Wahlen als Wendepunkte der 80er Jahre – Der Fall Reder und die Bundespräsidentenwahl 1986

Die Rückkehr von Walter Reder nach Österreich, Kriegsverbrecher und letzter Kriegsgefangener, sein Empfang durch den politisch unerfahrenen FPÖ-Verteidigungsminister Friedhelm Frischenschlager, führte zu einem politischen Skandal, der eine breite Diskussion über die Rolle von Österreichern im Krieg und Österreichs nach dem Krieg auslöste.  

Von Anton Hubauer

13. Die Reder-Debatte

Österreichs unbewältigte Vergangenheit

Der Weihnachtsfriede 1984/85 sollte aber nicht von langer Dauer sein. Das innenpolitische Klima Österreichs – aufmerksame Zeitgenossen betrachteten den zunehmenden Einfluss nationaler Strömungen in der FPÖ und damit in der Regierung mit wachsendem Unbehagen – sollte sich durch ein Ereignis im Jänner 1985 erneut verschärfen, doch ging es diesmal nicht um Ökologie kontra Ökonomie. Die Rückkehr des letzten Kriegsgefangenen, so sahen es zumindest die Kronen-Zeitung und viele in der FPÖ und am rechten Rand des politischen Spektrums, oder das Ende der Haft eines Kriegsverbrechers, wie es viele andere Österreicher sahen, war der Grund (Audioquelle 51: Mittagsjournal, JM‑850124: 3. Beitrag). Walter Reder, SS‑Sturmbannführer und Kommandant der Aufklärungsabteilung der 16. SS‑Panzer­grenadier­division, Hauptverantwortlicher für das Massaker von Marzabotto und weiterer Kriegsverbrechen im Raume Bologna, im August und September 1944, im Rahmen der Bekämpfung von italienischen Widerstandsgruppen, wurde am 24. Jänner 1985 aus der italienischen Festungshaft entlassen. Sein Empfang in Österreich fand durch den damaligen FPÖ-Verteidigungsminister Friedhelm Frischenschlager mit Handschlag statt. Frischenschlager selbst, der 1993 mit Heide Schmidt einer der Gründer des Liberalen Forums war, bedauerte im Rückblick seine mangelnde Sensibilität gegenüber den Opfern und deren Angehörigen. Doch im Jahre 1985 löste der kurze Moment des Empfanges und des Handschlages einen Skandal und eine erste Diskussion über die Rolle Österreichs und vieler Österreicher im Nationalsozialismus und im Zweiten Weltkrieg aus: eine Diskussion, welche die Rolle von Österreichern als Täter in der Zeit des Nationalsozialismus thematisierte. Vom 24. Jänner bis 6. Februar war die Affäre Reder das Hauptthema der innenpolitischen Berichterstattung im Ö1-Mittagsjournal.

Die Schärfe der Diskussion verwundert, wenn man die einleitende Moderation und den anschließenden Beitrag aus Italien über Reders Entlassung im Mittagsjournal vom 24. Jänner 1985 hört. Da ist die Rede von der Rückkehr des letzten Kriegsgefangenen, von den Bemühungen der bisherigen österreichischen Bundesregierungen für eine Begnadigung Reders, den neuerlichen Bemühungen von Bundeskanzler Sinowatz in diese Richtung und der Stellungnahme des Außenministeriums zur Entlassung, worin von der Repatriierung Reders die Rede ist, welche als Zeichen für die ausgezeichneten Beziehungen zwischen Italien und Österreich gewertet wird. In seinem Beitrag aus Italien betont Alfons Dalma mehrmals die Rolle der kommunistischen Partei, welche gegen Reders Entlassung polemisierte.

Aber schon am nächsten Tag schlugen die Wellen hoch, vier von zehn Beiträgen, Nachrichten und Wetterbericht abgezogen sogar vier von acht Beiträgen, waren der Ankunft Reders in Österreich gewidmet (Audioquelle 52: Mittagsjournal, JM‑850125: 3.–6. Beitrag). Nicht die Begnadigung Reders wurde kritisiert, sein Empfang durch ein Regierungsmitglied erregte heftige Reaktionen. Die Regierung selbst hielt sich am Tag danach weitgehend bedeckt, lediglich Wissenschaftsminister Heinz Fischer äußerte bei einer Pressekonferenz, die eigentlich der Wissenschaftspolitik gewidmet war, sein Befremden und Unverständnis. Auf die Frage, ob er Reder für einen Kriegsgefangenen oder Kriegsverbrecher halte, antwortete Fischer „Eindeutig für einen Kriegsverbrecher“. (Audioquelle 53: Mittagsjournal, JM‑850125: 3. Beitrag). Der SPÖ-Abgeordnete Josef Cap meinte, dass man das liberale Element in der FPÖ wohl mit der Polit-Lupe suchen müsste und der damalige SJ-Vorsitzende Alfred Gusenbauer forderte Frischenschlager zum Rücktritt auf (Audioquelle 54: Mittagsjournal, JM‑850125: 3. Beitrag).

