Mittagsjournal 1989.11.25

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    Rechtliches

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    KI-generiertes Transkript

    Untertitel der Amara.org-Community
    Der Wechsel an der Prager Parteispitze, die mögliche Wende in der CSSR.
    Das ist natürlich unser politisches Hauptthema im Mittagsschornal, zu dem sie Werner Löw begrüßt.
    Wir erwarten dazu einen Stimmungsbericht aus Prag, außerdem eine Analyse, was bedeutet, was bringt die neue Führungsmannschaft.
    Und im Schnall zu Gast ist heute der in Österreich lebende tschechoslowakische Schriftsteller und Carta 77-Mitbegründer Pavel Kohut.
    Die weiteren Journalthemen 1.
    DDR eigene Umfrage über die Beliebtheit von Parteien und Politikern Gespräch mit dem Vorsitzenden der neuen Ost-SPD Morgen Volksabstimmung in Ungarn über den Präsidentenwahltermin und die Volksabstimmung in der Schweiz über die Abschaffung der Armee
    Aus Österreich der ÖVP-Parteitag in Graz und eine Staatsopernpremiere im Wiener Odeon.
    Das Festival Wien Modern bringt Beat Furas Oper »Die Blinden«.
    Vor alldem aber die Nachrichten zusammengestellt hat sie Hans-Christian Scheidt, Nachrichtensprecherin ist Maria Piefel.
    Tschechoslowakei.
    Nach dem Rücktritt der bisherigen Parteiführung und der Ernennung des neuen Parteichefs Urbanek bahnen sich nun auch in der Tschechoslowakei Reformen an.
    In einer außerordentlichen Sitzung hat das Zentralkomitee der tschechoslowakischen KP heute Nacht das Politbüro neu gewählt und verkleinert.
    Sieben Politiker, die als Reformgegner gelten, wurden nicht mehr in das Politbüro entsandt.
    Ausgeschieden sind unter anderem der bisherige Parteichef Jakes, Ministerpräsident Adamec und Staatspräsident Hussak.
    Das Zentralkomitee sprach sich ferner für den Rücktritt der Regierung Adamec aus.
    Auch die Regierungen des tschechischen und des slowakischen Landesteiles sollen demissionieren.
    Mitte Dezember soll ein Aktionsprogramm für Reformen verabschiedet werden.
    Deutsche Demokratische Republik.
    Eine Wiedervereinigung beider deutsche Staaten ist nach Ansicht von DDR-Staats- und Parteichef Krenz zurzeit undenkbar.
    Krenz sagte in einem Interview mit der Londoner Zeitung Financial Times, deshalb werde auch die Berliner Mauer trotz Öffnung der Grenzen an ihrem Platz bleiben.
    Unterdessen hat der stellvertretende amerikanische Außenminister Eagleburger eine Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten als einen unausweichlichen Prozess bezeichnet.
    Eagleburger sagte gegenüber dem Hamburger Nachrichtenmagazin der Spiegel, bei der Wiedervereinigung werde es zwar nervöse Reaktionen geben, aber im Großen und Ganzen brauche man sich wegen eines demokratischen, wiedervereinigten Deutschlands keine Sorgen zu machen.
    USA.
    Der amerikanische Präsident Bush und die britische Premierministerin Thatcher stimmen in der Beurteilung der Entwicklungen in Mittel- und in Osteuropa überein.
    Dies erklärte der Sprecher des Weißen Hauses Fitzwater nach einem mehr als vierstündigen Treffen zwischen Bush und Thatcher auf dem Landssitz des Präsidenten in Camp David.
    Demnach wollen Washington und London die Reformen des sowjetischen Staats- und Parteichefs Gorbatschow unterstützen.
    In einer Pressekonferenz warnte Margaret Thatcher den Westen allerdings vor übereilten und einseitigen Abrüstungsmaßnahmen.
    Libanon.
    Der neu gewählte Staatspräsident Raoui hat in der vergangenen Nacht den früheren Ministerpräsidenten Selim Hos mit der Bildung einer Regierung der Nationalen Einheit beauftragt.
    Hos stellte daraufhin ein Kabinett vor, das sich aus Christen und Moslems zusammensetzt.
    Staatspräsident Raoui ist der Nachfolger des bei einem Attentat getöteten René Mouawad.
