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[Senderinformation] Teil 2: Die Quellen und Wurzeln der afroamerikanischen Musik
Alles fing irgendwo im Mississippidelta einmal an, wo sich aus Afrika verschleppte Sklaven auf Baumwoll-, Reis- und Tabakplantagen plagten. Hier liegen die Wurzeln des Blues. Es sind einerseits die Tanzlieder, die die importierten Zwangsarbeiter bei ihren nächtlichen Zusammenkünften zu spielen pflegten. Andererseits sangen sie „work songs“, mit denen sie ihre Arbeit koordinierten, und die „field hollers“ und „moans“, mit denen sie sich bei der Feldarbeit heimlich verständigten. Das Leben der Arbeitenden setzte sich in den Erzählungen der Musik fort: im „Jug“ der Engländer, im Militärmarsch aus Deutschland, in der Polka aus Polen, in den neapolitanischen Melodien aus Italien. Die Polyrhythmen der Ex-Afrikaner setzten dem ganzen die musikalische Krone auf.
Wenn man den Blues verstehen will, muss man sich zunächst mit seinen Ursprüngen in der Musik der amerikanischen Südstaaten beschäftigen - und das macht „Lust aufs Leben“ am 3. März ab 21.03 Uhr im 2. Teil des Blues-Schwerpunkts.
Wenn man den Blues verstehen will, muss man sich zunächst mit seinen Ursprüngen in der Musik der amerikanischen Südstaaten beschäftigen. Der Blues wurde schwarz geboren und die volkstümliche Musik, also die Musik, die Amateure zu ihrem eigenen Vergnügen und zur Unterhaltung ihrer Nachbarn und Freunde spielten, schöpfte aus unterschiedlichen Traditionen. Der Blues ist eine sehr emotionale Musik, denn die einfachen Texte wurden meistens spontan erfunden und handelten von den Freuden und Härten des alltäglichen Lebens und der Liebe. Sie wurzelte in Quellen, die afrikanische Sklaven während der Arbeit in den Feldern gesungen hatten, vermischt mit geistlichen Liedern, Ragtime, Tanzmusik und Songs aus Minstrelshows.
Mit Minstrels sind Mitte des 19. Jahrhunderts weiße Künstler gemeint, die ihre Gesichter schwarz färbten, um damit vorzugeben, die Musik von Schwarzen darzubieten. Sie karikierten oder parodierten dabei deren Sprech- und Verhaltensweisen. Das Mississippi-Delta, das als Geburtsort des Blues bezeichnet wird, erstreckt sich von der Flussmündung am Atlantischen Ozean, dort wo New Orleans liegt, insgesamt 900 Kilometer flussaufwärts bis Memphis. Der Name Mississippi stammt aus der Sprache der Chippewa-Indianer und bedeutet „großer Fluss“ oder „wo sich alle Wasser sammeln“. Überschwemmungen formten dieses Gebiet in Jahrtausenden in eine üppige Ebene, ursprünglich ein Hartholz-Waldland.
Ab 1835 begannen Siedler, den Wald zu roden, um Baumwolle anpflanzen zu können. Nach dem Amerikanischen Bürgerkrieg wurde das Land vollkommen abgeholzt und auf seiner Fläche entstanden Plantagen. Abhängig von Boden und Bodenbeschaffenheit gehörten auch Reis, Zuckerrohr und Tabak zu den wichtigsten Anbauprodukten. Die europäische Nachfrage nach Baumwolle war riesengroß, so wurde sie zum wichtigsten amerikanischen Exportartikel. Die Geschichte des Blues beginnt nicht mit Musikern und Sängern, sondern mit einem der grausamsten Kapitel der Menschheitsgeschichte, mit dem Sklavenhandel. Die Sklaven, die ersten landeten 1619 in Virginia an, kamen vorwiegend aus Westafrika, aus Regionen, die zu den heutigen Staaten wie Benin, Elfenbeinküste, Ghana, Kamerun, Nigeria, Senegal, Togo zählen. Der massenhafte „Import“ von Arbeitskräften war wirtschaftlich überaus wichtig für die großen Plantagenbesitzer, die die afrikanischen Sklaven als Sacheigentum behandelten, nicht als menschliche Wesen.
Als sie in Amerika an Land gingen, brachten sie natürlich ihre Musik mit und nur durch das Singen war es ihnen möglich, ihre Traditionen aufrechtzuerhalten. Sie, die brutal von ihrem Zuhause, von ihren Familien, ihren Freunden gerissen und in Ketten in eine neue Welt verfrachtet wurden, kamen mit ihren Gefühlen, mit ihrer Vorstellung für den Rhythmus des Lebens. Die afrikanische Methode, Musik mündlich von Generation zu Generation zu überliefern, ist für die Entstehung des Blues von zentraler Bedeutung. Die Gesangstradition war für Afro-Amerikaner immer wichtig, schon allein aus der Tatsache heraus, ohne Hab und Gut nicht nur vor sondern auch nach der Abschaffung der Sklaverei weiterhin in bitterster Armut leben zu müssen. Zum Singen braucht man nichts außer eine Stimme und singen kann man immer, gleichgültig ob man allein ist oder irgendeiner Tätigkeit nachgeht.
