Wird es so kommen wie in Deutschland 1933?
Wie ich den „Anschluss“ erlebte – Zeitzeuginnen und Zeitzeugen erinnern sich
Die Ausschnitte aus längeren Gesprächen mit Zeitzeug/innen sind Mosaiksteine, die das Bild über die Ereignisse des Jahres 1938 bereichern.
Dieses Kapitel ist ein Fenster in die Quellengattung der Zeitzeugeninterviews (Oral History): Menschen erzählen darin aus ihrem Leben. Berichte über Familie, Alltag, Schule, Freundinnen und Beruf spiegeln nicht nur individuelle Lebenswege wider, sondern vermitteln auch gesellschaftliche und politische Zustände, Veränderungen und Brüche und gewähren uns Einblicke in private Lebenswelten. Erinnerungen dieser Art sind eine gute und notwendige Ergänzung zu klassischem Informationsmaterial wie Zeugnissen, Akten, Urkunden oder Tagebüchern. Erst das Zusammenspiel vieler Quellen kann Fragen nach der Vergangenheit wie etwa nach dem Jahr 1938 in Österreich umfassend beantworten.
Lebenserinnerungen wurden immer schon an Kinder, Enkel und auch Freunde und Freundinnen weitergegeben, aber meistens wurden diese nicht festgehalten – und sind dadurch nach etwa drei Generationen verloren. Auch die audiovisuellen, mittlerweile meist digital vorliegenden Erinnerungen müssen gepflegt werden, um für nachfolgende Generationen reproduzierbar zu bleiben. Diese Aufgabe erfüllt die Österreichische Mediathek.
Die hysterisch wirkende Massenbegeisterung beim „Anschluss“ wurde teilweise schon damals als übertrieben empfunden. Aus heutiger Sicht wirken die zu dieser Zeit gehaltenen oder eher gebrüllten Reden befremdlich, demonstrieren aber eindrücklich den Ton der Zeit.
Die Veränderungen im Zuge des „Anschlusses“ im März 1938 betrafen so gut wie die gesamte Bevölkerung und waren vor allem für Kinder, wie aus zahlreichen Interviews hervorgeht, schwer zu begreifen. Sehr deutlich kommen in den Erinnerungen auch die Hoffnungen und Befürchtungen zum Ausdruck – und der massive Druck, den das neue Regime ausübte.
Bei der Bewertung und Verwendung von Zeitzeugeninterviews muss eine Reihe von Umständen bedacht werden. So sind die Bedingungen und Intentionen des Interviews zu berücksichtigen, der Einfluss der Aufnahmesituation auf die Interviewten und besonders auch, dass sich die Erinnerung selbst im Lauf der Zeit und durch spätere Erfahrungen verändern kann.