    Österreich.
    In Wien sind am Vormittag die Ölminister der OPEC-Staaten zu einer Konferenz zusammengetreten.
    Im Mittelpunkt der Tagung steht neuerlich die Diskussion über die Fördermengen.
    In Vorgesprächen auf Expertenebene war es in den vergangenen Tagen zu keinem Kompromiss über eine künftige Quotenaufteilung unter den OPEC-Staaten gekommen.
    Die ÖVP schließt heute in Graz ihren Parteitag mit einer Diskussion über ihr Konzept der ökosozialen Marktwirtschaft ab.
    Wirtschaftsminister Schüssel erklärte in der Diskussion, so wie die ÖVP die soziale Frage geklärt habe, werde sie auch die ökologische Frage in den nächsten Jahren lösen.
    Für die Wirtschaft dürfe Umweltschutz keine Belastung sein, weil gerade die Ökologie eine Nische für Milliardengeschäfte sei, sagte Schüssel.
    Umweltministerin Fleming werft der SPÖ vor, ihre Aktivitäten in der Umweltpolitik auf eine Zeitungswerbekampagne zu beschränken.
    Landwirtschaftsminister Fischler trat dafür ein, künftig fossile Primärenergien stärker zu besteuern, um Chancen für Alternativenergien zu schaffen.
    Ungarn.
    Die private Ausfuhr von Lebensmitteln ist ab sofort verboten.
    Ausgenommen sind Waren, die in die Wiesenläden für westliche Währung erworben werden und Reiseproviant ungarischer Touristen.
    Die Behörden in Budapest begründen die Maßnahme damit, dass Einkaufstouristen zuletzt die Regale praktisch leer gekauft hätten, wodurch sich die Versorgungslage der Bevölkerung mancher Grenzregionen dramatisch verschlechtert habe.
    Sowjetunion.
    Knapp ein Jahr nach dem verheerenden Erdbeben hat die Bevölkerung in Armenien noch immer mit schweren Problemen zu kämpfen.
    Der Wiederaufbau der verwüsteten Dörfer und Städte verzögert sich.
    Westliche Ingenieure berichten, immer wieder würden Baumaterialien unterschlagen, der Schwarzhandel blühe.
    Der weitaus größte Teil der Erdbebenopfer, vermutlich etwa 350.000 Menschen, werde auch den kommenden Winter in Notunterkünften verbringen müssen.
    Japan.
    Ein Erdbeben der Stärke 4,3 auf der nach oben offenen Richterskala hat heute die Hauptstadt Tokio und die nähere Umgebung erschüttert.
    Menschen wurden offenbar nicht verletzt, auch über Sachschäden ist nichts bekannt.
    Die Wetteraussichten bis morgen früh.
    Gebietsweise noch Schneefälle, ab Mittag von Norden her Bewölkungsabnahme, ab den Abendstunden meist heiter.
    Nordwestwind, Tageshöchsttemperaturen minus 4 bis 0 Grad, Tiefstemperaturen der kommenden Nacht minus 12 bis minus 3 Grad.
    Die Aussichten für morgen Sonntag.
    In der ersten Tageshälfte allgemein heiter, ab Mittag von Norden her Bewölkungszunahme, nachfolgend Aufkommen von Schneefall, der am Abend auch den Westen und den Süden Österreichs erfassen wird.
    Tageshöchsttemperaturen minus 5 bis 0 Grad.
    Eine Vorschau auf übermorgen Montag.
    Teilweise noch Störungsreste und etwas Schneefall.
    Im Lauf des Nachmittags dann Übergang zu aufgelockerter Bewölkung.
    Nun noch die Messwerte von 12 Uhr.
    Wien und Eisenstadt bedeckt leichte Schneefall minus 1 Grad, St.
    Pölten bedeckt leichte Schneefall minus 2, Linz bedeckt Schneefall minus 3 Grad, Salzburg bedeckt leichte Schneefall minus 1 Grad, Innsbruck stark bewölkt 0 Grad, Bregenz bedeckt Schneefall 1 Grad, Graz wolkig 2 Grad und Klagenfurt heiter 0 Grad.
    Acht Minuten nach zwölf ist es.
    Genau eine Woche und nicht mehr lag zwischen dem zuletzt wahrscheinlich schwersten Fehler des alten Prager Regimes und seiner Ablöse.
