Mittagsjournal 1985.06.22

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    KI-generiertes Transkript

    Die Zeit, in fünf Sekunden ist es zwölf Uhr.
    Zwölf Uhr.
    Hier ist der österreichische Rundfunk.
    Guten Tag meine Damen und Herren, eine angenehme Mittagsstunde.
    Beim Samstag-Mittag-Journal begrüßt Sie Werner Löw.
    Heute auf unserem Programmzettel, zunächst zur Entwicklung der Geisel-Affäre in Beirut, der Versuch einer Antwort auf die Frage, welche Rolle spielt Nabi Berri, Justizminister und Chef der schiitischen Amal-Milizen, dabei wirklich?
    Ist er Komplize der Terroristen oder in Wahrheit ein letztes schwaches Bollwerk gegen die radikalen Schiiten im Libanon?
    Dann eine Vorschau auf den heute beginnenden Parteitag der bundesdeutschen Grünen, die geplante Verstaatlichung des Wassers in Spanien und eine Inlandspresseschau zur wieder angelaufenen Zwentendorf-Diskussion.
    Im Kulturteil Elias Carnetti als Gegenstand der neuesten Ausgabe des Lesezirkels des Literaturmagazins der Wiener Zeitung.
    Im Journal zu Gast ist heute Klaus-Maria Brandauer.
    Erster Programmpunkt aber wie immer die Weltnachrichten.
    Zusammengestellt hat sie Adolf Poindl, Nachrichtensprecherin ist Maria Piffel.
    Nahe Osten, USA.
    Unnachgiebigkeit der Vereinigten Staaten und Ungewissheit über das Schicksal der Entführten kennzeichnen weiterhin die Geiselaffäre von Beirut.
    In einer Rede in Dallas bezeichnete Reagan Terroristen als primitive Barbaren.
    Der Terrorismus sei eine Bedrohung der Kultur, betonte er.
    Die USA würden an der Entschlossenheit zum Widerstand festhalten.
    Der frühere Präsident Jimmy Carter forderte die Amerikaner auf, Reagan in der Geiselaffäre voll zu unterstützen.
    Hunderttausende amerikanische Autofahrer folgten gestern einem Fernsehaufruf und fuhren aus Protest bei Tag mit Licht.
    Der israelische Ministerpräsident Shimon Peres hat das Verständnis Israels für die Position der Stärke der USA bekundet.
    Schiitenführer Nabi Berdi drohte, sollten die USA und Israel die Forderung nach Freilassung von 700 Schiiten nicht erfüllen, müsste er seine Vermittlerrolle aufgeben.
    Für weitere Entwicklungen könne er dann nicht mehr garantieren.
    Die amerikanischen Geiseln dürften in schiitischen Lagern in der Umgebung der libanesischen Hauptstadt verschleppt worden sein.
    Einer von ihnen, der 48-jährige Jimmy Palmer, wurde in ein amerikanisches Spital in Beirut gebracht.
    Der Mann leidet unter Herzbeschwerden.
    Angeblich will sich die schiitische Amal-Miliz für die Freilassung weiterer zwei kranker Geiseln einsetzen.
    UNO-Generalsekretär Perez de Cuéllar appellierte an die Entführer, die Festgehaltenen bedingungslos freizulassen.
    Nach dem Mord und Selbstmord von gestern im Außenministerium in Washington werden die Sicherheitsvorkehrungen verschärft.
    Der 20-jährige Edward Doster hat im siebenten Stock des Gebäudes seine dort beschäftigte Mutter und anschließend sich selbst erschossen.
    Das Außenministerium bemüht sich nun um einen besseren Schutz gegen Eindringlinge.
    Brasilien, USA.
    Das Ergebnis der Untersuchungen einer internationalen Expertengruppe lässt keinen Zweifel mehr daran, dass die in der Nähe von São Paulo exhumierte Leiche eindeutig die des früheren KZ-Arztes Josef Mengele ist.
    Ein Sprecher der 17 Sachverständigen sagte, es gebe in keinem einzigen Punkt Meinungsverschiedenheiten, vor allem die Zähne lieferten Beweis.
    Damit geht eine jahrzehntelange weltweite Jagd nach dem Mann zu Ende, der für den Tod hunderttausender Häftlinge im KZ Auschwitz verantwortlich gemacht wird.
    Die Vereinigten Staaten haben die Fahndung nach Mengele offiziell beendet.
    Der Gesuchte ist nach dem Krieg, nach Angaben seines Sohnes, zunächst nach Argentinien geflohen und 1960 in Paraguay aufgetaucht.
    Dann hatte Mengele mehrere Jahre in Brasilien gelebt.
    1979 kam er bei einem Badeunfall ums Leben.
    Vereinte Nationen.
    Der Weltsicherheitsrat in New York hat Südafrika zum dritten Mal innerhalb von drei Tagen scharf verurteilt.
    In einer Resolution wird Südafrika zur Einstellung aller aggressiven Akte gegen die Nachbarstaaten aufgerufen.
    Besonders kritisiert wird der Überfall auf Gaborone, die Hauptstadt Botswanas.
    Südafrikanische Einheiten hatten dabei in der vergangenen Woche 16 Menschen getötet, unter ihnen auch Frauen und Kinder.
    Nach Darstellung Pretorias galt die Aktion einem angeblichen Stützpunkt des in Südafrika verbotenen Afrikanischen Nationalkongresses.
    Ungeachtet der Verurteilung durch den Weltsicherheitsrat hat Südafrika mit neuen Angriffen auf Angola und Botswana gedroht.
    Belgien.
    Auf die Brüsseler Niederlassung des deutschen Chemiekonzerns Bayer ist heute früh ein Bombenanschlag verübt worden.
    Verletzt wurde niemand, es entstand aber erheblicher Sachschaden.
    Wenig später hat sich eine bisher unbekannte Gruppe mit dem Namen Friedenseroberer zu dem Anschlag bekannt.
    Ein anonymer Anrufer sagte, man habe gegen die Versenkung chemischer Abfälle in der Nordsee und gegen die Beschlagnahmung eines Schiffes der Umweltschutzorganisation Greenpeace protestieren wollen.
    Norwegen.
    Nach der ersten Flugzeugentführung in Norwegen von gestern sollen die Sicherheitsvorkehrungen auf allen norwegischen Flughäfen verschärft werden.
    Möglicherweise sollen die in der Bundesrepublik Deutschland üblichen Kontrollen übernommen werden.
    Ein wegen Raubüberfällen bekannter Norweger hatte eine Maschine mit 120 Insassen auf einem Inlandsflug in seine Gewalt gebracht.
    Auf dem Flughafen von Oslo gab er im Austausch gegen Bier seine Waffe her und ließ alle Geiseln unverletzt frei.
    Griechenland.
    Athen ist seit gestern Abend europäische Kulturhauptstadt 1985.
    Mit einem Festakt auf der Akropolis, an dem auch der französische Präsident François Mitterrand teilnahm, wurde ein sechsmonatiges Festival der Künstler eröffnet, das die griechische Hauptstadt für diese Zeit als europäische Kunstmetropole ausweisen soll.
    Auf Initiative der griechischen Kulturministerin Melina Merkouri wird dieser Titel alljährlich einer anderen Stadt verliehen.
    Bundesrepublik Deutschland.
    Der Schauspieler, Regisseur und Autor Axel von Ambesser feiert heute seinen 75.
    Geburtstag.
    Der Hamburger Kaufmannssohn hat seine Bühnenlaufbahn in seiner Geburtsstadt begonnen und war bald im gesamten deutschen Sprachraum der gesuchte geistvolle Charmeur.
    Zurzeit steht Ambessa in München, wo er seit vielen Jahren in Schwabing lebt, auf der Bühne.
    Kommende Woche ist er wieder in Wien, um seine Lebenserinnerungen vorzustellen.
    Das Parteiorgan der Sozialdemokraten, Vorwärts, soll als Wochenzeitung erhalten bleiben.
    Der Parteirat, der SPD, sprach sich gegen den Verkauf der 109 Jahre alten Zeitung an einen Fremdverlag aus.
    Allerdings wird eine sogenannte Dienstleistungszusammenarbeit mit anderen Verlagen nicht ausgeschlossen.
    Der Vorwärtsverlag soll nach der Empfehlung des SPD-Parteirates außerdem möglichst schnell unwirtschaftliche Nebentätigkeiten beenden.
    Das Parteiorgan der deutschen Sozialdemokraten kämpft mit schweren finanziellen Verlusten.
    In den ersten fünf Monaten dieses Jahres sind in der Bundesrepublik Deutschland 22.000 schadstoffarme Personenwagen neu zum Verkehr zugelassen worden.
    Das waren rund zwei Prozent der Neuzulassungen.
    Als schadstoffarm bezeichnet das deutsche Kraftfahrtbundesamt in Flensburg nicht nur Fahrzeuge, die mit Abgaskatalysatoren ausgerüstet sind,
    Darunter fallen auch alle Autos, die über Einrichtungen verfügen, mit denen die Schadstoffe in den Abgasen unter einem bestimmten Grenzwert gesenkt werden.