Gegenüber Bundeskanzler Sinowatz bekannte Verteidigungsminister Frischenschlager seinen Fehler am 29. Jänner (Pelinka 1993: 46–53). Vizekanzler Steger ließ aber keinen Zweifel daran offen, dass ein Weiterbestand der Koalition von Frischenschlagers Verbleib in der Regierung abhing. Dadurch sollte der nationale Flügel der FPÖ beruhigt werden. Sinowatz padonierte also Frischenschlager zum Erhalt der Regierung, aber auch mit dem Wissen im Hintergrund, dass das Außenministerium unter Leopold Gratz nicht bar jeder Mitverantwortung an der Affäre war.

Am 13. Februar wandelte sich die Krise der Koalitionsregierung zu einer Krise innerhalb der FPÖ. Nachdem sich Frischenschlager im Interview mit einer israelischen Zeitung entschuldigt und Reder als Kriegsverbrecher bezeichnet hatte, kam es zum offenen Bruch zwischen Haider und Steger. Haider drohte mit dem Austritt aus der FPÖ, sollte die Bundes-FPÖ ihn nicht gegen Angriffe aus der SPÖ verteidigen. Bei all den Querelen sollte aber nie die Dimension der persönlichen Befindlichkeiten der Beteiligten außer Acht gelassen werden. Haider war 34 Jahre alt, Steger 41 Jahre und beide waren, trotz ihrer bereits großen politischen Karrieren, mit ihrem Ehrgeiz noch nicht am Ende. Der weitere politische Verlauf des Jahres 1985 rückte aber den ideologischen und persönlichen Konflikt zwischen Steger und Haider wieder aus dem Blickpunkt des medialen Interesses, ebenso wie die Vergangenheitsdiskussion wieder im Abklingen war.

Der Weinskandal, die Abfangjägerdiskussion, die Diskussion um das geplante Donaukraftwerk in den Hainburger Auen, das „Konrad-Lorenz-Volksbegehren“ gegen die Errichtung dieses Kraftwerkes, der Rücktritt von Bautenminister Karl Sekanina wegen des Verdachtes auf Veruntreuung von Gewerkschaftsgeldern, der Ausschluss von Günter Nenning aus der SPÖ, die Verlagerung des Konfliktes zwischen Androsch und Kreisky hin zu einem Konflikt zwischen Androsch und Salcher mit all seinen innenpolitischen Folgen für die SPÖ, die beunruhigende neue Krankheit mit dem mysteriösen Kürzel Aids als Name – das alles befand sich neben einer Vielzahl weiterer Themen auf der Beitragsliste der Ö1-Journalsendungen.

00:04:21
Audioquelle 51: Mittagsjournal 24.01.1985 - SS-Sturmbannführer Reder frei
00:22:06
Audioquelle 52: Mittagsjournal 25.01.1985 - Ein Handschlag und die Folgen - 1. Teil
00:06:20
Audioquelle 53: Mittagsjournal 25.01.1985 - Ein Handschlag und die Folgen - 2. Teil
00:06:20
Audioquelle 54: Mittagsjournal 25.01.1985 - Ein Handschlag und die Folgen - 3. Teil

14. Die Bundespräsidentenwahl 1986 – 1. Wahlgang

Ein statistischer Versuch bis zum ersten Wahlgang

1985 hatte der kommenden Bundespräsidentschaftswahlkampf nur durch die Nominierung der Kandidaten von SPÖ und ÖVP auf sich aufmerksam gemacht (Audioquelle 55: Mittagsjournal, JM‑850416: 1. Beitrag; Audioquelle 56: Mittagsjournal, JM‑851104: 3. Beitrag).