    Vor einer Woche, am 17.
    November, ging die Polizei mit größter Brutalität gegen eine Demonstration von geschätzten 30.000 Studenten auf dem Prager Wenzelsplatz vor.
    In den nachfolgenden Tagen sollte die Menschenmenge dort jeden Tag auf das Zehnfache sogar bis zu einer halben Million anwachsen.
    Zu viele einfach, um noch Polizeiknüppel als Argument einsetzen zu können.
    Auch wenn, wie man dann hörte, zumindest einmal der Einsatz von bewaffneten Parteimilizen gegen die Demonstranten ernsthaft erwogen wurde.
    Gestern Abend kam die Meldung vom Rücktritt der Parteiführung unter Milos Jakis, gefolgt von der Wahl eines neuen, verkleinerten Politbüros und eines neuen, weithin unbekannten Parteichefs.
    Die Rücktritte waren zunächst wichtiger als die neue Mannschaft.
    So schätzte es unsere Prag-Korrespondentin Barbara Kunow-Kalergi schon heute im Morgenschnoll ein.
    Vor wenigen Minuten überspielte sie uns ihre aktuelle Analyse aus Prag.
    Aber ansonsten ist das Ergebnis der Krisensitzung des Zentralkomitees so voll von Widersprüchen und halben Maßnahmen, dass man sicher sein kann, dass dem Streikaufruf für nächsten Montag keineswegs der Boden entzogen ist.
    Die drei Studenten haben noch in der Nacht oder besser in den heutigen Morgenstunden auf die Erklärung der Parteiführung reagiert.
    Sie sei im Rahmen der Nationalen Front, also der Blockparteien, bereit zum Dialog.
    Auf dem Gebäude der Juridischen Fakultät prangt jetzt ein Transparent mit der Aufschrift, Nationale Front lebt.
    Denn die Partei will zwar, so hat sie heute Nacht verkündet, Dialog und Diskussion, aber der einzige legitime Partner, das Bürgerforum, soll davon ausgeschlossen sein.
    In der Erklärung des Zentralkomitees ist nun davon die Rede, dass im Rahmen der Nationalen Front oder auch darüber hinaus eine andere Organisation gefunden werden soll.
    Aus dem Stereotypenfunktionärskinesisch des Chefredakteurs des Parteiorgans Roudet-Bravo, Eugénie, der in der Nacht den Standpunkt der Partei erläuterte, konnte man das, was in der Erklärung eigentlich gemeint war, eher ahnen als erkennen.
    So widersprüchlich wie die Frage des gesellschaftlichen Dialogs sind auch die Personalprobleme gelöst worden.
    Offensichtlich haben die ZK-Mitglieder mit Kritik und Vorwürfen an Yakis und Co.
    nicht gespart.
    In der offiziellen Sprache heißt das offene und kritische Diskussion.
    Yakis, Indra und Hussak, die Galleonsfiguren des alten Regimes und die Symbole für die Niederschlagung des Prager Frühlings, sind also keine Parteifunktionäre mehr.
    Aber Hussak bleibt Staatspräsident und Indra bleibt Parlamentspräsident.
    Ministerpräsident Adametz, der sich in den letzten Tagen als vorsichtiger Reformer profiliert hatte, ist weg vom Fenster.
    Angeblich auf eigenen Wunsch.
    Der ehrgeizige Jung-Stalinist Miroslav Stepan aber weiterhin Präsidiumsmitglied.
    Zum Parteichef, wie er es ja wohl gewollt hat, haben ihn seine Genossen aber nicht gewählt.
    Dieses Amt füllt jetzt der weithin unbekannte Karel Urbanek aus.
    Ein Mann der Mitte mit seinen 48 Jahren und seiner steilen, aber unauffälligen Parteikarriere ein Kind der Normalisierung.
    Ein Reformer, ein Hoffnungsträger ist er kaum.
    Ein solcher stand in diesem Zentralkomitee wohl auch nicht zur Verfügung.
    Ob diese Parteiführung bleibt oder ob sie eine Übergangslösung ist, wird freilich erst der nächste Parteitag im Frühling zeigen.