    Schweiz Die Ost-West-Autobahnverbindung in der Schweiz hat jetzt keine Unterbrechung mehr.
    Als letzte Lücke wurde die Nordumfahrung von Zürich geschlossen.
    Allein diese Umfahrung erforderte einen Kostenaufwand von etwa 5 Milliarden Schilling.
    Das sogenannte Limmat-Teiler-Kreuz verbindet auf drei Ebenen die N1 mit der N20 und führt zum Kernstück der Zürcher Nordumfahrung, dem 3,3 Kilometer langen Gubris-Tunnel.
    Österreich.
    Benzin sollte nach Ansicht des ARBÖ sofort billiger werden.
    Die Kraftfahrervereinigung spricht in einer Aussendung von einer Hinhalte- und Verzögerungspolitik der Mineralölwirtschaft.
    Nach Angaben des ARBÖ sprechen die wirtschaftlichen Bedingungen für eine Preissenkung noch vor Beginn der Ferienreisewelle.
    Nun zur Wetterlage.
    Eine Störungszone liegt über Westösterreich.
    Sie verlagert sich langsam ostwärts.
    Nach ihrem Durchzug tritt vorübergehend Wetterbesserung ein.
    Die Aussichten bis morgen früh.
    Im Westen häufig Regen, sonst reichlich bewölkt, im Osten noch sonnig.
    In weiterer Folge aber auch im Norden, Süden und Osten Bewölkungsverdichtung, Aufkommen von Regenschauern und Gewittern.
    Nachmittagstemperaturen 14 bis 20 Grad, Frühtemperaturen 8 bis 13 Grad.
    Die Aussichten für morgen Sonntag.
    Anfangs noch Störungsreste, später bei unterschiedlich aufgelockerter Bewölkung zeitweise sonnig.
    Örtlich Regenschauer möglich.
    Tageshöchsttemperaturen 15 bis 20 Grad.
    Das Wetter um 12 Uhr, Wien wolkig 20 Grad, Eisenstadt stark bewölkt 19, Linz bewölkt 16 Grad, Ostwind mit 10 Kilometern pro Stunde, Salzburg bedeckt 16, Innsbruck stark bewölkt 13 Grad, Bregenz bedeckt Regen 14, Graz stark bewölkt 17 und Klagenfurt wolkig bei 19 Grad.
    Es war gerade zehn Minuten nach zwölf und einmal mehr steht am Beginn der Beiträge im Mittagsschanal ein Thema, das die Weltöffentlichkeit jetzt seit acht Tagen bewegt, die Geiselnahme in Beirut.
    Im Entführungsdrama selbst haben sich die Dinge insofern weiterentwickelt, als die 40 entführten Amerikaner oder wenigstens einige von ihnen mittlerweile vermutlich nicht mehr in der Stadt Beirut selbst versteckt werden dürften.
    Ein Grund für diese auf den ersten Blick überraschende Maßnahme der Terroristen könnte sein, dass christlich-libanesische Kundschafter einige Schlupfwinkel entdeckt haben.
    So stellt es jedenfalls Zeitungsberichten zufolge der christlich-libanesische Rundfunksender dar, der außerdem gemeldet haben soll, dass einige Geiseln schon in die ostlibanesische BK-Ebene verschleppt worden sind.
    Andererseits wurde eine Geisel, ein 48-jähriger Amerikaner mit Herzbeschwerden, freigelassen.
    Sie haben es in den Nachrichten ja auch gehört.
    Auf diplomatischer Ebene dauert zumindest nach außen hin das Dilemma und das angeblich so notwendige Vermeiden eines Gesichtsverlustes an.
    Israel zeigt sich weiterhin nicht bereit, der Hauptforderung der Geiselnehmer nach Freilassung von 700 Schiiten nachzugeben, zumindest nicht ohne direktes Ersuchen der Vereinigten Staaten.
    President Reagan wiederum scheint nach wie vor zu einem solchen direkten Zugeständnis an die Terroristen ebenfalls nicht bereit zu sein.
    Diese Situation hat jetzt den Schiitenführer Nabi Berri zu der Drohung veranlasst, seine Vermittlerrolle zurückzulegen.
    Dabei ist das Wort Vermittler in diesem Fall natürlich eine arabische Untertreibung.
    Berri, der Justizminister einer Libanon-Regierung, von der ansonsten nichts zu hören und zu sehen ist, hat ja ausdrücklich nicht nur die ursprüngliche Aktion radikaler Schiiten gebilligt,
    Und das auch, nachdem ein Amerikaner erschossen worden war.
    Er hat als Führer der Amal-Milizen auch einen Großteil der Geiseln unter seiner Bewachung.
    Trotzdem, ob man deshalb sagen darf, er mache gemeinsame Sache mit den Terroristen, das ist zweifelhaft.
    Denn vermutlich ist die Sache der radikalen Schiiten im Libanon seine Sache nicht.
    Wie auch Marcel Pott in seiner folgenden Analyse der Position von Nabi Berri meint.
    Wer ist dieser Mann, der als Justizminister seines Landes das Faustrecht gutheißt,
    weil er es politisch für opportun hält?
    Ist Nabi Berri ein Sektenoberhaupt, dem die auf Anarchie begründete Macht zu Kopf gestiegen ist?
    Ein libanesischer Lokalpolitiker mit den Allüren eines Kriegsherrn, der scheinbar unerschrocken den Amerikanern die Stirn bietet, um das Recht seiner schiitischen Glaubensgenossen einzufordern?
    Oder ist er eher ein kluger Taktiker, ähnlich dem PLO-Chef Yasser Arafat,
    der das Geiseldrama von Beirut dazu nutzen muss, um seine wenig gesicherte Position als scheitischer Volkstribun zu festigen, weil eifersüchtige Religionsführer und fanatische Khomeini-Jünger daran rütteln?
    Fest steht, dass Nabi Berri mit seiner Parteinnahme für die Luftpiraten, die er selbst als radikale fundamentalistische Soldaten Gottes mit festem Blick nach Teheran bezeichnet hat,
    zum potenziellen Ziel amerikanischer Vergeltungsaktionen geworden ist.
    Jenseits dessen aber befindet er sich keinesfalls in einer beneidenswerten Lage, weil er weder in der eigenen Amalbewegung unumstritten ist, noch Einfluss ausübt über die zahlreichen radikal-schehitischen Gruppen, die sich in Baalbek und den südlichen Elendsquartieren Beirut festgesetzt haben.
    Der Ball ist im Lager der Amerikaner, behauptete Nabi Berri selbstbewusst
    Er persönlich wird achtgeben müssen, dass er über dem Geiseldrama von Beirut, wie auch immer es enden mag, nicht noch mehr von seiner ursprünglichen politischen Identität gezwungen ist aufzugeben, nur weil er den Militanten-Schiiten nicht das Feld überlassen will.
    Denn Letztere haben wenig mit den weltlichen Reformideen des relativ gemäßigten Amalführers Perry im Sinn.
    Sie streben einen islamischen Gottesstaat nach dem Muster Ayatollah Khomeinis an.
    Kernpunkt allen Denkens und Handelns jener unter anderem in der Partei Gottes versammelten islamischen Eiferer ist die Verpflichtung auf Wilayat al-Fakih, die Herrschaft des geistlichen Oberhaupts in der Person Ayatollah Khomeini.
    Vor diesem Hintergrund, so erläuterte der junge Sheikh Ibrahim Alamin im Februar diesen Jahres, fordere man auch die libanesischen Christen auf, zum Islam überzutreten oder zumindest alles zu unterlassen,
    was der heiligen islamischen Sache entgegenstehe.
    Israel, die USA, Frankreich und die christliche Verlange-Partei im Libanon sind die erklärten Gegner von Hezbollah, betonte Sheikh Amin bei seinem damaligen Auftritt vor der Presse und fügte hinzu.
    Niemand solle glauben, in seiner Partei Gottes gäbe es nur eine Handvoll von fanatischen Terroristen, die es auf Alkoholläden und Vergnügungszentren abgesehen hätten.
    Worauf es den Anhängern von Hezbollah vielmehr ankomme, sei, das Übel an der Wurzel zu packen und dies bedeute, die Amerikaner überall dort zu bekämpfen, wo man ihrer habhaft werden könnte.
    Frankreich, die USA und ihre Helfershelfer, dies steht fest für den jungen schiitischen Geistlichen, müssen den Libanon ein für allemal verlassen und jedem imperialistischen Einfluss sei ein Ende zu setzen.
    Darüber hinaus habe sich gezeigt,
    dass der westliche Kapitalismus ebenso wie der östliche Kommunismus die Bedürfnisse der Massen nicht befriedigen können.
    Das Heil der Völker, so der dynamisch auftretende Hezbollah-Mann, liege in der Botschaft des Islam, im islamischen Gottesstaat, unter Führung der rechtgeleiteten Diener Allahs.
