aus dem Mittagsjournal vom 15. April 1982, Beitrag 6
Hainburg
Chronologie der Berichterstattung über die Besetzung der Hainburger Au im Dezember 1984 anhand von Beiträgen aus den Journalsendungen des Österreichischen Rundfunks
von Johannes Kapeller
Der Weg in die Au
Die mediale Entwicklung des Themas „Hainburg“
1. Hainburg als Medienthema
Die Ereignisse rund um den geplanten Kraftwerksstandort Hainburg in Niederösterreich stellen in vielerlei Hinsicht eine bedeutende Zäsur in der politischen Geschichte Österreichs dar. Aus umweltpolitischer Sicht führten die Proteste – neben dem vorhergegangenen, ebenfalls erfolgreichen Protest gegen die Errichtung des Atomkraftwerkes Zwentendorf – zu einer allgemein verstärkten Sensibilisierung für Anliegen des Umweltschutzes und dessen politischer Umsetzung. Im Fall von Hainburg führten die Proteste in direkter Folge zu einem Abbruch der Bau-Arbeiten, in weiterer Folge zur Errichtung des Nationalparks Donau-Auen 1996. Auch in demokratiepolitischer Hinsicht hatten die erfolgreichen Proteste zahlreicher Umweltschützer verschiedener politischer Richtungen nachhaltige Auswirkungen.
Die erfolgreiche Protestbewegung, welche sich aus Umweltschützern und ‑initiativen verschiedenster politischer Richtungen konstituierte, stellte einen wichtigen Impuls zu einer verstärkten Demokratisierung der Öffentlichkeit dar und führte durch die Konsolidierung der Grün-Bewegung in weiterer Folge zur Gründung einer Grünen Partei in Österreich und damit zu einer Pluralisierung der politischen Landschaft Österreichs.
Hainburg ist nach wie vor im Bewusstsein vieler Menschen verankert, welche selbst keinen direkten Kontakt zu den Ereignissen hatten. Dies ist eine direkte Folge der Medialisierung dieses Ereignisses. Die Medienberichterstattung spielte jedoch nicht nur bei der Bewertung der Proteste in der Öffentlichkeit eine zentrale Rolle. Sowohl die direkten Auseinandersetzungen in der Hainburger Au als auch die Diskussionen davor und danach wurden in der medialen Berichterstattung nicht nur thematisiert, sie beeinflussten durch die Art der Berichterstattung auch den Verlauf des Ereignisses selbst (vgl. dazu auch Audioquelle 18, JM‑840526; 6. Beitrag).
In der Auseinandersetzung mit dem historischen „Medienthema Hainburg“ sind Medien demnach sowohl als Quellenmaterial, als auch als Thema der inhaltlichen Auseinandersetzung selbst von Bedeutung. Das eine bedingt das andere. Ohne Quellenmaterial ist auch eine Reflexion darüber sehr schwer möglich. Im Falle von AV-Quellen ergibt sich hier jedoch nach wie vor ein großes Problem. Im Verhältnis der sozialen bzw. kulturellen Bedeutung von AV-Medien zur Häufigkeit ihrer Verwendung als (historische) Quelle im wissenschaftlichen Diskurs klafft nach wie vor eine große Lücke. Ein Hauptgrund dafür ist unserer Ansicht nach auf die sehr erschwerte Zugänglichkeit dieser Bestände zurückzuführen. Dem abzuhelfen, stellt eines der Hauptanliegen der Online-Datenbank dar.
Die in dieser Datenbank enthaltene Fülle an Informationen soll hier am Beispiel der Auseinandersetzungen um den Kraftwerksbau in Form einer Chronologie der Berichterstattung anhand der Originalquellen vorgestellt und strukturiert werden.
2. Zur Quellenlage
Der in der Österreichischen Mediathek lagernde Bestand an Tonbandaufnahmen umfasst im Projektzeitraum von 1980 bis 1989 durchgehende Aufnahmen der Ausgaben von Morgenjournalen, Mittagsjournalen und Abendjournalen.
Im Rahmen des vorliegenden Projektes wurde aufgrund dieses immensen Materialumfanges ein Schwerpunkt auf die Digitalisierung der Mittagsjournale dieses Aufnahmezeitraumes gelegt. Diese sind durchgehend erfasst, vollständig digitalisiert, auf Einzelbeitragsebene katalogisiert und in voller Länge in der Online-Datenbank abrufbar.