    Václav Havel hat gestern in einer ersten Reaktion gesagt, er mache sich keine Illusionen über die neuen Männer, aber er sei sicher, dass jetzt das Volk verstärkt in das Vakuum eintreten wird, das das alte Regime hinterlassen hat.
    Das Zentralkomitee hat gestern eine ganze Anzahl konkreter Reformprojekte angekündigt.
    Gesetze über Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit, Wehrersatzdienst.
    Die zu neuem Selbstbewusstsein erwachte Öffentlichkeit und die Expertengruppen des Bürgerforums werden mit Sicherheit dabei ein gewichtiges Wort sein.
    Soweit Barbara Kudnow-Kalergi mit dem zurzeit einschätzbaren Hintergrund zum Regimewechsel in Prag.
    Wie es zurzeit auf den Straßen der tschechoslowakischen Hauptstadt aussieht, darum informiert in einem Direktbericht jetzt Armin Wolf.
    Und wieder sind hunderttausende Menschen in Prag auf der Straße.
    Heute aber nicht am Wenzelsplatz in der Innenstadt, sondern rund um den Vejtsdom am Radzin, der allerdings 929 von Wenzel begründet wurde.
    Aus der ganzen Tschechoslowakei sind die Menschen gekommen.
    Aus allen größeren Städten parken Busse vor dem erzbischöflichen Palais.
    Der Dom selbst ist schon seit halb fünf Uhr früh voll besetzt.
    Den ganzen Morgen strömten zehntausende Menschen hierher rauf.
    Viele tragen die kleine blau-rot-weiße Fahne am Mantel, die zum Symbol der Opposition geworden ist.
    Manche, vor allem ältere Menschen, haben Dubček-Plaketten angesteckt.
    Aber es ist diesmal keine primär politische Veranstaltung.
    Es ist eine Messe und viele Besucher wissen noch gar nicht alle politischen Neuigkeiten.
    Wie heißt denn der neue Parteichef, fragt uns einer.
    Urbanek?
    Nie gehört.
    Wer ist denn das?
    Ja, ich weiß, Urbanek heißt er, sagt ein anderer.
    Aber ich kenne ihn nicht.
    Wir finden niemanden hier, der genaueres über den neuen Mann sagen kann.
    Die meisten haben ihn bis gestern nicht gekannt.
    Eine Frau aus Urbaneks Heimat Böhmen ist vor sich.
    Er ist sicher besser als Jakesch, aber es sind noch so viele andere alte Daseinsaktiven.
    Die Messe selbst verläuft anfangs völlig unpolitisch.
    Gefeiert wird die heilige Agnes, eine böhmische Königstochter, die im 13.
    Jahrhundert die Armut wählte und ein Kloster gründete.
    Erst am Ende der Messe, die zehntausende Menschen in Weißen der Kälte nur auf einem kleinen Fernsehapparat verfolgen konnten, wird Kardinal Tomaschek politisch.
    Die Kirche steht auf der Seite des Volkes und der Freiheit", rufte den Gläubigen entgegen.
    Ein tausendfaches Svobodu, Freiheit, kommt zurück.
    Tomaschek selbst ist ja nicht unumstritten.
    Sein Treffen mit dem Prager Parteichef Stephan kürzlich hatte viel Kritik hervorgerufen.
    Gestern ließ der Kardinal am Wenzelsplatz eine Erklärung verlesen.
    Das Treffen sei völlig falsch dargestellt worden.
    Er stehe auf der Seite des Volkes.
    Der Kardinal sei in die Stadtverwaltung eingeladen worden, heißt es.
    Dort sei dann völlig überraschend der KP-Chef aufgetaucht, dazu Kamerateams des tschechischen Fernsehens.
    Der Kardinal sei also quasi hereingelegt worden.
    Hier vor dem Dom wird der Kirchenführer jedenfalls bejubelt.
    Die eigentliche politische Veranstaltung dieses Tages findet allerdings erst um zwei Uhr Nachmittag statt.
    Wieder nicht am Wenzelsplatz, sondern im Lettner Park am linken Moldau-Ofer.
    Auch heute soll wieder Alexander Dubček sprechen, heißt es hier.
    Mehr als eine halbe Million Menschen wird erwartet.
    Intensiv laufen auch die Vorbereitungen für den Generalstreik am Montag.
    In der ganzen Stadt ist die Streikaufforderung angeschlagen.