    Kein Zweifel, Khomeinis Saat im Libanon ist aufgegangen und beginnt angesichts der zunehmenden Verelendung
    besonders der schiitischen Bevölkerung immer mehr Früchte zu tragen.
    Eine Analyse von Marcel Pott aus Beirut.
    In Hagen in Westfalen beginnt heute Nachmittag ein außerordentlicher Parteitag der bundesdeutschen Grünen.
    Die 850 Delegierten werden dort vor allem versuchen müssen, ihre politische Linie zu finden, insbesondere im Verhältnis zur SPD.
    Denn nicht nur in dieser Frage sind die Grünen in zwei Flügel gespalten.
    die sogenannten Realpolitiker, auch Realos genannt, und die radikalen Fundis, die Fundamentalisten.
    Verschärft wird die Situation durch das Ausbleiben der bis dahin mehr oder weniger gewohnten Wahlerfolge.
    Die jüngsten Landtagswahlen im Saarland und in Nordrhein-Westfalen brachten nicht den erhofften Einzug auch in diese Länderparlamente.
    Insgesamt sind die deutschen Grünen zwar nach wie vor politisch stärker präsent und repräsentiert,
    als die Grünen bei uns in Österreich.
    Bekanntlich sind die deutschen Grünen in mehreren Ländern und auch im Bundestag in Bonn vertreten, dort mit 27 von knapp 500 Abgeordnetenmandaten.
    Aber trotzdem wird jetzt von einem Krisenparteitag gesprochen.
    Michael Kerbler informiert.
    Mit die Grenzen des Wachstums könnte man den heute Nachmittag beginnenden Parteitag der Grünen übertiteln.
    Denn die Grünen, deren Aufstieg unaufhaltsam schien, sind tatsächlich an die Grenzen ihres Wachstums gestoßen.
    Die Wahlniederlagen im Saarland und in Nordrhein-Westfalen und Wahlerfolge in Berlin und Frankfurt, die allerdings unter den Erwartungen liegen, signalisieren eine grüne Krise.
    Jene Partei, die sich den Umweltschutz an ihre Fahnen heftete, muss jetzt erkennen, dass man mit Symbolen zwar Sympathien, aber keine politischen Siege auf Dauer erringen kann, vor allem dann nicht, wenn diese Partei gegenwärtig in der Öffentlichkeit als in zwei Lager gespalten gilt.
    In die sogenannten Fundis, also die Fundamentalisten, die mit strikter Opposition und Verweigerung langfristig radikale Veränderungen herbeiführen wollen,
    und in die sogenannten Realos, die Realpolitiker, die darauf drängen, unter bestimmten Voraussetzungen mit der SPD in Koalitionen einzugehen.
    Exponenten dieses Lagers sind der Anwalt Otto Schily, der meint, dass Machtabstinenz vom Wähler nicht honoriert wird, und Joschka Fischer, der der Ansicht ist, dass man mit einer reinen Gesinnung zwar die Gesinnung, aber nicht die Umwelt reinhalten kann.
    Zwischen diesen beiden Gruppierungen dürfte es auch zu Wortduellen in den nächsten zwei Tagen kommen, vor allem dann, wenn es um die Schuldzuweisung für die verlorenen Wahlen in Nordrhein-Westfalen und im Saarland geht.
    Einmal mehr sind es die Meinungsforscher, die die Gründe für das schlechte Abschneiden bei den genannten beiden Wahlgängern herausgefunden haben wollen.
    Erstens, das Stimmenreservoir als reine Protestpartei hätten die Grünen ausgeschöpft, es seien ihnen nicht gelungen, neue Wählergruppen für sich zu gewinnen.
    Das neue Wir-Gefühl der SPD, die die Lösung ökologischer Probleme für sich reklamiert, hat so manchen Wähler zu den SPD-Landesvätern Oskar Lafontaine und Johannes Rauth zurückgelockt.
    Zweitens, die Wertvorstellungen der Grünen, die eine Partei der 30- bis 40-Jährigen ist, die ihre Politisierung in der 68er-Bewegung erfahren hat, ist für Jungwähler mit zunehmend konservativen Wertvorstellungen nicht mehr attraktiv genug.
    Und drittens scheinen die Wähler von den Grünen zu erwarten, dass sie Probleme nicht nur aufzeigen, sondern durch die Übernahme von Verantwortung, etwa auf Landesebene, mit lösen helfen.
    Bernd Guggenberger, Soziologe an der Universität Bielefeld, analysiert die Situation der Grünen folgendermaßen.
    Die Grünen befinden sich in einem schwierigen Übergang.
    Vom Problemtransport zur politischen Problemlösung.
    Vom Anstoßen und Verhindern in der Politik zum verantwortlichen Mitgestalten.
    Schneller als ihnen eigentlich lieb sein kann, werden sie mit der Frage ihrer Regierungswilligkeit und Regierungsfähigkeit konfrontiert.
    Dies ist für eine geborene Oppositionspartei ein Problem, das tief ans Selbstverständnis rührt, fraglos eine Herausforderung vom Rang einer verbandspolitischen Zerreißprobe.
    Für die rund 850 Delegierten in der Hagerner Stadthalle wird es darum gehen, Realos und Fundis auf eine grüne Linie zu bringen.
    Erste Weichenstellungen für die Inhalte einer Wahlplattform für die Bundestagswahlen 1987 müssen gestellt werden.
    Darüber hinaus wollen sich die Delegierten, die 35.000 Parteimitglieder repräsentieren, auch zu gemeinsamen Positionen in den Problembereichen Tierversuche, Entgiftung der Umwelt mit dem Schwerpunkt Chemie und dem Themenkomplex Neue Technologien durchringen.
    Schon jetzt zeichnet sich ab, dass all die genannten Probleme mit einem Wundermittel aus der Welt geschafft werden sollen, das auch von österreichischen Parteien gerne benutzt wird.
    Durch Kommissionen und Unterkommissionen.
    Ob diese Zauberformel allerdings ausreicht, um den Grünen neuen Elan zu geben, damit sie 1987 die 5%-Hürde schaffen,
    muss erst abgewartet werden.
    Denn die entscheidende Frage für diese junge Partei lautet auch in den nächsten Monaten.
    Verläuft der politische Reifeprozess schneller als der unvermeidliche Verschleißprozess?
    Wenn die Grünen, so prophezeit man, auch in der eigenen Partei eine politische Bewegung bleiben, die die Mitverantwortung etwa auf kommunaler Ebene scheut, werden sie welten wie alle schnell verblühenden Gewächse.
    Michael Kerber war das mit einer Vorschau auf den Parteitag der bundesdeutschen Grünen, der an diesem Wochenende stattfindet.
    Wir erwarten dazu auch einen kurzen Bericht im morgigen Sonntagssjournal.
    Bevor wir im Mittagssjournal heute zu unserem Blick in die österreichischen Tageszeitungen kommen, noch ein Auslandsthema auf unserem Programm.
    Denn was früher einmal eine beliebte Facette in spannenden Reiseberichten aus den Wüstengegenden unserer Erde war, das trifft jetzt zunehmend auch auf den Rest der Erde zu.
    Wasser wird zum kostbaren Gut.
    Ein neuerer UNO-Bericht stellt fest, dass rund 1,2 Milliarden Menschen nicht ausreichend mit Trinkwasser versorgt sind.
    Wenn auch natürlich die Situation nicht überall so katastrophal ist, wie in den afrikanischen Dürregebieten.
    In den Cortes von Madrid, dem Parlament der Spanier, werden noch in diesem Sommer wichtige Wassergesetze abschließend debattiert.
    Das auch in Spanien immer knapper werdende Wasser soll dann ausschließlich dem Staat gehören.
    Besitzer von privaten Brunnen werden zwar nicht völlig enteignet, aber ihre Verfügungsmacht über das kostbare Nass wird vom Staat stark eingeschränkt.
    Überdies erhalten sie noch eine Frist.
    Sie ist großzügig bemessen und geht über 75 Jahre.
    Hören Sie mehr von Robert Gerhard.
    Wasser war im heißen Spanien immer schon von großer Bedeutung.
    Ein altes Gesetz aus dem Jahre 1879 ist bis heute gültig und gab das Wasser an der Oberfläche in die Hand des Staates.
    Doch das unter der Erde, die Brunnen und Quellen, gehören Privatleuten.
    Und diese machen weiterhin damit ihr dickes Geschäft.
    Wie es Latifundien-Besitzer noch immer gibt, also Großgrundherren, so kennt Spanien auch den Großwasserbesitzer, den Aguateniente, den Wasserhalter.
    Wer das wertvolle Nass braucht, der hat es bis heute auf den Kanarischen Inseln beispielsweise oder in den weiten Agrarzonen von Andalusien beim Wasserherrn zu kaufen.
    Das sind die Herzöge von Infantado, die Herzöge von Alba oder die Herzöge von Medina Sidonia.