Für den inhaltlichen Schwerpunkt Hainburg wurden darüber hinaus im Zeitraum 8. bis 24. Dezember 1984 – dem Zeitraum der direkten Auseinandersetzungen in der Stopfenreuther Au – zusätzlich alle verfügbaren Morgen- bzw. Abendjournale aufgearbeitet. Weitere Einzelsendungen zum Thema wurden, aufgrund der Inhaltsangaben in den Journalbüchern, ebenfalls hinzugefügt. Auch sie sind online verfügbar.
Für die vorliegende Chronologie heißt dies: Für den Berichterstattungszeitraum vor und nach der Besetzung der Au werden „nur“ die Mittagsjournale für die Darstellung herangezogen, für die Zeit dazwischen zusätzlich auch Morgen- und Abendjournale.
3. Chronologie der Berichterstattung
Zu den ausgewählten Audio-Ausschnitten
Als Basis der Quellendarstellung wurden in diesem Artikel gesamte Einzelbeiträge ausgewählt. Da im Rahmen der Journal-Berichterstattung meist ein inhaltlich klar definiertes Thema als Inhalt eines Beitrages präsentiert wird, ermöglichen diese Sendungsausschnitte eine möglichst detaillierte Darstellung der gesamt vorhandenen Inhalte zu einem Thema. Im Fall von mehreren aufeinander folgenden Beiträgen zum gleichen Thema, was im konkreten Fall besonders während des Zeitraumes der Au-Besetzung sehr häufig vorkam, werden diese auch als zusammenhängender Ausschnitt dargestellt. Angegeben werden neben dem Titel der Sendung auch der jeweilige Gestalter des Beitrages sowie der Moderator des Journals.
Die verwendeten Audioquellen wurden mithilfe des im Rahmen des Projektes erstellten Kataloges ausgewählt. Für über Einzelbeiträge hinausgehende Recherchen, welche sich mit dem erweiterten Kontext der Berichterstattung in diesem Zeitraum beschäftigen, wird auf die Online-Suche verwiesen.
Innerhalb einer Journalsendung nimmt der sogenannte Beitragsteil den Großteil der Sendezeit ein. Die ebenfalls im Rahmen der Journalberichterstattung präsentierten Kurznachrichten der Nachrichtenredaktion, welche zum Beispiel bei Mittagsjournalen jeweils zu Beginn und Ende einer Sendung präsentiert werden, wurden nicht in die vorliegende Darstellung einbezogen. Auch dafür gilt natürlich der Verweis auf die Gesamtausgabe der Sendungen in der Online-Datenbank.
In den Kapiteln 4–8, in denen der Weg zur Realisierung des Bauvorhabens sowie die Berichterstattung über den sich bildenden Widerstand thematisiert wird, stellen die Audioquellen eine Auswahl aus dem vorhandenen Material der Berichterstattung dar. Dasselbe gilt für die Kapitel 18 und 19, das den weiteren Verlauf der Diskussion nach dem sogenannten Weihnachtsfrieden bis zum Ende der Au-Besetzung verfolgt.
Der zentrale Teil der Chronologie (Kapitel 9–17), in dem die Audioquellen der Berichterstattung über das Geschehen in der Au den Fokus bilden, beinhaltet vollständig die in Bezug zum Thema gesendeten inhaltlichen Beiträge der vorhandenen Sendungen.
4. Ankündigungen und Pläne
Standortfragen
Das Thema Kraftwerksbau war in Österreich seit den Diskussionen und Abstimmungen um die Errichtung des Kraftwerkes Zwentendorf ein wichtiges Thema in der innenpolitischen Landschaft Österreichs. Eine allgemeine Sensibilität für Umweltfragen kann in diesem Zeitraum ebenfalls angenommen werden. Dies wird auch in der Berichterstattung der Ö1-Journalsendungen reflektiert. Über Hainburg selbst wird in den Mittagsjournalen bereits 1982 berichtet.
Bei einer Pressekonferenz der Errichtungsgesellschaft DOKW wird eine Entscheidung bezüglich des Standortes für Mitte 1983 angekündigt (Audioquelle 1, Mittagsjournal vom 15. April 1982).
