Wahlen als Wendepunkte der 80er Jahre – Berichtanalyse zur Nationalratswahl 1983, Hainburg und die Grünen und Jörg Haiders Aufstieg in der FPÖ

Die Nationalratswahl war 1983 das wichtigste Thema der Berichterstattung, auch in den Ö1-Journalen. Daneben fand aber durch die Protest- und Bürgerbewegung rund um das geplante Donaukraftwerk Hainburg ein zweite Geburtsstunde der Grünen als politische Kraft statt und Jörg Haider begann seinen unaufhaltsamen Aufstieg, zumindest zur Spitze der FPÖ.

Von Anton Hubauer

9. Das rot-blaue Kabinett

Die Berichterstattung zur Regierungsbildung

Die Regierungsangelobung erfolgte am 24. Mai 1983, genau einen Monat nach der Wahl hatte Österreich eine neue Bundesregierung (Audioquelle 38: Mittagsjournal, JM‑830524: 3.–4. Beitrag). In den nächsten Tagen war in jedem Mittagsjournal ein Interview-Beitrag mit einem neuen Regierungsmitglied, welches die zukünftigen Arbeitsschwerpunkte seines Ressorts umschrieb (Audioquelle 39: Mittagsjournal, JM‑830525: 3.–4. Beitrag; Audioquelle 40: Mittagsjournal, JM‑830526: 5. Beitrag; Audioquelle 41: Mittagsjournal, JM‑830527: 5. Beitrag). Die Berichterstattung über den Wahlkampf, das Wahlergebnis, diverse Wahlanalysen und die Koalitionsverhandlungen war umfangreich. In den Tagen vor der Wahl und unmittelbar nach der Wahl stand diese klar im Vordergrund der Berichterstattung, aber es kam nicht zu einer alle anderen Themen verschüttenden Wahl-Berichterstattungs-Lawine mit anschließender Endlos-Analyse des Ergebnisses. Mit Ausnahme des Mittagsjournals am Montag unmittelbar nach dem Wahlsonntag, waren in jeder Sendung Außenpolitik, Kultur und andere innenpolitische Themen durchaus vertreten.

00:10:59
Audioquelle 38: Mittagsjournal 24.05.1983 - Angelobung der neuen Regierung
00:09:53
Audioquelle 39: Mittagsjournal 25.05.1983 - Die neue Regierung
00:08:48
Audioquelle 40: Mittagsjournal 26.05.1983 - Der neue Justizminister Ofner
00:09:25
Audioquelle 41: Mittagsjournal vom 27.05.1983 - Der neue Vizekanzler Steger

10. Berichterstattung zur Nationalratswahl 1983

Ö1-Mittagsjournal Beiträge zur Wahl im März, April und Mai 1983

Eine statistische Auswertung für den März, April und Mai 1983 spiegelt diese Einschätzung klar wieder.

Nationalratswahl 1983 im Ö1-Mittagsjournal - März 1983

Datum

Beiträge

Wahl

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SPÖ

ÖVP

FPÖ

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Summe

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%

100

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0,4

0,4

0,3

0,3

Auffallend für die Berichterstattung über den Nationalratswahlkampf im März ist der hohe Anteil für die VGÖ. Verursacht wurde das starke Interesse durch die Affäre um das angebliche Interview von Herbert Fux für die Zeitschrift „Basta“ und den daran anschließenden Streit zwischen Tollmann und Fux, inklusive Polit-Selbstmord im Mittagsjournal, ab dem 24. März. Alleine sechs Inlandspresseschauen widmeten sich nur diesem Thema.

Nationalratswahl 1983 im Ö1-Mittagsjournal - April 1983

Datum

Beiträge

Wahl

Mehrfach

SPÖ

ÖVP

FPÖ

KPÖ

ALÖ

VGÖ

Allg.

1.

12

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1

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2.

9

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9

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1

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3

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13.

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2

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16

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3

26.

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1

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4

27.

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3

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9

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1

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Summe

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%

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4,5

3,3

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0,7

0,4

6,3

Im April ergab sich eine Art von chronologischer Unterteilung der Berichterstattung in drei Abschnitte: den Intensivwahlkampf, die Wahl selbst und das Ergebnis, sowie die Folgen der Wahl. Auffallend ist, dass bereits in der Berichterstattung über die Intensivwahlkampfphase das mediale Interesse an VGÖ und ALÖ stark abgenommen hatte. Das Wahlergebnis gab hier den Medienmachern recht. Bezeichnend ist aber auch die Tatsache, dass im am unmittelbarsten betroffenen Monat April die Wahlberichterstattung unter 30 Prozent der Gesamtberichterstattung blieb.

Nationalratswahl 1983 im Ö1-Mittagsjournal - Mai 1983

Datum

Beiträge

Wahl

Mehrfach

SPÖ

ÖVP

FPÖ

KPÖ

ALÖ

VGÖ

Allg.