    Großgrundbesitzer Tierra Tenientes, die auch über Wasser auf ihren Latifundien verfügen und es teuer an die umliegenden armen Dörfer verkaufen.
    In dem Rebellenort Marina Leda beispielsweise, es liegt in der Nähe von Sevilla, da machen die Tagelöhner und bettelarmen Kleinbauern Hungerstreiks für Arbeit und für Wasser.
    Die Blaublütigen lassen es mit Zisternenwagen in die bedürftigen Ortschaften transportieren und dort gegen hohe Tarife abgeben.
    Die armen Landarbeiter sind weiterhin abhängig von der Gunst und der Großzügigkeit der hohen Herren.
    Die Rechte über ihre Quellen und Brunnen werden erst nach 75 Jahren an den Staat übergeben.
    Bis dahin sind dann hoffentlich auch bis in die entlegensten Dörfer von Spanien Wasserleitungen gelegt.
    Die Wasserherren brauchen keine Enteignung zu befürchten.
    Sie dürfen nach den neuen Gesetzen nur keinen Missbrauch betreiben und können bald auch die Wasserpreise nicht mehr nach Belieben hochschnellen lassen, wie es oft in den Touristenzonen und den Inseln im Atlantik den Kanaren passiert.
    Das Wasser gehört auch dort zum Teil noch Privatleuten.
    Sie betreiben hochmoderne Fabriken, die das Salzwasser des Meeres zu Trinkwasser transformieren.
    An die Haushalte geht es für teures Geld.
    So teuer, dass es auf den kanarischen Inseln, die ja Zollfreiheit genießen, es manchmal billiger kommt, in spanischem Schaumwein zu baden, als Wasser in die Wanne zu lassen.
    Die Konsumenten kaufen lieber Mineralwasser in Plastikkanistern, als Wasser aus dem Hahn.
    Um etwas Wettbewerb zu schaffen und um aus der totalen Abhängigkeit herauszukommen, wird die kanarische Regierung Wasser von der portugiesischen Insel Madeira kommen lassen.
    Per Tankschiffe.
    Ein deutsches Firma wird ab 1986 den Transport besorgen.
    Die vorbereitenden Arbeiten sind dann abgeschlossen, wie etwa Verteilernetz und die Betankung im Hafen.
    Das Wassergeschäft besorgen dann die interessierten Gemeinden direkt mit der deutschen Transportunternehmerfirma.
    Wasser wird immer knapper, in Teilen von Spanien muss es von weit her herangeschafft werden und in anderen achten alle ganz streng darauf, dass damit keine strafbare Handlung begangen wird.
    In Valencia, das für seine Landwirtschaft viel Wasser braucht, tagt beispielsweise jeden Donnerstag ein Wassergericht.
    Sieben Herren tagen 12 Uhr mittags vor der Kathedrale, beraten und behandeln Klagen.
    Die Sitzungen sind öffentlich.
    Was der Wasserrat beschließt, wird Gesetz.
    Wer sich nicht danach richtet, dem wird zur Strafe einfach das Wasser entzogen und das Land bleibt trocken.
    Die Herren des Wassers von Valencia und der fruchtbaren Provinz haben in ihren Händen das Wohl und das Wehe der Bauernfamilien, die Frucht der Felder, die Gunst der Bewässerung.
    Wenn sie ausbleibt, zerstört sie Existenzen.
    Die Beschlüsse der Wasserherren sind daher die Bibel für die Leute der Region Valencia.
    Das Wassergericht hat Jahrhunderte Tradition.
    Wasser ist knapp und nun gehört es in Spanien allen.
    So wollen es neue Gesetze, allerdings mit Übergangsfristen bis zu 75 Jahren.
    Robert Gerhard berichtete aus Madrid.
    Drei Minuten vor halb eins zur Inlands-Presse-Schau.
    Das Thema Zwentendorf hat auch in der abgelaufenen Woche die innenpolitische Diskussion weitgehend bestimmt.
    Bundeskanzler Sinowaz startete als, wie es hieß, letzte Initiative für das Zustande bringen einer Zwentendorf-Volksabstimmung, den Versuch, den ÖVP-dominierten Bundesrat für einen Gesetzesantrag in dieser Richtung zu gewinnen.
    Die Tiroler ÖVP-Abgeordneten Keller und Ermakora haben sich offen im Gegensatz zur Parteilinie gestellt.
    Keller kündigte einen eigenen Initiativantrag an, Ermakora sprach sich für eine Urabstimmung innerhalb der ÖVP aus.
    Die Führung der ÖVP blieb allerdings bei ihrer Linie.
    Ein gemeinsamer Regierungsantrag, den also auch der Atomgegner Vizekanzler Steger unterstützen müsste, sei unabdingbare Voraussetzung für eine Zustimmung der ÖVP.
    Und der Klubzwang bleibe aufrecht.
    Und wenn auch viele vielleicht der Meinung sind, die Helwig Schmidl heute im Kurier formuliert, nämlich, das Gezänk um das Atomkraftwerk Zwentendorf wird allmählich ekelhaft, lustig war es ja nie, so sind die Kommentarspalten doch auch heute wieder voll zum Thema Zwentendorf.
    Ernest Hauer hat Auszüge zusammengestellt.
    Zwei Politikeräußerungen liefern den Kommentatoren der heutigen Zeitungen Anlass zu nicht immer freundlichen Bemerkungen zum Thema Zwentendorf.
    Zum einen die Aussage des Vizekanzlers und Energieminister Steger, die derzeitige Situation um das lahmgelegte Atomkraftwerk und das Atomsperrgesetz behage ihm.
    Dazu meint Josef Nowak in der Tiroler Tageszeitung.
    Wer versteht eigentlich eine solche Regierung?
    Wer versteht es, wenn Norbert Steger im Zusammenhang mit Zwentendorf schlicht erklärt, er denke gar nicht daran, einen Zustand zu verändern, der ihm, wörtliches Zitat, wunderbar behagt.
    Politik als Privatvergnügen, als Spiel zwecks persönlichen Lustgewinns.
    Weit ist dieser Staat gekommen, wenn der Stellvertreter des Regierungschefs derlei ungestraft erklären kann.
    Wo liegt eigentlich die Grenze der Geduld des Fred Sinowatz?
    Wo die der SPÖ?
    Was ist Ihnen dieser Mann als Vizekanzler und Handelsminister wert?
    Was die FPÖ als Koalitionspartner?
    Wer zahlt die Zeche?
    Zunächst einmal, so scheint es, die Bürger, die über den Strompreis den Bau von Zwentendorf finanziert haben.
    Wer denkt schon an sie?
    In der Grazer Kleinen Zeitung bringt Kurt Vorhofer seine Einschätzung der Stegeäußerung auf eine Kurzformel.
    So ungeniert hat noch selten ein hoher Amtsträger der Republik gesagt, dass er sich sauwohl fühlt mitten im Schlamassel.
    In der Tageszeitung die Presse liest man unter dem Titel, das Wohlbehagen des Politikers bei Thomas Kurherr.
    Die Ehrlichkeit ist beinahe entwaffnend.
    Und doch muss sich Norbert Steger gefallen lassen, jetzt als Zyniker bezeichnet zu werden.
    Was hat er denn getan?
    Er hat die Dinge beim Namen genannt.
    Er hat seine Rolle richtig beschrieben.
    Das Wohlbehagen, das er fühlt, ist ein doppeltes.
    Er kann zeigen, wie stark er ist.
    Er allein ist imstande, das Atomvotum zu blockieren.
    Und er kann zudem, es ist in der Tat etwas Erotisches um die Macht und deren Ausübung, weiter dem Genuss der Tatsache frönen, dass Zwentendorf zugesperrt bleibt.
    Drei mögliche Auswege aus dem Zwentendorf-Dilemma sieht der Pressekommentator.
    Entweder einigen sich Sinowatz und Mock oder ab 1.
    Jänner beginnt das Abwracken des Kraftwerks.
    Oder als dritte Variante... Jene Art von Volksabstimmung, zu deren Anberaumung man keine Zweidrittelmehrheit braucht, es müssten nur Neuwahlen ausgeschrieben werden.
    Die ÖVP würde da wohl mitstimmen.
    Und dann könnte in der Tat das Volk entscheiden, auch über Stegers Wohlbefinden.
    Der zweite Politiker, der sich den Unwillen der Kommentatoren zugezogen hat, ist der stellvertretende ÖVP-Klubobmann Robert Graf.
    Er meinte gestern, er verstehe in der Frage des Klubzwangs keinen Spaß.
    Wenn die ÖVP-Linie für einen Abgeordneten unerträglich werde, könne er jederzeit sein Mandat per Einschreibebrief zurücklegen.
    In den Salzburger Nachrichten heißt es dazu,
    Nach Artikel 56 Bundesverfassungsgesetz sind die Mitglieder des Nationalrats bei der Ausübung dieses Berufes an keinen Auftrag gebunden.
    Das heißt, der einzelne Abgeordnete kann frei und unabhängig selbst bestimmen, wie er sich im Nationalrat verhält.
