Wahlen als Wendepunkte der 80er Jahre – Kurt Waldheim als Bundespräsident und das Ende der Kleinen Koalition

Kurt Waldheim hatte sich bereits 1971 um das Amt des Bundespräsidenten beworben, er unterlag dem Amtsinhaber Franz Jonas. Für Waldheim folgten zwei Amtsperioden als UNO-Generalsekretär und 1986 die zweite Kandidatur für das höchste Amt der Republik. Die nun folgende Waldheim-Affäre war so von niemanden erwartet worden.

Von Anton Hubauer

17. Der Bundspräsident kommt und der Bundeskanzler geht

Innenpolitische Konsequenzen der Bundespräsidentenwahl

Innenpolitisch bewirkte der Sieg von Kurt Waldheim einen Wechsel an der Regierungsspitze. Bundeskanzler Fred Sinowatz hatte noch vor der Bundespräsidentenwahl verlautbart, dass er unter einem Bundespräsidenten Waldheim die Regierung nicht mehr führen würde. Dazu stand er auch. Am 9. Juni 1986 trat Bundeskanzler Sinowatz zurück und Franz Vranitzky wurde der nunmehr achte Bundeskanzler der Zweiten Republik (Audioquelle 67: Abendjournal, JA‑860609: 1.–4. Beitrag). Die 1987 eröffneten Gerichtsverfahren, rund um die im Jahre 1985 von Sinowatz gemachte Ankündigung, Waldheims braune Vergangenheit im Präsidentschaftswahlkampf zu thematisieren, fanden auch Eingang in die Ö1-Journale, doch gehören sie eigentlich nur indirekt zum Thema dieser Arbeit und werden deshalb nicht näher in die Arbeit einbezogen. Sinowatz blieb noch bis zum März 1988 SPÖ-Vorsitzender, von dieser Position trat er am 17. März 1988 zurück, und Vranitzky wurde auch hier, in SPÖ-Tradition, dass der Bundeskanzler auch Parteivorsitzender ist, sein Nachfolger (Audioquelle 68: Mittagsjournal, JM‑880317: 1. Beitrag; Audioquelle 69: Abendjournal, JA‑880317: 1. Beitrag; Audioquelle 70: Abendjournal, JA‑880317: 8. Beitrag).

00:24:49
Audioquelle 67: Abendjournal 09.06.1986 - Waldheim kommt Sinowatz geht - Reaktionen
00:01:56
Audioquelle 68:Mittagsjournal 17.03.1988 - SPÖ Personalfragen
00:05:52
Audioquelle 69: Abendjournal 17.03.1988 - Rücktritt des SPÖ-Vorsitzenden Sinowatz
00:21:40
Audioquelle 70: Abendjournal 17.03.1988 - Journal-Panorama - SPÖ-Chef Sinowatz geht nach 5 Jahren - Porträt

18. Folgen der Bundespräsidentenwahl

Nachbeben in der Berichterstattung?

Der neue Bundeskanzler setzte vorerst noch die Koalition mit der FPÖ unter Norbert Steger als den Garant für eine liberale Politik der Bundes-FPÖ fort. In der FPÖ schien Norbert Steger die Oberhand zu behalten. Ein Kompromiss war Anfang April geschlossen worden, ein Bund aller neun Landesparteiobmänner bestätigte Steger als Bundesparteiobmann, er sollte auch beim nächsten Parteitag wieder gewählt werden, mit Haider als seinem Stellvertreter. Stegers Generalsekretär Grabher-Meyer wurde in die Wüste geschickt, ihn konnte der Parteiobmann nicht halten (Audioquelle 71: Mittagsjournal, JM‑860602: 3. Beitrag; Audioquelle 72: Mittagsjournal, JM‑860607: 5. Beitrag). Jörg Haider, der eigentlich aus der Partei hätte ausgeschlossen werden sollen, als Vize-Obmann, und die Frage, wer FPÖ-Generalsekretär sein sollte, die Steger offensichtlich nicht mehr bestimmen konnte – beides warf ein bezeichnendes Licht auf den erzielten Kompromiss.

Der Präsidentschaftswahlkampf hatte aber auch, wie bereits oben erwähnt, direkte Auswirkungen auf die grün-alternativen Bemühungen um ein gemeinsames politisches Auftreten in Österreich. Nach der Wahl erfolgte die Einigung der wichtigsten Grün-Gruppierungen auf eine gemeinsame Kandidatenliste mit Freda Meissner-Blau als Spitzenkandidatin bei den nächsten Nationalratswahlen: der erste und vielleicht wichtigste Schritt auf dem Weg ins Parlament. Der Achtungserfolg von Freda Meissner-Blau bei der Präsidentschaftswahl hatte viel zu dieser Einigung beigetragen (Audioquelle 73: Mittagsjournal, JM‑860707: 10. Beitrag).