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1

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1

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11

2

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1

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21

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2

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2

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2

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2

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1

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3

Summe

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53

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8

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%

100

24,1

4,1

5,9

3,6

3,6

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0,5

-

6,4

Berichtet wurde im Mai zum Abschluss der Koalitionsverhandlungen, der neuen Regierung und der Haltung der ÖVP als einziger Oppositionspartei zum rot-blauen Erstversuch. Eine Auswertung nur nach Monat und Wahlbeiträgen ergibt folgendes:

Überblick Wahl-Beiträge - Ö1-Mittagsjournal - Nationalratswahl 1983

Monat

Wahl

Mehrfach

SPÖ

ÖVP

FPÖ

KPÖ

ALÖ

VGÖ

Allg.

März

54

13

11

5

3

1

1

10

10

April

78

23

13

12

9

1

2

1

17

Mai

53

9

13

8

8

-

1

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14

Summe

185

45

37

25

20

2

4

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41

%

100

24,3

20

13,5

10,8

1,1

2,2

5,9

22,2

Die kleinen Parteien verschwanden wieder in der medialen Versenkung. Die Wahl-Berichterstattung insgesamt ebbte ab, der innenpolitische Alltag hielt wieder Einzug im Ö1-Mittagsjournal.

11. Nach der Wahl ist vor der Wahl

Der Beginn der Ära Sinowatz

Zu diesem innenpolitischen Alltag zählten neben einer Vielzahl von anderen Themen beispielsweise die Startschwierigkeiten der Koalition oder auch der Langzeit-Kampf zwischen Alt-Bundeskanzler Kreisky und Creditanstalt-Generaldirektor Androsch, in dem es zu mehr als nur einer weiteren Runde kam. Auch verschlechterte sich in Österreich die Wirtschaftslage zusehends, was einem weiteren innenpolitischen Dauerbrenner, der Diskussion um die Arbeitszeit, beziehungsweise deren Verkürzung, neues Material lieferte.

Aber es gab auch eine Art von innenpolitischem Wetterleuchten, welches zukünftige Veränderungen in der politischen Landschaft Österreichs ankündigte. Jörg Haider, seit 1979 im Nationalrat und Sozialsprecher der FPÖ, wurde zum neuen Kärntner FPÖ-Obmann gewählt (Audioquelle 42: Mittagsjournal, JM‑830924: 6. Beitrag). Diese Wahl zum Obmann der stärksten Landesparteigruppe innerhalb der FPÖ konnte schon als eine Kampfansage an den FPÖ-Bundesparteiobmann Steger und dessen politisches Wirken und Wollen verstanden werden. Norbert Stegers Wirken als Vizekanzler schien die FPÖ von einer Klein-Partei in eine Kleinst-Partei zu verwandeln, die Wahlen verlor und deren zukünftiger Verbleib im Parlament immer unsicherer erschien, während sein Wollen die FPÖ von einer national-liberalen Partei am rechten Rand des politischen Spektrums in eine nur mehr liberale Partei mit einigen nationalen Emotionen umzugestalten suchte. In einem Interview für das Ö1-Mittagsjournal am 14. November 1983 äußerte sich Jörg Haider zum Konflikt innerhalb der FPÖ zwischen liberalem Flügel und nationalem Flügel. Haider verteidigte dabei das Element des Nationalen in der FPÖ, wobei er dies in sehr moderaten und wohl gesetzten Worten tat (Audioquelle 43: Mittagsjournal, JM‑831114: 3. Beitrag).

Nach weiteren Wahlen mit Verlusten oder bestenfalls Stimmen-Stillstand für die FPÖ erhöhte Jörg Haider seinen innerparteilichen Druck auf Norbert Steger. Ein außerordentlicher Parteitag sollte Fragen zum Privilegienabbau, einer steuerlichen Entlastung, der Minderheitenpolitik aber auch zur Führung der FPÖ klären. Vizekanzler Steger antwortete darauf in einer Pressekonferenz am 1. August 1984. Der Zufall führte Regie, als ein Vorhang im Raum der Pressekonferenz einem Fernsehscheinwerfer zu nahe kam und in Flammen aufging, der Kampf um die FPÖ-Spitze war voll entbrannt. Stegers Reaktion selbst fiel sehr kurz und lapidar aus – er hätte sich von Haider andere Glückwünsche zu seiner Hochzeit erwartet (Audioquelle 44: Mittagsjournal, JM‑840801: 6.–7. Beitrag).

Ein weiterer wichtiger Akteur für Österreichs Politik hatte im September 1984 die große politische Bühne betreten, Franz Vranitzky wurde Herbert Salchers Nachfolger als Finanzminister (Audioquelle 45: Mittagsjournal, JM‑840903: 5. Beitrag; Audioquelle 46: Mittagsjournal, JM‑840905: 5. Beitrag).