    Soweit die Theorie.
    In der Praxis wird dieses Prinzip ununterbrochen durch den Klubzwang der Parteien durchlöchert.
    Ein Beispiel dafür lieferte gestern wieder der stellvertretende Klubobmann der ÖVP, Robert Graf.
    Er hat seine Abgeordneten zumindest unter Druck gesetzt.
    Das ist Klubzwang hin, Klubzwang her, kein Spaß.
    Im SPÖ-Organ Arbeiterzeitung meint Manfred Scheuch,
    So brutal hat man bisher den Klubzwang noch nie interpretiert bekommen.
    Glück, dass der Graf hat, dass solche Aufforderungen nicht auf die Waage der Wahrhaftigkeit gelegt werden.
    Denn sonst müsste ein Massenaustritt aus dem VP-Parlamentsklub die Folge sein.
    Dort kann man nämlich die wirklichen Gegner der friedlichen Nutzung der Kernkraft an den Fingern abzählen.
    Für die anderen liegt das, was Mock und der andere Graf der Partei hier als Linie gegen den wachsenden Unmut der Bevölkerungsmehrheit diktiert, längst am Rande des Erträglichen.
    Eine Glosse in den oberösterreichischen Nachrichten trägt den Titel Vergesslicher Graf.
    Wenn für einen VP-Abgeordneten die Linie seiner Partei unerträglich werde, könne er jederzeit mit Einschreibebrief sein Mandat zurücklegen, im Fall VP-Wirtschaftsbrecher Robert Graf.
    Er hat recht, das kann einer.
    Allerdings kann er auch aus der VP austreten und sein Mandat weiterhin behalten.
    Diese Möglichkeit zu erwähnen, hat Graf ganz vergessen.
    Erich Hauer stellte die heutige Inlandspresse-Schau zusammen.
    Im Journal zu Gast.
    Das ist heute Klaus-Maria Brandauer.
    Der 41-jährige Schauspieler gehört seit 1972 dem Ensemble des Wiener Burgtheaters an, wo er vor allem junge Shakespeare- und Schillerhelden spielte.
    Seit drei Jahren spielt er den Jedermann in Salzburg.
    International bekannt wurde Brandauer 1982 durch den österreichisch-ungarischen Film Mephisto, der als bester ausländischer Film mit einem Oscar ausgezeichnet wurde.
    Darauf folgte dann ein Filmerfolg nach dem anderen.
    Brandauer als der böse Gegenspieler von Sean Connery in dem Bond-Film Sag Niemals Nie, dann als Oberst Redl im gleichnamigen Film, dem es erklärtermaßen nicht um genaue historische Treue ging,
    und zwischendurch Brandauer als Kaiser Nero in einer italienischen TV-Serie.
    Und vor wenigen Tagen hat Brandauer einen neuen Film abgedreht mit zwei absoluten Topstars von Hollywood.
    In dem Film Out of Africa spielt Brandauer in einer Dreiecksgeschichte gemeinsam mit Robert Redford und Meryl Streep.
    Brandauer scheint spätestens damit etwas gelungen, was vor ihm in jüngerer Zeit wohl nur Oskar Werner und Romy Schneider geschafft haben, nämlich die wirklich internationale Filmkarriere
    eines Österreichers.
    Brandauer hat eine Wohnung in Wien, eine in New York und ein Haus in Altaussee.
    Trotz seiner Erfolge hat es Brandauer mit seinen Kritikern nicht immer leicht.
    Viele werfen ihm übersteigertes Selbstbewusstsein vor.
    Und auch das ist ein Thema des Gesprächs, das Ulrich Brunner mit Klaus Maria Brandauer führte.
    Herr Brandauer, Sie sind ein begeisterter Österreicher.
    Sie haben Ihr Österreichertum auch immer vor sich her getragen, zum Teil auch optisch manifestiert als Lederhosenträger.
    Jetzt sind Sie im internationalen Filmgeschäft, sind viel im Ausland, sind ein Weltbürger geworden.
    Wie hat das Ihr Österreichertum beeinflusst?
    Das hat uns beeinflusst und zwar in der Weise, dass ich durch das Kennenlernen von anderen Ländern, von anderen Menschen bemerkt habe, dass das, was uns Österreicher ausmacht, wir überall in der Welt herzeigen können.
    Was macht den Österreicher aus, Ihrer Meinung nach?
    Ich glaube, dass der Österreicher
    wenn man so generell überhaupt reden kann, denn Sie wissen ja, dass der Tiroler ein bisschen verschieden ist von einem Burgenländer und der Steiermerker verschieden von einem Niederösterreicher oder innerhalb von Aldous-Seemann-Heimatgemeinde es sicherlich Hunderte von verschiedenen Charakteren gibt, wo man manchmal das Gefühl hat, die können gar nicht aus einer und derselben Gemeinde sein.
    Also ist diese Generalisierung etwas sehr gefährliches.
    Aber ich würde doch sagen, dass wir ein Menschenschlag sind,
    der eine ziemlich offene Art hat, das Leben zu betrachten, der eine Möglichkeit der liberalen Gesellschaftsbetrachtung hat und das wir gerne leben und auch leben lassen.
    Das ist zwar eine französische Etikette, aber die, glaube ich, haben wir auch.
    Also ist der Österreicher Brandauer ein noch bewussterer Österreicher geworden durch seine Erfahrungen im Ausland?
    Ich weiß, dass wir unser Licht nicht unter den Scheffel stellen müssen im Ausland.
    Und ich würde mir allerdings wünschen, dass alle Österreicher das auch wissen, so wie die Leute, die im Ausland herumkommen, und nicht dauernd im Inland ihre eigenen Leistungen, ihre eigenen Handlungen über Gebühr kritisieren oder herunterziehen.
    Heißt das, dass das Selbstbewusstsein, das man Ihnen nachsagt, dass Sie das auch manchen anderen Österreichern empfehlen würden?
    Ich habe kein übertriebenes Selbstbewusstsein, wie ich oft in den Zeitungen von mir lese, ganz im Gegenteil.
    Ich glaube allerdings, dass jemand, der in der Öffentlichkeit steht, ein Selbstbewusstsein haben muss, um das alles zu ertragen, was die Begleiterscheinung von im öffentlichen Leben steht, mit sich bringt.
    Selbstbewusstsein halte ich für notwendig für jemand, der vor Menschen hintritt und versucht für fünf, für hundert, für tausend, für fünftausend, vielleicht für Millionen etwas, wovon er überzeugt ist, zu vermitteln.
    Dazu gehört eine Art Selbstbewusstsein.
    Ich bin ja nicht Schauspieler geworden oder Regisseur geworden oder Theatermann oder Filmmann, um unauffällig zu bleiben, sondern ich bin ja das geworden zunächst, um auffällig zu werden.
    Und dazu gehört sicherlich eine Art
    des Selbstbewusstseins, wenn Sie wollen am Anfang sogar übersteigertes Geltungsbedürfnis dazu.
    Aber wenn Sie einigermaßen erwachsen werden in Ihrem Beruf und in Ihrem Leben, dann wissen Sie, dass Sie das mehr und mehr abgeben und eines Tages völlig immun sind gegen Ihre eigenen Eitelkeiten, natürlich mit gelegentlichen Rückfällen.
    Herr Brandauer, Sie haben es schon angesprochen, Sie sind in der Welt anerkannt.
    In Österreich schreiben die Kritiker über Sie entweder eine Hymne oder eine Häme.
    Worauf führen Sie selbst das zurück, dass sich an Ihnen die Geister scheiden?
    Zunächst einmal glaube ich, dass es immer wieder Leute gibt, die die Arbeit von mir wirklich nicht leiden können.
    Das räume ich mal den einen oder anderen ein.
    Wenn die Kritik oder das, was man an mir auszusetzen hat,
    eine gewisse Gürtellinie unterschreitet, dann kann ich mich damit eigentlich nicht mehr auseinandersetzen und das ist dann auch nicht so wichtig.
    Wichtig allerdings ist, dass man sieht, auch an der Kritik, an der Häme, wie Sie sagen, dass man etwas macht, das die Menschen so emotionalisiert, dass sie auf diese Weise reagieren.
    Aber ich kann Ihnen sagen, wenn ich mir heute aus dem 68er, 69er, 70er Jahre
    Die österreichischen Kritiken, als ich hier als junger Schauspieler anfing, wo von einem Genie zum anderen die Rede war, was natürlich weder damals noch heute der Fall ist, und jetzt, je mehr ich von meinem Beruf gelernt habe, es plötzlich Abstriche gibt, dann ist das schon eine sehr, sehr merkwürdige Entwicklung.
    Leute, die Sie etwas genauer kennen, behaupten, dass sie von negativen Kritiken schon betroffen seien, dass sie das schon trifft, dass sie damit tagelang herumgehen.
    Stimmt das?
    Selbstverständlich.
    Am Anfang hatte ich sogar das Gefühl, als ich so meinen überregionalen Weg gemacht habe, dass ein gewisser Neid die Ursache dieser
    schlechten Besprechungen war und war in Gefahr, Verfolgungswahn zu haben.