    Studentendelegationen haben in Fabriken versucht, Arbeiter zu überzeugen, sich am Streik zu beteiligen.
    Das Stahlwerk in Gladno will heute eine Sonderschicht fahren.
    Die Extralöhne wollen die Arbeiter den Studenten spenden.
    Und die Prager Taxifahrer haben vergangene Nacht 25.000 Kronen nach offiziellem Kurs 30.000 Schilling gesammelt und sie dem Streikkomitee der Studenten überreicht.
    Armin Wolf aus Prag.
    Und wir bleiben beim Thema mit unserer Samstagsserie.
    im Journal zu Gast.
    Das ist der Schriftsteller Pavel Kohut.
    Der heute 61-Jährige war Journalist, Diplomat, Theaterleiter und Regisseur.
    Er war Mitglied und Funktionär der Kommunistischen Partei, wurde ein überzeugter Anhänger des Reformkurses und der Parteichef Alexander Dubček, den er mit einer Reihe von Aktivitäten unterstützte.
    Nach der Unterdrückung des Prager Frühlings im Sommer 1968 wurde Kohut in seiner Heimat politisch und sozial geächtet.
    Trotz seines Publikationsverbots gelang es ihm aber immer wieder auf die Lage in der CSSR aufmerksam zu machen.
    Pavel Kohut ist Gründungsmitglied der Bürgerrechtsbewegung Carter 77.
    Im Oktober 1979 wurden er und seine Frau nach einem Auslandsaufenthalt gewaltsam an der Einreise zurück in die CZSR gehindert.
    Kohut ließ sich in Wien nieder und wurde österreichischer Staatsbürger.
    Zu seinen bekanntesten Werken gehören die Theaterstücke August, August, August, Arme, Mörder und Patt.
    Zu seinen vielen Prosa-Arbeiten gehören etwa die Henkerin, die Einfälle der heiligen Klara und Wo der Hund begraben ist.
    Kohut arbeitet gerade an einem neuen Roman.
    Er hat sich immer als politischer Schriftsteller verstanden.
    Das Gespräch mit Pavel Kohut leitete Roland Machatschke mit einer kurzen Frage zur rasanten politischen Entwicklung in der CSSR ein.
    Was ist in diesen Tagen in der Tschechoslowakei passiert, Herr Kohut?
    Die Geduld ist übergelaufen.
    Der Funken ist übersprungen.
    Es ist das passiert, was wir schon mal erlebt hatten vor 21 Jahren mit dieser leider großen Verspätung.
    Würden Sie sagen, das ist eine Parallele zu den Ereignissen des Prager-Frühlings?
    Denn damals, muss man doch sagen, ist die Reform gekommen aus der Partei heraus.
    Es ist was ganz anderes, weil dieser Führung ist es gelungen, in 21 Jahren das letzte Image von Sozialismus so zu zerstören, dass sich die jungen Menschen darunter eigentlich schon fast gar nichts vorstellen können.
    Die Frage ist nur, warum hat das alles so lange gedauert?
    Warum hat es sozusagen eines allerletzten Anstoßes bedurft, was ja wahrscheinlich die Ereignisse in der DDR gewesen sind, um auch in der Tschechoslowakei die Menschen zu mobilisieren?
    Der Prager Führung, die vor 21 Jahren, also der heutigen Prager Führung, damals war es eine Gruppe von
    Kommunisten, wie sie sich genannt hatten, von treuen Kommunisten, die haben sich damals, weil sie plötzlich verstanden haben, dass sie nicht mehr fähig sind, eine moderne Gesellschaft zu führen, dass sie abgewählt werden, haben sie sich mit dem Sozialismus identifiziert und zu seiner, verstehe, ihrer Verteidigung die Panzer in Moskau angemeldet und bestellt.
    Sie haben eigentlich Hochverrat begangen.
    Und diese Leute haben dann, damit ich es nicht wiederhole, alle aus der Partei gefeuert, die überall noch verdächtigt werden könnten, sie seien ein bisschen Reformer.
    Also 500.000 Menschen verließen unfreiwillig diese Partei.
    Es gibt keine Reformer in der Partei und deswegen hat es so lange gedauert.
    Und wie kann man sich dann den weiteren Fortgang der Entwicklung vorstellen?