Das mediale Interesse nahm weiter ab, die Angelobung Waldheims und ein Streit zwischen Wiens Bürgermeister Helmut Zilk und dem ÖVP-Wirtschaftssprecher Robert Graf über Passagen aus Zilks Eröffnungsansprache bei einer Ausstellung in New York lieferten den Löwenanteil der Beiträge. Ein einziger Beitrag im August beschäftigte sich mit der durch die Bundespräsidentenwahl ausgelösten Diskussion. Zumindest in dieser Beziehung machte der August 1986 damit dem Ausdruck „Sommerloch“ alle Ehre. Die Septemberberichterstattung über Waldheim beschränkte sich auf die Eröffnung der Wiener Messe durch den Bundespräsidenten und Bundeskanzler Vranitzkys Besuch beim Staatsoberhaupt, um ihn über das Ende der Koalition zu informieren. Das Ausland hatte anscheinend das Interesse an dem neuen Mann in der Hofburg verloren, auch wenn dieser Bundespräsidentschaftswahlkampf ein bisher nie da gewesenes Medienecho im Ausland gefunden hatte. Das Bild des Landes von sich selbst, als Insel der Seligen, wurde nun sehr viel kritischer betrachtet wurde. In Österreich selbst traten nun die Ereignisse um die Koalition, insbesondere um den Junior-Partner, in den medialen Brennpunkt. Die Diskussion um Waldheim und die eigene Vergangenheit verebbte. Ermüdung, Abstumpfung und Übersättigung, aber auch die bewusste oder unbewusste Verdrängung dieser so unangenehmen Debatte trugen sicherlich auch zum Nachlassen des Interesses bei. Auf den ersten Blick kehrte in Österreich wieder der politische Alltag ein. Zumindest entsteht dieser Eindruck bei der Analyse der Berichterstattung auf Ö1. Wie unzutreffend diese Sichtweise war, sollte sich erst 1987 und in den folgenden Jahren zeigen. Von Oktober bis Dezember 1986 gab es ganze sieben Beiträge in den Ö1-Mittagsjournalen den Bundespräsidenten betreffend. Zwei widmeten sich der Waldheim-Diskussion (JM‑861010, JM‑861125) drei beschäftigten sich mit Amtshandlungen (JM‑861126, JM‑861203, JM‑861219) und am Jahresende fehlte natürlich nicht die Erwähnung im Jahres-Rückblick (JM‑861230).

Eine letzte kleine statistische Auswertung: der Vergleich zwischen Rudolf Kirchschläger und Kurt Waldheim. Wie viele Beiträge gab es im Ö1-Mittagsjournal pro Amtjahr/pro Bundespräsident?

Beiträge je Bundespräsident im Ö1-Mittagsjournal 1980–1989

Jahr

Kirchschläger

Waldheim

1980

19

 

1981

14

 

1982

24

 

1983

20

 

1984

21

 

195

30

 

1986

15

127

1987

 

147

1988

 

106

1989

 

11

Summe

143

391

Beiträge pro Amtsjahr im Durchschnitt

20,4

97,8

Das öffentliche Interesse am Bundespräsidenten Waldheim war also rein statistisch gesehen 4,8 mal so groß wie an seinem Vorgänger Kirchschläger. Erst im Jahr 1989 war die Aufregung um die Person Kurt Waldheim wirklich abgeklungen, die durch ihn ausgelöste Debatte dauert eigentlich noch heute an.

Kurt Waldheim hielt als Bundespräsident am Vorabend des 50. Jahrestages des „Anschlusses“ eine bemerkenswerte Rede: „Der Holocaust ist eine der größten Tragödien der Weltgeschichte. Millionen jüdischer Menschen wurden in den KZs vernichtet. Diese Verbrechen sind durch nichts zu erklären und durch nichts zu entschuldigen. Ich verneige mich in tiefem Respekt vor diesen Opfern, die uns stets Mahnung und Auftrag sein müssen. Wir dürfen nicht vergessen, dass viele der ärgsten Schergen des Nationalsozialismus Österreicher waren. Es gab Österreicher, die Opfer, andere die Täter waren. Erwecken wir nicht den Eindruck, als hätten damit wir nichts zu tun. Selbstverständlich gibt es keine Kollektivschuld, trotzdem möchte ich mich als Staatsoberhaupt der Republik Österreich für jene Verbrechen entschuldigen, die von Österreichern im Zeichen des Nationalsozialismus begangen wurden.“ (Karas 1988: Dokument 3 im Anhang zum Beitrag). Klare und unmissverständliche Worte, die jedoch für Glaubwürdigkeit und internationale Reputation des Bundespräsidenten zu spät kamen.

00:05:12
Audioquelle 71: Mittagsjournal 02.06.1986 - Analyse des Kompromisses der FPÖ - Landesparteiobmänner-Konferenz
00:17:14
Audioquelle 72: Mittagsjournal 07.06.1986 - Im Journal zu Gast: FPÖ-Obmann Vizekanzler Norbert Steger
00:03:48
Audioquelle 73: Mittagsjouranl 07.07.1986 - Einigung der Grünen auf gemeinsame Kandidaten bei den Nationalratswahlen

19. Die Koalition unter Druck

Wie liberal ist die FPÖ?