    Das habe ich aber sehr schnell wieder abgestreift.
    Es ärgert mich selbstverständlich.
    Es kann mich nicht freuen, wenn meine Großmutter und meine Mutter manchmal sogar mit einer kleinen Träne im Auge sagen, schau Klausi, was die wieder geschrieben haben und warum.
    Aber ich glaube, das ärgert mich mehr, als dass es mich selber ärgert.
    Aber wir sollten uns bei dieser Sache nicht zu lange aufhalten.
    Das Wichtige ist das, was ich mache, wie ich es mache und welche Leute ich erreiche, die damit was anfangen können.
    Dass es immer wieder, ich sage es noch einmal, Menschen gibt,
    die mit der Arbeit, aus Gründen, die man dann später untersuchen kann, nichts anfangen können oder wollen, das liegt in der Natur der Sache.
    Und so wie mein verstorbener großer Kollege Rudolf immer sagte, schau, wenn du die Bühne betrittst und es sind 20 Prozent für dich, dann ist das schon viel.
    Und das reicht ja auch.
    Ich möchte trotzdem noch bei diesem Thema bleiben, haben nicht Sie selbst durch einige lockere Äußerungen über sich selbst
    diesem Image Nahrung gegeben, wenn sie selbst gesagt haben, jawohl, ich bin eitel, jawohl, jetzt beginnt bei mir der Größenwahn.
    Die Frage, die ich mir auch selber stelle, nachdem ich das gelesen habe, war das ernst gemeint oder ironisch?
    Gewisse Selbstironie.
    Ich kann dazu sagen, dass das, was Sie jetzt anführen, völlig stimmt oder zumindest zum großen Teil stimmt.
    Ich bin eigentlich schuld an den manchmal misskreditierenden Äußerungen, die irgendwo stehen.
    Ich bin kein Politiker, ich muss keine Wahlen gewinnen, ich muss mich nicht taktisch verhalten, sondern ich glaube, dass mein Talent sind meine Schwierigkeiten mit mir selbst, meine Komplexe, meine Fehler.
    Und da ich glaube, dass diese Schwierigkeiten, Fehler, Komplexe auch andere Menschen auf die eine oder andere Weise haben, möchte ich Themen finden,
    Probleme unterhalten.
    Ich kann also alle meine Achillesfersen zugeben.
    Und das tue ich auch.
    Und selbstverständlich, wenn mich jemand fragt, sind Sie eitel, was bleibt mir anderes übrig, da ich felsenfest davon überzeugt bin, dass ich es bin, all meinem Beharrungsvermögen zum Trotz es nicht zu sein, dann werde ich sagen, ja.
    Und da ist nichts einfacher, als einen Titel zu machen, zu sagen, Brandauer ist eitel.
    Gehört die Eitelkeit nicht ein bisschen zum Schauspielerberuf?
    Im Beginn sicherlich, wie ich vorher gesagt habe.
    Ich glaube, sie müssen das nach und nach abschütteln, weil mit Eitelkeit können sie nicht arbeiten.
    Eitelkeit begrenzt ihr Fassungsvermögen im Kopf und ist eine Art der Dummheit.
    Ich möchte noch im Persönlichen bleiben mit einer Frage.
    Einer der Vorwürfe, mit denen Sie konfrontiert werden, lautet, Sie möchten von allen geliebt werden.
    Empfinden Sie das überhaupt als Vorwurf?
    Ich empfinde das überhaupt nicht als Vorwurf und ich würde mich sehr wundern, wenn es irgendeine Menschen auf der Welt gibt,
    der nicht im Ursprung seines Wollens im Zusammenleben mit Menschen diese Maxime hat, nämlich Dinge zu tun oder so zu sein, dass er von möglichst vielen Menschen akzeptiert wird.
    Die Umkehr dessen, dass dann jemand ein Misanthrop wird, ist ja nichts anderes als das Unerfüllte seines Wunsches, seiner Sehnsucht.
    Denn ich glaube, was wir brauchen, ist das Zusammenkommen und das Zusammenleben
    geht über Zuneigung, wenn sie wollen über Liebe.
    Es gibt allerdings Leute, bei denen ich keinen Wert darauf lege, dass sie mich gern haben als Mensch.
    Während ich, und das ist der Zwiespalt mit meinem Beruf, es jederzeit akzeptiere, dass ich jemand, der mich als Mensch nicht akzeptiert, als Konsument meines Berufes sehr wohl akzeptiere.
    Herr Brandauer, in den letzten Film- und TV-Rollen haben Sie fast nur böse Wichte oder jedenfalls wenig sympathische Menschen gespielt.
    Der böse Gegenspieler von Bond, Oberst Redel, Kaiser Nero, alles im Grunde genommen keine Heldenfiguren im klassischen Sinne.
    Liegt das an den Angeboten oder zieht es Sie selbst auch zu solchen Rollen hin?
    Also zunächst einmal glaube ich, dass wir in einer Welt leben, wo die Engel jedenfalls nicht auf unserer Welt sind, sondern wir sind mit unterschiedlichen Graden das, was man Bengel, Teufel, Lucifer, Mephisto nennt.
    Das heißt, diese Aufgaben geben mir eine größere Möglichkeit, das, was ich von mir weiß, von meinem Leben, von der Welt weiß,
    auszudrücken.
    Ich glaube nicht an Helden.
    Ich glaube nur an Menschen, die aufgrund von Umständen eine heroische Tat begehen können in den Augen der anderen.
    Aber Helden werden keine geboren.
    Helden macht Zeit plus Umstände und nichts weiter.
    Außerdem würde ich, wenn ich das noch sagen darf, ich würde nicht den Hendrik Höfgen, den Schauspieler Hendrik Höfgen und den Oberst Redl als Bösewicht im Sinne von James Bond Bösewicht... Aber jedenfalls nicht die sympathische Figur... Nein, umso schwieriger ist es, wenn Sie das schon sagen, ist es, dass Sie mit den Menschen sich über das Thema unterhalten können, weil sie ja a priori eine negativ besetzte Sache machen.
    Und darum bin ich immer sehr froh, wenn dann doch die Leute sich die Eintrittskarten kaufen.
    Das bedeutet, und das versuche ich ja auch immer, denn meine Rollen sind ja nicht so, dass sie nach fünf Minuten beim Mephisto, nach fünf Minuten im Redel wissen, dass er ein unsympathischer, opportunistischer Mensch ist.
    Dann hat es ja keinen Sinn, dass die Leute zwei Stunden länger im Kino bleiben.
    Ich versuche diesen Rattenfänger schmalen Gratwanderung zu machen, dass jeder irgendwann das Gefühl hat, das kann auch ich sein.
    Bis zum Schluss.
    Denn Lösungen biete ich ja keine an.
    Es gibt Künstler, die wollen nur unterhalten und solche, die wollen etwas bewirken, im politischen Sinne.
    Fühlen Sie sich im weitesten Sinne auch als politischer Künstler?
    Diese Trennung ist, glaube ich, nicht zulässig.
    Und wir haben auch keinen Beweis dafür, dass es diesen Unterschied gibt.
    Ich glaube, dass wir alle, die spielen, die Theater machen, Filme machen, singen, Unterhalter sind.
    Unsere Themen können ernst sein, ganz tief sein, große Auseinandersetzungen, politische Themen beinhalten.
    Aber wir besprechen sie mit den Menschen in einer unterhaltenden Form.
    Das heißt, der weit verbreitete Irrglaube, jetzt nicht im Publikum, sondern unter den Künstlern selbst, dass sie mit ihrer Tätigkeit als Spieler oder Regisseur auch Politiker sind, den halte ich für falsch.
    Fritz Mulya, vor wenigen Monaten zu Gast hier im Journal, hat das ähnlich gesehen wie Sie.
    Die Kunst ist in erster Linie zum Unterhalten da, aber außerhalb
    des Theaters engagiert er sich voll durch Reden, Artikel, Unterschreiben von Wahlaufrufen.
    Sie tun so etwas nicht, warum nicht?
    Wenn man mich heute einlädt, bei irgendeiner politischen Kampagne mitzumachen, dann lädt man mich nicht ein, weil ich der Klaus-Maria Brander aus Alderssee bin, sondern weil ich der, immerhin mittlerweile bekannte, österreichische Schauspieler bin.
    Das heißt, meine Person
    ist überhaupt nicht gefragt, sondern die Pharma meiner Person.
    Das stört mich zutiefst.
    Und außerdem ist in den Jahren, in denen ich jetzt erwachsen bin, das ist noch nicht so lange, ich meine das ist nicht kokett, sondern ich meine, dass man so ein politisches Bewusstsein als ausgereift empfinden kann, wo ich sage, da muss ich meine Stimme erheben, sonst geht etwas schief.
    Die einzige Ausnahme in letzter Zeit war das Konrad-Lorenz-Volksbegehren, das ich selbstverständlich unterschrieben habe, weil mir das ein Anliegen war.