    Das lässt sich ja dann wahrscheinlich nicht mehr vergleichen mit dem, was in der DDR, soweit wir es sehen können, im Gange ist, mit dem, was in Ungarn passiert ist, was in Polen passiert ist, auch was in der Sowjetunion passiert ist.
    Denn überall dort sind ja in der kommunistischen Partei, in der Staatspartei, Staatstragenpartei Reformer aufgetreten.
    Aber in Prag, sagen Sie, Herr Koth, und das geht ja auch aus allem hervor, kann es in der Partei ja keine Reformer mehr geben.
    Nein, es gibt sie auch nicht.
    Und diejenigen, die das vortäuschen, und zwar sehr wenig überzeugend vortäuschen, wie zum Beispiel Herr Ministerpräsident Adametz, der sich hier als großer Reformer gab und man hat es ihm soweit geglaubt, dass alle führenden Zeitungen diese Parole Adametz-Reformer auf der ersten Seite gebracht hatten,
    Das war ein Mann wie die, der gleiche Mann.
    Sie haben richtig gesagt, diese Reform, dieser Anlauf, dieser friedliche Aufstand, diese Revolution der Kinder, wie ich sie nenne, weil ich bin wirklich tief gerührt, wenn ich sehe, dass es 20- und 25-jährige intelligente Menschen sind, die mit diesen Parolen kommen.
    Dieser Aufstand ist wirklich also nicht durch die Partei, sondern eindeutig gegen diese Partei gerichtet.
    Aber, wie schon gesagt, auf friedlichem Wege.
    Wie stehen denn diese Kinder eigentlich zu Menschen, zu Persönlichkeiten, die mit dem Prager Frühling 1968 verbunden sind?
    Zu Leuten wie Ihnen, Herr Koth, aber auch zu Leuten wie Alexander Dubček?
    Ich kann es Ihnen aus Wien aus nicht sagen, aber ich nehme an, dass es eine
    sicher eine freundlich-kritische Einstellung sein wird.
    Nicht kritische, weil sie sicher zunächst eine Erklärung brauchen, wie es dazu kam, warum es dazu kam.
    Sie müssen auch einmal erfahren, warum das überhaupt in der Tschechoslowakei auf diese Art und Weise generell gelaufen ist, weil die Gegebenheiten
    die Dispositionen dieses Landes nach 1945 anders waren als in anderen sogenannten sozialistischen Ländern.
    Stichwort, wir waren schon eine Demokratie und wir glaubten der Sowjetunion und wir hatten eine große kommunistische Partei, die in der Opposition war.
    Wir hatten freie Wahlen, in denen die Linke an die Macht kam.
    Aber diese Kinder brauchen dann auch natürlich zu erklären, warum meine und die nächste Generation sich auf diese Art und Weise betrogen lassen konnten, damit es auch ihnen nicht passiert.
    Ist das eine Revolution, die sich jetzt abspielt in der Tschechoslowakei, die zurück will zum Jahr 68, oder ist es vielmehr eine Revolution, die zurück will zum Jahr 1948, nämlich vor dem Zeitpunkt des kommunistischen Putsches?
    Ich würde sagen, weder noch.
    Für diese gebildeten Kinder ist das alles französische Revolution.
    Ich glaube, sie wollen ganz sicher nach vorne schauen.
    Ich glaube, nachdem sie jetzt einen gewissen Ruck der Unsicherheit erleben, weil die leben auch in einer optischen Täuschung, was den Westen anbelangt, so wie die westliche Linke und Rechte immer in einer optischen Täuschung gelebt haben, was den Osten anbelangt.
    Inwiefern jetzt was den Westen anbelangt?
    Weil die zum Beispiel wirklich der Meinung sind, dass es genügt gewisse Parolen zu ändern und die Gesellschaft fängt an zu funktionieren.
    Man muss zum Beispiel in der Tschechoslowakei anfangen, organisieren zu lernen, arbeiten zu lernen.
    Also diese primitiven Tugenden, die hier eindeutig sind und die alle Emigranten erschrecken, wenn sie hierher kommen und plötzlich sehen,
    dass dieser Wohlstand aber wirklich auch teuer bezahlt wird durch Arbeit.
    Das alles müssen Sie erst erfahren.