In der FPÖ hatte im Juli und August 1986 Ruhe geherrscht, es war aber die Ruhe vor dem Sturm, der am 13. September beim Parteitag in Innsbruck losbrechen sollte. Ein Beitrag im Mittagsjournal des 4. September 1986 ließ schon vor dem Innsbrucker Sturm aufhorchen. Jörg Haider hatte sich am 3. September in Salzburg eine Kandidatur zum FPÖ-Bundesparteiobmann durchaus vorstellen können, wenn man ihn dazu auffordern würde. Friedhelm Frischenschlager als neuer Klubobmann antwortete nun auf diese Herausforderung im Mittagsjournal des 4. September ablehnend. Die Antwort von Obmann Steger im Mittagsjournal des nächsten Tages betonte den vom liberalen Flügel gewählten Weg in der Regierung, wogegen Haider für klassische Oppositionspolitik stehen würde (Audioquelle 74: Mittagsjournal, JM‑860904: 9. Beitrag; Audioquelle 75: Mittagsjournal, JM‑860905: 9. Beitrag). Doch die Gewichtung zwischen Liberal und National in der FPÖ war immer etwas unausgeglichen, ja der liberale Flügel schien der Schwächere zu sein. Bundeskanzler Vranitzky reagierte im Pressefoyer nach dem Ministerrat vom 9. September mehr als zurückhaltend auf einen möglichen Wechsel an der FPÖ-Spitze (Audioquelle 76: Mittagsjournal, JM‑860909: Ausschnitt 5. Beitrag). Am 11. September legte Haider die Karten auf den Tisch und verkündete seine Kandidatur zum FPÖ-Obmann am kommenden Parteitag (Audioquelle 77: Mittagsjournal, JM‑860911: 3.–5. Beitrag). Noch am 12. September beriet sich der FPÖ-Bundesparteivorstand und Steger verwies auf das wahrscheinliche Ende der Koalition, ein Aspekt der Führungsdiskussion innerhalb der FPÖ auf den auch in der Inlandspresseschau des Mittagsjournals von diesem Tag eingegangen wurde (Audioquelle 78: Mittagsjournal, JM‑860912: 3.–4. Beitrag).

00:07:01
Audioquelle 74: Mittagsjournal 04.09.1986 - Die Obmann-Frage in der FPÖ
00:05:42
Audioquelle 75: Mittagsjournal 05.09.1986 - Haider ante portas
00:01:27
Audioquelle 76: Mittagsjournal vom 09.09.1986 - Pressefoyer nach Ministerrat zur FPÖ
00:13:42
Audioquelle 77: Mittagsjournal 11.09.1986 - Jörg Haider: "Ich kandidiere" und die Reaktionen
00:10:40
Audioquelle 78: Mittagsjournal 12.09.1986 - Vor FPÖ-Bundesparteivorstand

20. Die Regierung zerbricht

Jörg Haider wird FPÖ-Obmann

Die tatsächliche Schwäche des liberalen Elementes in der FPÖ sollte beim Innsbrucker Parteitag offenbar werden (Audiquelle 79: Mittagsjournal, JM‑860913: 3. Beitrag). Am Samstag den 13. September um 23.15 Uhr, gab der Obmann der Auszählungskommission das Ergebnis der Kampfabstimmung um den Posten des FPÖ-Bundesparteiobmannes bekannt. Bei 456 abgegebenen Stimmen, 14 ungültigen Stimmen, erhielt Steger 179 Stimmen und Haider 263 Stimmen (Audioquelle 80: Mittagsjournal, JM‑860915: 1. Beitrag). Am Montag, den 15. September, ließ Bundeskanzler Vranitzky die rot-blaue Koalition platzen. Er tat dies in einem Interview für das Ö1-Mittagsjournal, darin kündigte er seinen Vorschlag ans SPÖ-Präsidium zur Koalitions-Auflösung an. Da die Zustimmung des SPÖ-Präsidiums zwar keine reine Formsache, jedoch im höchsten Maß wahrscheinlich war, beendete Vranitzky die Zusammenarbeit mit der FPÖ unter Haider auf diesem Weg. Als Grund nannte der Bundeskanzler die Übernahme der FPÖ durch den rechts-nationalen Flügel. Ebenfalls in diesem Interview ließ Vranitzky seine Bereitschaft zur großen Koalition mit der ÖVP anklingen (Audioquelle 81: Mittagsjournal, JM‑860915: 7. Beitrag). Österreich hatte also vorzeitig Neuwahlen, die Befürchtungen von Steger und Peter, dass die FPÖ unter Jörg Haider nicht an der Regierung beteiligt bleiben würde bewahrheiteten sich.

00:09:07
Audioquelle 79: Mittagsjournal 13.09.1986 - FPÖ - Parteitag in Innsbruck
00:00:59
Audioquelle 80: Mittagsjournal 15.09.1986 - Jörg Haider siegt
00:07:54
Audioquelle 81: Mittagsjournal 15.09.1986 - Vranitzky: "Nicht mit Haider"