    Was müsste passieren in Österreich, damit Sie sich sofort, spontan und öffentlich engagieren?
    Die 30er Jahre, die Schwierigkeit mit dem Nationalsozialismus, ich glaube da, obwohl ich heute nicht sicher bin, man soll in den Schuhen von anderen heute nicht urteilen, aber ich würde mir wünschen, dass ich in einer solchen Zeit meine Stimme erhebe.
    Herr Brandauer, viele Künstler, wahrscheinlich die meisten in Österreich, haben damals Altbundeskanzler Kreiske bewundert, haben also doch über eine Person eine Identifikation mit der Politik gefunden.
    Haben Sie auch zu diesen Bewunderern gehört?
    Was ich sage, hängt immer mit dem zusammen, was ich wirklich gerne ausübe.
    Theater, Filme, Rollenspielen, Figuren spielen.
    Dr. Kreisky gehört sicher, wenn ich Regisseur, wenn ich mal so salopp das sagen darf, wenn ich Regisseur bin,
    zu den Spielern, die ich jederzeit besetzen würde.
    Denn wer möchte nicht in seiner Inszenierung eine starke, große, wichtige Persönlichkeit mit großem Tiefgang und auch einem Unterhaltungswert.
    Es ist überhaupt keine Frage, dass wenn man einigermaßen in seinem Oberstübchen richtig ist, dass solche Menschen einem faszinieren.
    Darin liegt das große Vergnügen, aber selbstverständlich auch die Gefahr für beide Seiten.
    Das war jetzt die Bewertung Kreiskes als Schauspieler, aber nicht als Politiker.
    Als Politiker ist es außer Frage, dass in den Zeiten von Dr. Kreisky unsere österreichische Stimme in der Welt ein großes Gewicht hatte und dass man von diesem Land her immer wieder wesentliche Gedankenanstöße für internationale Themen bekommen hat.
    Ich hoffe, dass das auch in der Zukunft so bleibt.
    Zurück zu Ihnen als Künstler, Herr Brandauer.
    Aus relativ bescheidenen Verhältnissen sind Sie zum Weltstar geworden.
    der viel Geld verdienen kann.
    Haben Sie schon darüber nachgedacht, ob da nicht die Gefahr besteht, dass man vom Boden abhebt, die Realität verliert?
    36 Jahre alt war Mozart, als er starb.
    Ich bin, werde 41.
    Ich kann diesen Menschen überhaupt nicht mehr einholen, weder vom Talent her, noch von dem, was er für die Menschheit bedeutet hat.
    Georg Büchner mit 23 Jahren gestorben, hat politische, hochbrisante Themen aufgeworfen.
    Worauf soll ich mir was einbilden und was berechtigt mich abzuheben?
    Gar nichts.
    Überhaupt nichts.
    Ich habe ein sehr gutes Gleichgewicht, denn ich weiß, dass meine Freunde aus Alderssee bei der Raiffeisenkasse oder bei der Oberbank angestellt sind oder beim Salzbergwerk und dass ich eh schon, auch durch Glück selbstverständlich, ich stelle das, was ich kann, nicht unter den Scheffel.
    Es wäre jetzt lächerlich, wenn man jetzt sagen würde, der Brandauer hatte nur Glück.
    Nein, nein, ich habe sehr schwer gearbeitet.
    und bin auch ziemlich begabt für das, was ich mache.
    Das könnte wieder eine eitle Schlagzeile werden.
    Nein, ich meine, davon bin ich überzeugt.
    Aber ich habe einen solchen Vorteil gegenüber denen, mit denen ich aufgewachsen bin, und das weiß ich jeden Tag.
    Das allein freut mich schon, aber es befähigt mich nicht dazu, mich anders zu sehen als die anderen, höchstens im Sinne von Bevorzugung durch Umstände, aber nicht um abzuheben.
    Also Sie haben in alter See Ihre Jugendfreunde behalten, die sind auch heute noch Ihre Freunde.
    Selbstverständlich, es würde denen auch überhaupt nicht so viel imponieren, wenn ich jetzt den ein oder anderen Erfolg habe, wenn ich nicht gleichzeitig mit ihnen Skifahren gehe und mit ihnen so rede, wie ich immer geredet habe.
    Oft das Beispiel, dass wenn jemand aus seinem Ort herauskommt, dass er dann kaum mehr die Sprache spricht und einfach das Gefühl hat, er gehört einer anderen Kaste an.
    Ich gehöre keiner anderen Kaste an und ich sage das jetzt auch gar nicht, um mich selber in ein gutes Licht zu stellen, sondern ich kann das auch gar nicht.
    meine Bindung zu meinem Beruf, meine Bindung zu den Themen, die ich habe und die Ernsthaftigkeit total verlieren.
    Dann würde ich das werden, was man mehr oder weniger so aufgedrückt bekommt, ein Star, ein Showman, ein Entertainer, also bei allem Unterhalt und Wert.
    meiner Tätigkeit möchte ich meine Seriosität nicht verlieren.
    Und die hängt damit zusammen, dass ich mich zu dem, was ich bin, was ich war, woher ich komme, immer bewusst bin und auch immer dazu stehe.
    Ich danke für das Gespräch.
    Klaus-Maria Brandauer im Journal zu Gast.
    Die Fragen an ihn richtete Ulrich Brunner.
    Seit mehr als einem Jahr gibt es den Lesezirkel, das Literaturmagazin der Wiener Zeitung.
    In Abständen von jeweils etwa sechs Wochen sind als Zeitungsbeilage Magazine zu den Themen wie Literatur und Sport, österreichische Lyrik, Satire oder Film und Literatur erschienen.
    Diesmal ist der Lesezirkel erstmals einem Dichter gewidmet, nämlich Elias Canetti.
    Der Anlass dafür ist Canettis bevorstehender 80.
    Geburtstag am 25.
    Juli.
    Von den Lebensdaten Canettis bis zu historischen Hintergrundinformationen und zu komplizierten Interpretationen von Canettis Werk ist in diesem Lesezirkel zu lesen.
    Brigitte Hofers Beitrag darüber beginnt mit Canetti selbst, mit seinen Erinnerungen, die er in dem soeben erschienen dritten Band seiner Lebensgeschichte, das Augenspiel, festhält.
    Seine Erinnerung zum Beispiel an Alban Berg.
    Ich habe mir heute mit Ergriffenheit Bilder von Alban Berg angesehen.
    Ich traue mir noch immer nicht zu, zu sagen, wie ich ihn erlebt habe.
    Seine Frau Helene hat ihn nun mehr als 40 Jahre überlebt.
    Es gibt Leute, die sich darüber aufhalten und insbesondere an ihr auszusetzen finden, dass sie während dieser ganzen Zeit mit ihm in Verbindung blieb.
    Ich selbst sah sie 30 Jahre nach seinem Tode wieder, nach einem Vortrag Adornos in Wien.
    Sie kam aus dem Saal,
    klein und geschrumpft, eine sehr alte Frau, so abwesend, dass ich mir ein Herz fassen musste, sie anzusprechen.
    Sie erkannte mich nicht, aber als ich meinen Namen nannte, sagte sie, ah, Herr Canetti, das ist lange her, der Alban spricht immer noch von Ihnen.
    Der Komödiant Canetti, der Psychologe, der Historiker, der Philosoph.
    Seine Persönlichkeit – facettenreich, schwer auslotbar.
    Seine Werke werden in diesem Lesezirkel analysiert und interpretiert.
    So schreibt z.B.
    Hans-Georg Zapotowski zur Psychologie von Elias Canetti, Franz Schuh über Canettis Werk, Minister Fischer äußert sich zu Masse und Macht oder Cornelia Kraus im Besonderen zu Canettis Dramen.
    Denn obwohl sein Roman Die Blendung und sein sozialphilosophisches Werk Masse und Macht bereits Weltgeltung haben, gibt Canetti seinem dramatischen Werk den Vorzug.
    Ich würde sagen, dass mir von Hause aus meine Art zu erleben, meine Art Dinge zu empfinden, ist zuerst einmal eine dramatische.
    Und so ist mir eigentlich das Dramatische das Nächste.
    Eigentlich das Wichtigste gewesen, was ich gemacht habe.
    Es waren aber gerade die Dinge, die am längsten gewartet haben.
    Während meine anderen Werke jetzt alle verstanden werden, vielleicht auch bekannt werden, hat es sich mit den Stücken sehr gehappert, obwohl sie mir das Wichtigste waren.
    Ich empfinde mich vor allem als Dramatiker.
    Und woran, glauben Sie, liegt es?
    Liegt es an der schwierigen Realisierbarkeit des Stückes?
    Zum Teil liegt es daran, dass die Stücke eine neue Form hatten.
    und die vielleicht ihre Zeit etwas vorausfahren, nicht?
    Und dann, wie gesagt, auch an ganz praktischen Dingen, dass ich mich nie anbiete, dass die Leute nicht nachdenken, dass sie meine Sachen machen.