Bis kurz vor dem angekündigten Zeitpunkt wird das Thema Hainburg in der Journal-Berichterstattung nicht weiter erwähnt. Bei einer Bilanzpressekonferenz der DOKW am 28. April 1983 erfolgt der nächste Beitrag. Die Betreibergesellschaft präsentiert das Ergebnis der Standortsuche. Von den in Erwägung gezogenen Varianten schont, laut Angaben von DOKW-Direktor Josef Kobilka, Hainburg die Umwelt am meisten. Das geplante Kraftwerksvorhaben würde „nur“ 500 Hektar Augebiet beanspruchen, zudem ergäben sich positive Auswirkungen auf den Kurbetrieb in Bad Deutsch-Altenburg sowie allgemein für den Grundwasserspiegel im Marchfeld. Angekündigt werden weitere Diskussionen, im Herbst soll das wasserrechtliche Verfahren eingeleitet werden. Von 1984 bis 1987 wäre die Errichtung des Kraftwerkes geplant (Audioquelle 2, Mittagjournal vom 28. April 1983).
Auf Grund der auch zu diesem Zeitpunkt bereits vorhandenen Kritikpunkte wäre es verständlich, wenn diese Entscheidung auch in den Journalen größeren Widerhall gefunden hätte. Die zu dieser Zeit stattfindenden Nationalratswahlen beanspruchten jedoch den größten Teil der innenpolitischen Aufmerksamkeit und Sendezeit.
Ein weiterer Beitrag wird dem Thema erst zwei Monate später gewidmet. Vizekanzler Norbert Steger besucht den geplanten Kraftwerksstandort. In diesem Beitrag kommt auch die Seite der Kraftwerksgegner erstmals im O-Ton zu Wort. Der WWF-Vertreter Gerald Navara kritisiert das Projekt (Audioquelle 3, Mittagsjournal vom 25. Juni 1983).
5. Diskussionen
Hainburg als „Sommerthema“ in der Berichterstattung
Im August 1983 entwickelt sich das Thema Hainburg zu einem so genannten „Sommerthema“ in der Berichterstattung (vgl. Mittagsjournal vom 4. August 1983: 3. Beitrag). Mit Beginn August 1983 wird dem Thema von Seiten verschiedener politischer Fraktionen sowie damit einhergehend auch der Journal-Redaktion größere Aufmerksamkeit gewidmet. Dies wirkt sich in Form verdichteter Berichterstattung aus.
So wird am 2. August 1983 nach einer Sonderministerratssitzung von der nicht abgeschlossenen Entscheidungsfindung der Regierung bezüglich des Kraftwerksbaus berichtet, Bundeskanzler Fred Sinowatz betont die Bedeutung der wasserrechtlichen Gutachten (Audioquelle 4, Mittagsjournal vom 2. August 1983), am Tag darauf bezeichnet ein Experte des Wirtschaftsforschungsinstitutes, Karl Musil, das Kraftwerksprojekt als „politische Entscheidung, die keiner einem Politiker abnehmen kann“. (Audioquelle 5). Auf die Relevanz des Themas für die Journal-Redaktion kann hier auch dadurch geschlossen werden, dass die Aussage des Wissenschaftlers bereits als Trailer vor dem Nachrichtenüberblick gesendet wird. Diese Praxis wurde im Rahmen der Journalberichterstattung nur bei aktuellen Schlagzeilen von besonderer Bedeutung angewendet. In den weiteren Beiträgen dieser Sendung wird eine Inlandspresseschau dem Thema gewidmet, sowie Einwände der ÖVP-Opposition präsentiert (Audioquelle 6, Mittagsjournal vom 3. August 1983).
In den folgenden drei Wochen wird die Diskussion um Hainburg in der Berichterstattung weiter verfolgt, die Inlandspresseschau widmet sich gehäuft dem Thema. Allgemein wird nun auch den Kraftwerksgegnern vermehrt Sendezeit eingeräumt, so wird unter anderem ein längeres Gespräch mit dem Biologen Bernd Lötsch über ökologische Einwände gegen das Projekt geführt (Audioquelle 7, Mittagsjournal vom 16. August 1983), in einem weiteren Interview wird der Umweltaktivist und Verhaltensforscher Konrad Lorenz in der samstäglichen Reihe „Im Journal zu Gast“ befragt (Audioquelle 8, Mittagsjournal vom 27. August 1983).
Das „Sommerthema Hainburg“ neigt sich Anfang September dem Berichterstattungs-Ende zu, andere Themen rücken wieder in den Vordergrund.
6. Entscheidung 1
Bevorzugter Wasserbau
Die nächsten Stimmen werden Mitte Dezember 1983 hörbar. Im Zuge der bevorstehenden Konkretisierung des Bauvorhabens, der Umwidmung in einen „bevorzugten Wasserbau“ wird nach einer Umweltdebatte im Parlament eine Pressekonferenz einer Aktionsgemeinschaft gegen das Kraftwerk gesendet (Audioquelle 9, Mittagsjournal vom 15. Dezember 1983).