00:03:44
Audioquelle 42: Mittagsjournal 24.09.1983 - Jörg Haider neuer Kärntner FPÖ-Parteiobmann
00:04:29
Audioquelle 43: Mittagsjournal 14.11.1983 - Interview mit Jörg Haider
00:07:31
Audioquelle 44: Mittagsjournal 01.08.1984 - Konflikt in der FPÖ
00:05:22
Audioquelle 45: Mittagsjournal 03.09.1984 - Neuer Finanzminister Vranitzky
00:12:00
Audioquelle 46: Mittagsjournal 05.09.1984 - Regierungsumbildung

12. Streit in der FPÖ und Streit um Hainburg

Von Jörg Haiders Aufstieg und die zweite Geburtsstunde der Grünen

Die Landtagswahl in Kärnten am 30. September 1984, die einen Wahlerfolg für die FPÖ und Jörg Haider brachte, verschärfte den Konflikt zwischen Haider und Steger weiter. Am 6. Oktober 1984 war Jörg Haider „Im Journal zu Gast“. Im ausführlichen Interview mit Ulrich Brunner betonte er seine national-liberale Position. Das Bekenntnis zur deutschen Volks- und Kulturgemeinschaft sollte nach Haider weiterhin im Parteiprogramm der FPÖ bleiben, aber Haider bekannte sich gleichzeitig vorbehaltlos zur Republik Österreich. Daneben gab es eine klare Herausforderung an Norbert Steger und die Bundes-FPÖ. Diese sollte den Wahlsieg der FPÖ in Kärnten bei ihrer zukünftigen Vorgehensweise nicht vergessen (Audioquelle 47: Mittagsjournal, JM‑841006: 5. Beitrag).

Das beherrschende Thema der nächsten Wochen war aber das geplante Donaukraftwerk in den Hainburger Auen. Schon am 7. Mai 1984 hatte bei der „Pressekonferenz der Tiere“ eine breite Plattform gegen die Errichtung des Kraftwerkes Stellung bezogen (Audioquelle 48: Mittagsjournal, JM‑840507: 5. Beitrag). Die Einleitung eines Volksbegehrens gegen die Errichtung des Kraftwerkes wurde beschlossen, und der Nobelpreisträger Konrad Lorenz konnte, wie schon im Kampf gegen das Atomkraftwerk Zwentendorf, als Frontmann gewonnen werden. Ende Oktober 1984 gab die Grün-Bewegung in Vorarlberg ein kräftiges Lebenszeichen von sich, als am 21. Oktober, unter dem Spitzenkandidaten Kaspanaze Simma, Grüne mit sensationellen 13 Prozent in den Vorarlberger Landtag zogen (Audioquelle 49: Mittagsjournal, JM‑841020: 3. Beitrag; Audioquelle 50: Mittagsjournal, JM‑841022: 6. Beitrag).

Die Auseinandersetzung um die Hainburger Auen erfuhr im Dezember 1984 eine Verschärfung, ja eine Hebung auf eine völlig andere Ebene. Am 8. Dezember hatte die Österreichische Hochschülerschaft zu einer Sternfahrt in die bedrohte Au aufgerufen, woraus die Au-Besetzung entstand. Als das geplante Rodungsgebiet in den Auwäldern bei Hainburg zum Sperrgebiet erklärt worden war kam es am 19. Dezember zum Einsatz von Polizei und Gendarmerie zur Räumung der zukünftigen Kraftwerksbaustelle. Dabei ging die Exekutive mit für Österreich ungewohnter Härte gegen die Au-Besetzer vor. Diese Ausübung staatlicher Gewalt knapp vor dem Fest des Friedens erreichte das genaue Gegenteil des von der Regierung angestrebten Zieles. Die öffentliche Meinung wandte sich endgültig gegen die Errichtung des Kraftwerkes in einer der letzten unberührten Au-Landschaften Ostösterreichs. Am 21. Dezember verhängte die Bundesregierung einen Baustopp, und am 22. Dezember verkündete Bundeskanzler Sinowatz einen Weihnachtsfrieden. Daraufhin strömten tausende Umweltaktivisten zurück in die Au, um dort Weihnachten und ihren voraussichtlichen Sieg zu feiern.

00:16:31
Audioquelle 47: Mittagsjournal 06.10.1984 - Jörg Haider im Journal zu Gast
00:07:19
Audioquelle 48: Mittagsjournal 07.05.1984 - Konflikt um Donaukraftwerk in Hainburger Au
00:06:23
Audioquelle 49: Mittagsjournal 20.10.1984 - Ein Grün-Pionier - Kaspanaze Simma
00:06:48
Audioquelle 50: Mittagsjournal 22.101984 - Wer ist Kaspanaze Simma eigentlich?