    Ich habe in London gelebt und habe gedacht, da werden nun die, für dieses Stück, das so wienerisch ist, die österreichischen Bühnen, sich bei mir melden, sagen, ich möchte das unbedingt spielen.
    Es ist jahrzehntelang kein Mensch gekommen und es hat so lange gedauert.
    Canentis' Komödie der Eitelkeit wurde 1979 am Wiener Burgtheater herausgebracht.
    Hans Hollmann hat sie inszeniert.
    Vor zwei Jahren erreichte er mit dem Befristeten in Stuttgart ebenso heftige Zustimmung wie wütende Ablehnung.
    Jetzt probiert er wieder am Burgtheater die Hochzeit, die als schwärzestes Stück schwarzer Wiener Literatur gilt.
    Auch Hans Hollmann kommt im Lesezirkel über Canetti zu Wort.
    Lebenswerk Canetti fußt ja auf der Untersuchung von zwei Themen.
    Das eine ist die Masse und das andere ist der Tod.
    Und das durchzieht sein ganzes Werk und auf denen beruhen auch die drei Dramen.
    Es bilden sich in den canettischen Stücken durch den Einfall immer Massen.
    Das hat er auch vor, das verlangt er auch von Stücken.
    Und das, was Canetti wirklich erfunden hat, und zwar auch theoretisch formuliert hat und eben praktisch in Anwendung brachte, ist der Begriff der akustischen Maske.
    Canetti sagt ungefähr inhaltlich so, dass jeder Mensch, so wie er sich ein Gesicht bildet, so wie er sich visuell mimisch gibt, gebärdenmäßig gibt,
    kommt es bei den meisten Menschen zur Annahme einer akustischen Maske.
    Und Canetti hat minutiös in allen drei Stücken seinen Figuren, genaue akustische
    Masken gegeben.
    Er hat ganz mit einer unglaublichen Beobachtungsgabe, akustischen Beobachtungsgabe, nicht umsonst heißt eine seiner letzten Bücher Ordenzweige nicht, diese einzelnen österreichischen Individuen beobachtet und dann hat er den Einfall, diesen einmaligen Grundeinfall, auf dem jedes der Stücke beruht und dann bündelt er sie und dann zeigt er sie uns als Masse.
    Und da zeigt er, wie sie alle einer Ideologie auf den Leim gehen und dann eben fürchterlicherweise Masser werden.
    Glauben Sie, liebt er die Menschen?
    Das weiß ich nicht.
    Das weiß ich nicht.
    Ich glaube, er kennt die Menschen.
    Es ist zwei Minuten vor eins, wir schalten noch einmal ins Nachrichtenstudio.
    Nahe Osten USA.
    Unnachgiebigkeit der USA und Ungewissheit über das Schicksal der Entführten kennzeichnen die Geiselaffäre von Beirut.
    In einer Rede in Dallas bezeichnete Präsident Reagan die Terroristen als primitive Barbaren.
    Der Terrorismus sei eine Bedrohung von Kultur, bedrohte Reagan und fügte hinzu, man werde nach wie vor Widerstand leisten.
    Der frühere Präsident Jimmy Carter forderte die Amerikaner auf, Reagan in der Geiselaffäre voll zu unterstützen.
    Schiitenführer Nabi Berri drohte, sollten die USA und Israel die Forderung nach Freilassung von 700 Schiiten nicht erfüllen, müsste er seine Vermittlerrolle aufgeben.
    Brasilien, USA.
    Das Ergebnis der Untersuchungen einer internationalen Expertengruppe hat bestätigt, dass die in der Nähe von Sao Paulo exhumierte Leiche eindeutig die des früheren KZ-Arztes Josef Mengele ist.
    Ein Sprecher der 17 Sachverständigen erklärte, vor allem die Zähne hätten den Beweis geliefert.
    Die Vereinigten Staaten haben die Fahndung nach Mengele offiziell eingestellt.
    Der Nazi-Massenmörder ist nach dem Krieg zunächst nach Argentinien geflohen und 1960 in Paraguay aufgetaucht.
    Dann lebte er mehrere Jahre in Brasilien, wo er 1979 bei einem Badeunfall ums Leben kam.
    Vereinte Nationen.
    Der Weltsicherheitsrat in New York hat Südafrika zum dritten Mal innerhalb von drei Tagen scharf verurteilt.
    In einer Resolution wird Südafrika zur Einstellung aller aggressiven Akte gegen die Nachbarstaaten aufgerufen.
    Besonders kritisiert wird der Überfall auf Gaborone, die Hauptstadt Botswanas.
    Dabei kamen in der vergangenen Woche 16 Menschen ums Leben.
    Österreich.
    Benzin sollte nach Ansicht des ARBÖ sofort billiger werden.
    Die Kraftfahrervereinigung spricht in einer Aussendung von einer Hinhalte- und Verzögerungspolitik der Mineralölwirtschaft.
    Nun noch die Wetteraussichten bis heute Abend.
    Von Westen her Durchzug einer Störungszone.
    Nachmittagstemperaturen 14 bis 20 Grad.
    Das Mittagsschonal geht damit zu Ende.
    Redakteur am Studiomikrofon war Werner Löw.
    Auf Wiederhören morgen beim Sonntagsschonal um 17 Uhr.
    Untertitel der Amara.org-Community

    Beiträge dieses Journals

    Nachrichten
    Datum: 1985.06.22 [Sendedatum]
    Schlagworte: Gesellschaft ; Radiosendung-Mitschnitt ; 20. Jahrhundert - 80er Jahre
    Typ: audio
    Inhalt: Nachrichten
    Wetterbericht
    Datum: 1985.06.22 [Sendedatum]
    Schlagworte: Natur ; Radiosendung-Mitschnitt ; 20. Jahrhundert - 80er Jahre
    Typ: audio
    Inhalt: Nachrichten
    Wer ist Nabih Berri ?
    Mitwirkende: Pott, Marcel [Gestaltung]
    Datum: 1985.06.22 [Sendedatum]
    Ort: Beirut [Aufnahmeort]
    Schlagworte: Gesellschaft ; Radiosendung-Mitschnitt ; 20. Jahrhundert - 80er Jahre
    Typ: audio
    Inhalt: Nachrichten
    Vorschau Parteitag der deutschen Grünen
    Mitwirkende: Kerbler, Michael [Gestaltung]
    Datum: 1985.06.22 [Sendedatum]
    Ort: Bonn [Aufnahmeort]
    Schlagworte: Gesellschaft ; Radiosendung-Mitschnitt ; 20. Jahrhundert - 80er Jahre
    Typ: audio
    Inhalt: Nachrichten
    Wassergesetze in Spanien
    Mitwirkende: Gerhardt, Robert [Gestaltung]
    Datum: 1985.06.22 [Sendedatum]
    Ort: Madrid [Aufnahmeort]
    Schlagworte: Gesellschaft ; Radiosendung-Mitschnitt ; 20. Jahrhundert - 80er Jahre
    Typ: audio
    Inhalt: Nachrichten
    Inlandspresseschau zu Zwentendorf
    Mitwirkende: Hauer, Ernest [Gestaltung]
    Datum: 1985.06.22 [Sendedatum]
    Schlagworte: Gesellschaft ; Radiosendung-Mitschnitt ; 20. Jahrhundert - 80er Jahre
    Typ: audio
    Inhalt: Nachrichten
    Im Journal zu Gast: Klaus Maria Brandauer
    Interview: Schauspieler Brandauer
    Mitwirkende: Brunner, Ulrich [Gestaltung] , Brandauer, Klaus Maria [Interviewte/r]
    Datum: 1985.06.22 [Sendedatum]
    Schlagworte: Gesellschaft ; Radiosendung-Mitschnitt ; 20. Jahrhundert - 80er Jahre
    Typ: audio
    Inhalt: Nachrichten
    Kultur: Canetti-Lesezirkel
    Einblendung: Autor Canetti, Regisseur Hollmann
    Mitwirkende: Hofer, Brigitte [Gestaltung] , Canetti, Elias [Interviewte/r] , Hollmann, Hans [Interviewte/r]
    Datum: 1985.06.22 [Sendedatum]
    Schlagworte: Gesellschaft ; Radiosendung-Mitschnitt ; 20. Jahrhundert - 80er Jahre
    Typ: audio
    Inhalt: Nachrichten

    Katalogzettel

    Titel Mittagsjournal 1985.06.22
    Spieldauer 00:59:54
    Mitwirkende Löw, Werner [Moderation]
    Jirkovsky, Karl [Regie] [GND]
    ORF [Produzent]
    Datum 1985.06.22 [Sendedatum]
    Schlagworte Gesellschaft ; Radiosendung-Mitschnitt
    20. Jahrhundert - 80er Jahre
    Typ audio
    Format TKA [Tonband auf Kern (AEG)]
    Sprache Deutsch
    Rechte Mit freundlicher Genehmigung: ORF
    Signatur Österreichische Mediathek, jm-850622_k02
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