Der Bundespräsidentschaftswahlkampf machte sich zu Jahresbeginn 1986 erst in wenigen Beiträgen bemerkbar, und diese hatten noch überhaupt keine Verbindung zur Diskussion um Österreichs NS-Vergangenheit. Vorerst waren neben den oben genannten Themen und vielen anderen, der Intertrading-Skandal und die tiefe Krise der Verstaatlichten-Industrie im öffentlichen Blickpunkt. Da alle vorhandenen Ö1-Mittagsjournale in die Datenbank Eingang fanden, ist ein abermals eine kleine statistische Auswertung der Berichterstattung zu den einzelnen Kandidaten der Bundespräsidentschaftswahl aufschlussreich für den Grad des öffentlichen Interesses am jeweiligen Kandidaten.

Bundespräsidentenwahl 1986 im Ö1-Mittagsjournal – Jänner 1986

Datum

Wahl

Mehrfach

Waldheim

Steyrer

Meissner

Scrinzi

23.

1

-

-

-

1

-

29.

1

-

-

-

1

-

31.

1

-

-

1

-

-

Summe

3

-

-

1

2

-

%

100

-

-

33,3

66,6

-

Bundespräsidentenwahl 1986 im Ö1-Mittagsjournal – Februar 1986

Datum

Wahl

Mehrfach

Waldheim

Steyrer

Meissner

Scrinzi

12.

1

-

-

-

1

 

19.

1

-

-

-

1

 

20.

1

-

-

-

1

 

24.

1

-

-

-

 

1

Summe

4

-

-

-

3

1

%

100

-

-

-

75

25

Zu Jahresbeginn 1986 war das mediale Interesse an der Bundespräsidentenwahl denkbar gering. Insgesamt sieben Beiträge für zwei Monate und diese über die Kandidatin und den Kandidaten in der denkbaren Außenseiterposition. Freda Meissner-Blau und Otto Scrinzi bildeten den linken/alternativen/grünen und extremen rechten Rand des Kandidaten-Spektrums. Doch sollte im kommenden Wahlkampf Freda Meissner-Blau an Profil und politischer Statur deutlich zulegen. Die so gewonnene Reputation und das überraschend gute Abschneiden beim Wahlgang am 4. Mai stellte für die Grünen sicherlich einen entscheidenden Anstoß für den Erfolg bei der Nationalratswahl im November, den geglückten Einzug ins Parlament, dar.

Bundespräsidentenwahl 1986 im Ö1-Mittagsjournal – März 1986

Datum

Wahl

Mehrfach

Waldheim

Steyrer

Meissner

Scrinizi

3.

1

-

-

-

-

1

4.

1

-

1

-

-

-

5.

2

-

2

-

-

-

6.

3

-

1

-

-

2

8.

3

-

3

-

-

-

10.

2

-

2

-

-

-

11.

2

-

2

-

-

-

12.

1

-

1

-

-

-

13.

2

2

-

-

-

-

14.

1

1

-

-

-

-

15.

1

-

1

-

-

-

17.

1

1

-

-

-

-

20.

1

-

-

-

1

-

21.

2

-

2

-

-

-

22.

2

-

2

-

-

-

24.

3

-

2

-

1

-

25.

5

-

5

-

-

-

26.

4

-

4

-

-

-

27.

6

-

6

-

-

-

28.

3

-

3

-

-

-

29.

1

-

1

-

-

-

Summe

47

4

38

-

2

3

%

100

8,5

80,9

-

4,3

6,4

Im März 1986 wurde aus einem österreichischen Wahlkampf um die Bundespräsidentschaft eine Diskussion um den Umgang Kurt Waldheims mit seiner Vergangenheit im Dritten Reich, die letztlich Auslöser war für eine große Debatte um Österreichs NS-Vergangenheit. „Waldheim und die SA“ lautete die Schlagzeile im Nachrichtenmagazin „Profil“ am 3. März 1986 (Czernin 1986: 16–20). Im Artikel wurden aufgrund der Wehrstammkarte Waldheims große Zweifel an dessen Darstellung seiner Vergangenheit im Dritten Reich angemeldet. Neben der Mitgliedschaft Waldheims in der Reiter-SA wurde besonders auf seine Verwendung als Ordonanzoffizier am Balkan hingewiesen. Waldheim hatte in seiner kurz zuvor erschienen Autobiografie „Im Glaspalast der Weltpolitik“ nur von seiner Kriegszeit an der Ostfront, mit Verwundung und anschließender Rückkehr nach Österreich gesprochen. Diese Veröffentlichung löste ein innenpolitisches Erdbeben aus, wie es die Zweite Republik nur selten erlebt hatte. Die Beitragsanzahl zum Präsidentschaftswahlkampf hatte sich im Vergleich mit den beiden vorhergehenden Monaten verzehnfacht, in über 80 Prozent dieser Beiträge stand die Frage nach Waldheims Vergangenheit während des Dritten Reichs oder die Frage, ob es sich bei der jetzigen Thematisierung um eine Verleumdungskampagne handelt, im Mittelpunkt. Damit begann eine Debatte um Österreichs NS-Vergangenheit, die bisher durch ein stillschweigendes Übereinkommen zwischen den Großparteien so nicht stattgefunden hatte (Ziegler, Kannonier-Finster, 1993: 230–254). Das Interesse an den anderen Kandidaten wurde förmlich atomisiert. Auch das Ausland begann sich nun für etwas zu interessieren, was bisher höchst selten auf großes Interesse gestoßen war – die Wahl des österreichischen Bundespräsidenten.