Leute, die allein irgendwo auf dem Feld arbeiteten, ließen “field holler” oder “moans” erklingen. Das sind melodische oder rhythmische Rufe, um die gehüteten Tiere zu beruhigen, um Freunde oder Arbeitskollegen wissen zu lassen, wo man sich befand, oder einfach um sich selbst die Zeit zu vertreiben. Es waren meistens spontan ausgedachte und eher kurze improvisierte Vokalphrasen, die viele gar nicht als richtige Lieder ansahen. Mancher brachte damit einfach seine momentane Stimmung zum Ausdruck. Einer der schönsten „holler“, der uns überhaupt überliefert ist, stammt von einem Sträfling namens Walter Jackson, der unter dem Titel „Tangle Eye Blues“ im Mississippi State Gefängnis aufgenommen wurde: „Es muss der Teufel gewesen sein, der mich reingelegt und hier hingebracht hat“.
Es war nicht selbstverständlich, dass die Afro-Amerikaner ihr traditionelles Liedgut überall singen und sich der Anerkennung der europäischen Siedler und Kolonisten erfreuen durften. Ehrgeizige Missionare meinten, sie müssten gute Christen aus den schwarzen Wilden machen. In New England bekannte sich die weiße Bevölkerung überwiegend zu kongregationalistischen Kirchengemeinden wie die Täufer- und Pfingstbewegung und Baptistengemeinden. In anderen Regionen, wo sich Holländer, Schweden, Deutsche oder Finnen angesiedelt hatten, konnte man religiöse Gruppen wie Quäker, Katholiken, Methodisten finden. Die Sklaven werden getauft, gehen sonntags zur Kirche und lauschen christlichen Hymnen und Psalmen. Sie nehmen viele Melodien auf, geben ihnen jedoch einen anderen Rhythmus, andere Texte und singen mit ekstatischer Begeisterung, zu der auch rhythmisches Klatschen und Stampfen gehören. In ihrem Gesang verwenden sie traditionelle Elemente afrikanischer Musik wie Synkopen, verschobene Akzente und „blue notes“:
Die Begegnung mit europäischen Volks- und Kirchenliedern hinterlassen bei der schwarzen Bevölkerung Eindruck und es sind die Spirituals, die auch wieder die Ruf-und-Antwort-Struktur der „work songs“ verwenden. Die traditionelle Musik der Afrikaner und die Balladen, Lieder, Hymnen und Psalmen der europäischen Siedler beginnen aufeinander abzufärben. Spirituals und Gospels sollten bald auch zu den Bausteinen des Blues zu zählen sein.
Nach Beendigung des Amerikanischen Bürgerkrieges 1865 wird die Sklaverei auf dem gesamten Gebiet der Vereinigten Staaten abgeschafft, die Plantagenwirtschaft aber überlebt. Die sozusagen „befreiten“ Schwarzen bearbeiteten nun das Land der weißen Landbesitzer als sogenannte „sharecropper“. Es handelt sich dabei um ein Pachtwesen, bei dem die Pächter den Eigentümern einen Teil ihrer Ernte abgeben mussten. Diese diktierten die Pachtbedingungen, sie besaßen die Werkzeuge, stellten Kleidung zur Verfügung und zwangen die „cotton picker“, die Baumwollpflücker, in den Geschäften einzukaufen, die die Landbesitzer unterhielten. Bei den ehemaligen Sklaven erzeugte dieses System vor allem Schulden, dass sie dazu zwang, an einem anderen Ort ein anderes, eventuell auch weniger tugendhaftes Leben zu führen. Viele unter ihnen, suchen Arbeit bei der Eisenbahn, auf Dampfschiffen, in den Minen, in Holzfällercamps und viele fanden sich schließlich im Gefängnis wieder. Vom Leben auf den Eisenbahnstrecken handelt eine ganze Tradition von railroadsongs, die eine logische und natürliche Weiterentwicklung der „work songs“ sind. Und es konnte nur die schwarze Bevölkerung sein, die auf ordentliche Arbeit und einen menschenwürdigen Neuanfang entlang der Eisenbahnlinien hoffen, die zu dieser Zeit errichtet wurden. Sie sahen in der Eisenbahn einen Fluchtweg aus ihren bedrückenden Lebensverhältnissen.
Es konnte also nur das Mississippi-Delta samt seiner unerbittlichen Umgebung sein, die so eine Musik in Gestalt des Blues hervorbrachte. Die dort umherziehenden Musiker verbreiteten ihn und traten dort auf, wo sie Zuhörer fanden, auf den Straßen, bei privaten Zusammenkünften und in den Juke Joints, in denen es Schnaps, Glücksspiel und Tanz gab. Es wurde schwarz gebrannter Alkohol ausgeschenkt, einige Juke Joints dienten als Bordell. Die Feldarbeiter trafen sich in diesen behelfsmäßigen Bars, lange bevor es eine Bluesindustrie gab. Das Mississippi-Delta war nicht das einzige Territorium für Bluesmusiker, auch in ländlichen Gebieten von Arkansas, Texas und Louisiana wurde Blues gesungen und gespielt. Man wird nie wissen, wer den ersten Bluessong aufgeschrieben hat, da er immer mündlich überliefert wurde. Tatsache ist, dass dieser Stil in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts unter den Schwarzen überaus populär war.