    Sie müssen auch erfahren, dass auch in dieser Gesellschaft ein einfacher Mensch auch um seine Freiheit kämpfen muss.
    Freiheit ist nirgendwo gratis gegeben.
    Die muss man sich überall nehmen.
    Hier umso leichter, als es hier wirklich Kontrollmechanismen gibt, die man sich bedienen kann und die man muss dort einführen.
    Kurz und gut, die werden sicher, wenn ich das jetzt politisch sehe, wird die Tschechoslowakei sicher einen Rechtsruck erleben, aus logischen Gründen.
    Aber, weil es ein Land von intelligenten Menschen ist, denkenden Menschen, glaube ich, dass man also bald die Sachen wieder im gewissen, also ausgeglichen sehen wird.
    Ich habe überhaupt keine Angst, dass es in der Tschechoslowakei, wenn das einmal läuft, schieflaufen könnte.
    Schüler und Studenten sind aber sicherlich nicht imstande, eine Revolution zu machen, vielleicht, aber durchzuhalten nicht.
    Wie schaut es denn eigentlich aus mit den Arbeitern?
    Wie stehen denn die?
    Denn da gibt es ja verschiedene Signale, die man hört.
    Die Frage, wie der Generalstreik am Montag eingehalten wird, das ist ja noch zurzeit sehr in der Schwebe.
    Es muss zunächst gesagt werden, dass die Arbeiterklasse schon längst keine klassische Arbeiterklasse ist.
    Und in dieser Arbeiterklasse gibt es einen
    korrumpierten Teil, den sehen wir auch heute jeden Tag auf den tschechoslowakischen Bildschirmen.
    Das sind diejenigen, die jetzt behaupten, man darf keinen Generalstreik machen, weil wir brauchen diese eine Stunde Arbeit unbedingt, damit die Tschechoslowakei nicht zugrunde geht.
    Aber auch in dieser Arbeiterklasse oder in dieser Arbeitenmilie gibt es auch natürlich junge Arbeiter, die sehen wir auch auf den Bildschirmen und die stehen auf der Seite der Studenten.
    Wir können unter Umständen am Montag immer noch herb enttäuscht werden, einstweilen.
    Es kann wirklich passieren, dass sich die Menschen massieren lassen, dass sie es nicht begreifen, was eigentlich da läuft, dass sie sich also noch einmal überreden lassen, für die Vorteile, die sie haben, noch eine gewisse Zeit auszuhangen.
    Aber auf die Dauer ist es sicher nicht zu stoppen.
    Und ich bin auch eigentlich sehr glücklich, dass ich jetzt fortwährend angerufen werde und dass ich mit praktisch fast allen Jugendorganisationen Österreichs jetzt Kontakt habe und dass alle von der jungen ÖVP
    über die sozialistische Jugend und die junge Generation der SPÖ und fast alle Hochschülerschaften.
    Alle wollen den tschechoslowakischen Generalstreik am Montag um 12 Uhr vor der tschechoslowakischen Botschaft in Wien abhalten, weil sie das für eigene Sache halten.
    Die Sache der Generation, also nicht eine Sache der Tschechen, aber eine Sache der Europäer.
    Glauben Sie, Herr Kohut, hat der Kommunismus in der Tsche-SSR überhaupt noch eine Chance?
    Lassen Sie mich sagen, dass Kommunismus immer, auch damals, nur ein Traum war.
    Es ist einer der menschlichen Träume, die die Menschheit immer wieder zu etwas beflügeln.
    Es war eine Erfindung des 19.
    Jahrhunderts und wir wissen in welch schaurigen Bedingungen damals
    viele arbeitende Menschen und einfache Menschen lebten.
    Es sind die Bedingungen vergleichbar mit denen von Südamerika oder Mittelamerika heute.
    Und der Traum von Kommunismus führte dann in die politische Realität der sozialistischen Parteien, die dann leider in die Kommunistischen verwandelt worden sind durch eine absolut falsche Ideologie.
    In diesem Sinne würde ich sagen, dass der Kommunismus als Traum heute ausgedient hat.
    dass aber die Zukunft wieder, und das ist sicher der Fall auch in der Tschechoslowakei, soziale Härte mit sich bringt, weil zum Beispiel diese alle ökonomischen Sachen, die gemacht werden müssen, die führen zu einer zeitbedingten Arbeitslosigkeit und sie führen also zu wirklich Härtefällen.