Bundespräsidentenwahl 1986 im Ö1-Mittagsjournal – April 1986

Datum

Wahl

Mehrfach

Waldheim

Steyrer

Meissner

Scrinzi

1.

2

-

2

-

-

-

2.

2

-

2

-

-

-

3.

3

-

1

1

1

-

4.

2

-

2

-

-

-

5.

3

1

2

-

-

-

7.

2

-

1

1

-

-

8.

3

-

3

-

-

-

9.

3

-

2

-

1

-

10.

3

1

2

-

-

-

11.

4

2

1

-

-

1

12.

1

1

-

-

-

-

14.

3

-

2

1

-

-

16.

3

1

1

-

1

-

17.

1

-

1

-

-

-

19.

2

1

1

-

-

-

21.

1

-

-

1

-

-

22.

2

-

2

-

-

-

23.

7

-

7

-

-

-

24.

4

-

4

-

-

-

25.

3

-

3

-

-

-

26.

3

-

2

1

-

-

28.

5

-

4

1

-

-

29.

1

1

-

-

-

-

30.

2

1

-

-

1

-

Summe

65

9

45

6

4

1

%

100

13,8

69,2

9,2

6,2

1,5

Am 26. April 1986 kam es zur Reaktorkatastrophe in Tschernobyl. Berichte gab es erst ab dem 29. April, aber selbst diese beispiellose Umweltkatastrophe konnte nur kurze Zeit die Debatte um Kurt Waldheim auf Platz zwei im Medieninteresse verweisen. Während 26 Tagen im April, an denen Mittagsjournale ausgestrahlt und aufgezeichnet wurden, gab es lediglich zwei Tage ohne Berichte zu Waldheim.

Bundespräsidentenwahl 1986 im Ö1-Mittagsjournal - Mai 1986

Datum

Wahl

Mehrfach

Waldheim

Steyrer

Meissner.

Scirnzi

2

1

1

-

-

-

-

3

5

1

1

1

1

1

5

7

4

2

1

-

-

6

2

-

2

-

-

-

7

4

1

1

1

1

-

9

1

1

-

-

-

-

10

1

-

-

-

1

-

12

2

-

1

1

-

-

13

2

-

1

1

-

-

14

2

-

-

2

-

-

20

1

-

1

-

-

-

21

2

-

1

1

-

-

22

2

1

1

-

-

-

23

1

-

1

-

-

-

26

2

-

1

1

-

-

27

1

-

1

-

-

-

30

2

-

1

1

-

-

31

1

1

-

-

-

-

Summe

39

10

15

10

3

1

%

100

25,6

38,5

25,6

7,7

2,6

Im eigentlichen Wahlmonat fand die Berichterstattung über die Auswirkungen der Tschernobyl-Katastrophe breiten Raum im Ö1-Mittagsjouranl. Die Dichte der Wahlberichterstattung insgesamt ging zurück, ebenso wie die Konzentration auf die Diskussion um Kurt Waldheim. Beiträge zum Kandidaten der SPÖ Kurt Steyrer nahen deutlich zu. Otto Scrinzi verschwand weitgehend aus der Berichterstattung, Freda Meissner-Blau fand auch nur eine sehr geringe Beachtung im Ö1-Mittagsjournal. Alles lief nun auf die Konfrontation der Kandidaten der beiden Großparteien hinaus. In den Umfragen lag Waldheim trotz der Debatte um seine Person weiter vor Steyrer. Die SPÖ, die bisher in der Zweiten Republik den Bundespräsidenten gestellt hatte, oder mit Rudolf Kirchschläger einen unabhängigen Kandidaten zumindest nominiert hatte, konnte dem Gedanken an einen ÖVP-Bundespräsidenten nur wenig bis gar nichts abgewinnen.

