Vertriebene Vernunft

Für die Betroffenen bedeuteten Vertreibung und Flucht einen traumatischen Bruch in der Biografie, für das Geistes- und Kulturleben in Österreich vielfach Zerstörung. Der intellektuelle und künstlerische Verlust blieb auch nach 1945 bestehen, da nur die wenigsten Wissenschaftler/innen und Künstler/innen zurückkehrten – oder auch nur zur Rückkehr eingeladen wurden.

Alleine an der Medizinischen Fakultät der Universität Wien mussten mehr als 60 Prozent der Professor/innen – meist aus „rassischen“ Gründen – aus dem Dienst ausscheiden. Ganze Denkschulen wie die Wiener Schule der Nationalökonomie und der Wiener Kreis, ein philosophischer Zirkel, wurden zerschlagen. Die Vertreibung traf nicht nur Spitzenforscher/innen wie die international renommierte Kernphysikerin Lise Meitner. Von den Studierenden, die im Studienjahr 1937/38 an der Universität Wien inskribiert waren, wurden rund 23 Prozent aus „rassischen“ oder politischen Gründen verfolgt.

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Aus einer Rede von Bernhard Rust an der Universität Wien

Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung (1938)

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Ilse Ascher über den Ausschluss von der Universität Wien

Interview im Rahmen des Projekts „Bildungsbiographien“ (2007)

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„Warum hatte Österreich keine Nobelpreisträger mehr?“

Der Wissenschaftshistoriker Friedrich Stadler im Interview (2003)

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„Seit Hitler ist Europa überhaupt totgeschlagen“

Der Biochemiker Erwin Chargaff im Interview mit Albert Lichtblau (1994)

Die USA und Großbritannien nahmen quantitativ gesehen besonders viele geflüchtete Wissenschaftler/innen auf und boten ihnen Möglichkeiten, eine Karriere zu verfolgen. Deutlich wird dies etwa an den amerikanischen und englischen Nobelpreisträgern österreichischer Herkunft wie dem Quantenphysiker Erwin Schrödinger, dem Pharmakologen Otto Loewi und dem Physiker Victor Franz Hess. Anders als es ihre nunmehrige Vereinnahmung für Österreich vermuten lässt, standen sie ihrem Herkunftsland oft kritisch gegenüber.

Viele Vertriebene wurden allerdings – darüber dürfen die erfolgreichen Karrieren nicht hinwegtäuschen – ihrer beruflichen Möglichkeiten beraubt, weil sie beispielsweise ihre akademische Ausbildung in den Exilländern nicht weiterverfolgen konnten und das Exil einen nicht wiedergutzumachenden Bruch im wissenschaftlichen Lebenslauf bedeutete.

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„Exil als Chance und Trauma“

Der Wissenschaftshistoriker Friedrich Stadler im Interview (2003)

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„Eine weitgehende Zerstörung“

Die Zeithistorikerin Erika Weinzierl im Interview (2003)

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Gertrude Hoffer

Interview mit Albert Lichtblau (1998)