM-721221_c
  • JS-711231
  • JM-761103
  • JM-771222
  • JM-780918
  • JM-781017
  • JM-790327
  • JM-790611
  • JM-790618
  • JM-791213
  • JM-791228
  • JM-800121
  • JM-801105
  • JM-830324
  • JM-840509
  • JM-840816
  • JM-841219
  • JM-850312
  • JM-850911
  • JM-851119
  • JM-860506
  • JM-860609
  • JA-860609
  • JM-861013
  • JM-870627
  • JM-871209
  • JA-880601
  • JM-890110
  • JM-890130
  • JM-890215
  • JM-890502
  • JM-890508
  • JM-890606
  • JM-890613
  • JM-890718
  • JM-891110
  • JM-891118
  • JA-891201
  • JA-891222
  • JM-891227
  • JA-891229