Der Wahltag am 4. Mai 1986 brachte kein unerwartetes Ergebnis (Broschüre des Innenministeriums zur Bundespräsidentenwahl 1986).

Bundespräsidentenwahl 1986 – Erster Wahlgang

(Gültige abgegebene Stimmen 4.719.980) 

Kandiaten

Stimmen

%

Dr. Kurt Steyrer

2.061.104

43,7

Dr. Kurt Waldheim

2.343.463

49,6

Dr. Otto Scrinzi

55.724

1,2

Freda Blau-Meissner

259.689

5,5

Der Sieg von Kurt Waldheim war eindeutig, er verfehlte aber knapp die notwendigen 50 Prozent plus 1 Stimme. Ein zweiter Wahlgang wurde notwendig, und der 8. Juni als Wahltag festgelegt.

00:00:25
Audioquelle 55: Mittagsjournal 16.04.1985 - Kurt Steyrer als SPÖ Bundespräsidentschaftskandidat
00:08:21
Audioquelle 56: Mittagsjournal 04.11.1985 - Kurt Waldheim als Kandidat der ÖVP

15. Ein FPÖ-Zwischenspiel

Verschärfung der Führungsdebatte in der FPÖ

Der Kampf zwischen Norbert Steger und Jörg Haider um die Ausrichtung und Führung der FPÖ, welcher von den Ereignissen um Waldheim und Tschernobyl überlagert wurde, war unvermindert auch im Frühjahr 1986 fortgesetzt worden. Die Kandidatur bei der Bundespräsidentenwahl von Otto Scrinzi, eines selbst für die Kärntner FPÖ rechten Parteimitgliedes, die Diskussion um dessen Kandidatur innerhalb der Bundes-FPÖ, der Umgang der Bundes-FPÖ mit der Waldheimdebatte und schließlich die Umbesetzung in der Regierungsmannschaft der FPÖ Ende April, das alles führte zu weiteren Unstimmigkeiten zwischen Haider und Steger. Friedhelm Frischenschlager verließ das Verteidigungsministerium und wurde Nachfolger von Friedrich Peter als Klubobmann. Neuer Verteidigungsminister wurde der FPÖ-Abgeordnete Helmut Krünes (Audioquelle 57: Mittagsjournal, JM‑860306: 9.–10. Beitrag; Audioquelle 58: Mittagsjournal, JM‑860327: 6. Beitrag; Audioquelle 59: Mittagsjournal, JM‑860423: 10. Beitrag; Audioquelle 60: Mittagsjournal, JM‑860428: 3.–4. Beitrag; Audioquelle 61: Mittagsjournal, JM‑860429: 10.–12. Beitrag)

Unmittelbar nach dem, wie sich herausstellte, ersten Wahlgang der Bundespräsidentenwahl eskalierte der Streit beim kleinen Regierungspartner weiter. Am 6. Mai gab FPÖ-Generalsekretär Walter Grabher-Meyer die Einleitung eines Schiedsgerichtsverfahrens gegen Jörg Haider im Mittagsjournal bekannt. Haider und fast der gesamten FPÖ-Spitze in Kärnten wurden parteischädigendes Verhalten mit politisch motiviertem Hintergrund vorgeworfen. Ein Parteiausschluss Haiders schien unmittelbar bevorzustehen.

00:07:44
Audioquelle 57: Mittagsjournal 06.03.1986 - Debatte um Otto Scrinzi
00:03:54
Audioquelle 58: Mittagsjournal 27.03.1986 - Waldheim-Diskussion und FPÖ - interner Konflikt
00:07:32
Audioquelle 59: Mittagsjournal 23.04.1986 - Pressekonferenz von FPÖ-Chef Steger
00:09:22
Audioquelle 60: Mittagsjournal 28.04.1986 - Konfrontation Haider - Steger in der FPÖ
00:12:51
Audioquelle 61: Mittagsjournal 29.04.1986 - Streit in der FPÖ und Reaktion der SPÖ