Am 19. Dezember 1983 gibt SPÖ-Landwirtschaftsminister Günter Haiden seine Entscheidung bekannt, das Kraftwerksprojekt noch 1983 zum „bevorzugten Wasserbau“ zu erklären. Der Begriff „bevorzugter Wasserbau“ sowie der Weg und die Auflagen zu einer endgültigen Baugenehmigung werden ebenfalls in diesem Beitrag skizziert (Audioquelle 10, Mittagsjournal vom 19. Dezember 1983). Im Rahmen der Journalberichterstattung folgt eine Reaktion von ÖVP-Umweltsprecher Walter Heinzinger (Audioquelle 11, Mittagsjournal vom 21. Dezember 1983); über die tatsächliche Erklärung zum bevorzugten Wasserbau am 22. Dezember 1983 wird, zumindest in den Mittagsjournalen, nicht mehr berichtet.
Nachdem über die Weihnachtsfeiertage wieder eine Berichterstattungspause eingetreten war, folgen noch einige Beiträge in den Mittagsjournalen Anfang Jänner. Eine Inlandspresseschau als Reaktion auf die Aussagen von Landwirtschaftsminister Haiden in der Fernseh-Pressestunde (Audioquelle 12, Mittagsjournal vom 9. Jänner 1984), sowie ein Grundsatzbeschluss der ÖVP-Opposition: Ja zum Ausbau der Wasserkraft – Ja zur Erhaltung der Au-Landschaft (Audioquelle 13, Mittagsjournal vom 12. Jänner 1984) schließen diese Phase der Berichterstattung vorerst ab.
7. Widerstand
Aktionismus und Begutachtung
Im April und Mai 1984 wird wieder umfangreich vom Thema berichtet.
Die ÖVP bringt die so genannte Konrad-Lorenz-Petition gegen den Kraftwerksbau im Parlament ein (Audioquelle 14, Mittagsjournal vom 11. April 1984). Das Personenkomitee für das geplante „Konrad-Lorenz-Volksbegehren“ präsentiert sich am 7. Mai 1984 im Presseclub Concordia im Rahmen einer „Pressekonferenz der Tiere“ in Tierkostümen (Audioquelle 15, Mittagsjournal vom 7. Mai 1984; Audioquelle 16, Mittagsjournal vom 14. Mai 1984).
Parallel dazu wird von Seiten der Gewerkschaft am Heldenplatz eine Arbeiterdemonstration für den Kraftwerksbau organisiert (Audioquelle 17, Mittagsjournal vom 17. Mai 1984). Das Thema Kraftwerksbau wird im Mai 1984 zu einem der Hauptthemen der innenpolitischen Berichterstattung. Ein Aspekt, der zu dieser Zeit bereits in einer Journalsendung aufgegriffen wird, ist die Rolle der Printmedien, allen voran die Kronenzeitung, welche dezidiert Partei gegen den Kraftwerksbau ergriffen hat (Audioquelle 18, Mittagsjournal vom 26. Mai 1984).
8. Entscheidung 2
Baubewilligung und Reaktionen
Ende November folgt die Bekanntgabe einer schwerwiegenden Entscheidung.
Der niederösterreichische Umweltlandesrat Ernest Brezovsky verkündet die Naturschutzrechtliche Baubewilligung für das Kraftwerksprojekt, SPÖ-Zentralsekretär Peter Schieder bestätigt sie (Audioquelle 19, Mittagsjournal vom 26. November 1984). Die Reaktionen sind zahlreich, die Berichterstattung zum Thema Hainburg wird intensiviert (Audioquelle 20, Mittagsjournal vom 27. November 1984). Die Proponenten des Konrad-Lorenz-Volksbegehrens sprechen bei Bundespräsident Rudolf Kirchschläger vor, auch die tschechoslowakische Regierung ist verstimmt (Audioquelle 21, Mittagsjournal vom 28. November 1984), die ÖVP-Opposition ist in ihrer Haltung uneins. In einem weiteren Beitrag wird eine parteiübergreifende Fraueninitiative gegen Hainburg präsentiert (Audioquelle 22, Mittagsjournal vom 29. November 1984). Am 6. Dezember gibt Landwirtschaftsminister Haiden (SPÖ) schließlich die wasserrechtliche Entscheidung und den positiven Abschluss des Verfahrens bekannt: Das Kraftwerk wird gebaut (Audioquelle 23, Mittagsjournal vom 6. Dezember 1984).