16. Die Bundespräsidentenwahl 1986 – Die Stichwahl

Abschluss des statistischen Versuches

Bundespräsidentenwahl 1986 im Ö1-Mittagsjournal – Stichwahl Juni 1986

Datum

Wahl

Mehrfach

Waldheim

Steyrer

2

1

-

-

1

3

3

-

2

1

4

4

-

3

1

5

2

-

2

-

6

5

1

2

2

7

2

2

-

-

9

10

2

5

3

10

7

7

1

-

11

4

3

1

-

12

1

-

1

-

18

1

-

1

-

26

1

-

1

-

27

1

-

1

-

Summe

42

15

19

8

%

100

35,7

45,2

19

Die Berichte über die Regierungsumbildung am 10. und 11. Mai wurden in der Tabelle-„Mehrfach“ erfasst. Grund dafür ist der Sieg Waldheims als der Auslöser des Rücktrittes von Fred Sinowatz. Beiträge ab dem 12. Mai 1986 zum neuen Kabinett wurden nicht mehr berücksichtigt, weil die Wahl Kurt Waldheims zwar die Ursache zur Umbildung war, aber nicht personelle oder inhaltliche Veränderungen der Bundesregierung bestimmte.

Der Wahlkampfabschluss und die Wahl aus innenpolitischer Sicht in der Berichterstattung waren von einem starken Rückgang der Intensität der Debatte um Waldheims Vergangenheit gekennzeichnet, dafür nahm das ausländische Interesse an der österreichischen Bundespräsidentenwahl stark zu. Dieses Interesse drehte sich aber einzig und alleine um die Frage, ob Waldheim ein Kriegsverbrecher war oder nicht.

Kurt Waldheim gewann die Stichwahl am 8. Juni 1986
(Broschüre des Innenministeriums zur Bundespräsidentenwahl 1986).

Bundespräsidentenwahl 1986 – Zweiter Wahlgang – Stichwahl

(Gültige abgegebene Stimmen 4.571.810)

Kandidaten

Stimmen

Prozente

Dr. Kurt Steyrer

2.107.023

46,1

Dr. Kurt Waldheim

2.464.787

53,9

Selbst wenn es Kurt Steyrer gelungen wäre, alle Stimmen von Freda Meissner-Blau auf sich zu vereinen, wäre der Sieger trotzdem Kurt Waldheim gewesen. Ein Aspekt, der für die Beurteilung Waldheims durch die österreichische Bevölkerung eine deutliche Sprache spricht. Was die Reaktionen aus dem Ausland betraf, so setzte Israel ein eindeutiges Zeichen, indem es seinen Botschafter aus Wien für Konsultationen nach Jerusalem zurückberief (Audioquelle 62: Mittagsjournal, JM‑860609: 9. Beitrag). Die Vereinigten Staaten reagierten offiziell verhalten, aber es hieß aus offiziellen Kreisen, dass Bundespräsident Waldheim selbstverständlich in die USA einreisen könnte, viele amerikanische Medien und der JWC übten dagegen offene Kritik an der Wahl Waldheims und Österreichs Umgang mit seiner Vergangenheit (Audioquelle 63: Mittagsjournal, JM‑860609: 10. Beitrag; Audioquelle 64: Abendjournal, JA‑860609: 5. Beitrag). Die UdSSR reagierte positiv auf die Wahl von Kurt Waldheim, die TASS sah eine Kampagne der US-Regierung und von Zionisten gegen die UNO über Kurt Waldheim, welche gescheitert war (Audioquelle 65: Mittagsjournal, JM‑860609: 11. Beitrag). Die Entscheidung des neuen US-Botschafters Lauder aus privaten Gründen nicht bei der Angelobung von Waldheim anwesend zu sein, warf ein bezeichnendes Licht auf die zukünftigen Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und dem neuen österreichischen Staatsoberhauptes (Audioquelle 66: Mittagsjournal, JM‑860626: 8. Beitrag).

00:03:55
Audioquelle 62: Mittagsjournal 09.06.1986 - Israel beruft Botschafter ein
00:01:43
Audioquelle 63: MIttagsjournal 09.06.1986 - Reaktionen in den USA
00:03:38
Audioquelle 64: Abendjournal 09.06.1986 - US-Reaktionen auf Waldheims Wahlsieg
00:02:16
Audioquelle 65: Mittagsjournal 09.06.1986 - Reaktion der UdSSR
00:04:35
Audioquelle 66: Mittagsjournal 26.06.1986 - US-Botschafter Lauders nicht bei Angelobung von Bundespräsident Waldheim