    Diese Härtefälle müssen wieder von jemandem artikuliert werden.
    Und dieser jemand wird sicher auf der linken Seite stehen, auf der klassischen linken Seite.
    Also früher oder später wird sich eine solche Bewegung sogar auch in den Ostländern wieder konstituieren.
    Nur wird sie sich wirklich belehren müssen von dem, was da passiert ist.
    Glauben Sie, Herr Koth, wenn es in der Tschechoslowakei wirklich zu einer Wende kommt, dass dann ein Mann wie Alexander Dubček eine Art Integrationsfigur sein kann?
    Ich weiß es nicht.
    Dubček ist eine, das sagt Dr. Melinas, zurecht eine Legende.
    Und ich glaube, Legenden sollen Legenden bleiben.
    Er spielt jetzt die Karte der Legende richtig aus.
    Er erscheint jetzt im richtigen Moment an den richtigen Orten und deswegen identifizieren die Menschen auch seine Anständigkeit mit dem, was sie vertreten, was die anderen vertreten.
    Ob er in der praktischen Politik noch was zu tun haben wird, das ist schwer zu sagen.
    Zum Beispiel wäre er Mitglied dieser Partei, könnte er noch was machen, aber die sind doch alle ausgeschlossen.
    Und es ist die Frage, ob jemand dieser Partei noch beitreten möchte.
    Und deswegen ist das mehr eine realpolitische Frage, die ich Ihnen nicht beantworten kann.
    Es gibt andere Galleons-Figuren, und zwar nicht nur die so bekannten, wie den Václav, sondern auch diejenigen, die in der Tschechoslowakei sehr wohl bekannt sind.
    Und nur weil die westliche Presse ein bisschen bequem ist, war es immer leichter, an einen sich zu wenden, als die 10 oder 20 weiteren Namen zu nennen.
    Es gibt dort meiner Meinung nach in jedem Bereich, im Bereich der katholischen Kirche, der Evangeliker, der Sozialdemokraten, der ehemaligen Reformkommunisten, der Demokraten, Leute mit großem Vertrauen.
    Sie sehen also ein größeres politisches Spektrum auch in der Tschechoslowakei vorhanden?
    Das ohne Zweifel.
    Natürlich werden sie jetzt auch prinzipielle Diskussionen und auch Streitigkeiten führen müssen.
    Wollen wir hoffen, dass wir bald in der Situation sind.
    Weil wir haben uns damals, als wir die Karte 77 geschrieben und signiert hatten,
    haben wir uns gesagt, es muss Schluss sein mit der Parole, die Lenin herausgegeben hat, wenn wir uns einmal einigen wollen, müssen wir uns zunächst in Streitigkeiten auseinandersetzen.
    Wir haben uns gesagt, wenn wir uns einmal in einer demokratischen Gesellschaft
    auseinandersetzen wollen, müssen wir uns zunächst einigen.
    Und das ist auch in der Charta passiert.
    Und nachträglich wird eigentlich diese wahnsinnig wichtige Bedeutung der Charta sichtbar.
    Es ging damals wirklich nicht um eine misslungene Machtergreifung, sondern es ging um einen Beweis, dass auch in einer so zerstrittenen Gesellschaft, wie es die tschechische und die slowakische war und ist,
    Menschen mit so verschiedensten, diversen Ansichten und Biografien, wie zum Beispiel Havel oder Kohout, einen gemeinsamen Nenner finden können.
    Dieser wurde gefunden, er funktioniert heute und dieser Nenner hat es soweit gebracht.
    Ganz persönlich gefragt, Herr Kohuts, Sie sind ausgebürgert worden aus der Tschechoslowakei, Sie sind österreichischer Staatsbürger geworden.
    Sie sind der meistgespielte tschechoslowakische Dramatiker im Ausland auf jeden Fall.
    Wenn eine Wende kommt in Ihrer Heimat und ich nehme an, Sie betrachten die Tschechoslowakei immer noch als Ihre Heimat trotz Ihrer österreichischen Staatsbürgerschaft, werden Sie dann wieder zurückfahren?
    Das habe ich von Anfang an gesagt.
    Schon an dem Tag, als ich die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen bekam, habe ich gesagt, es ist die Heimat und die vorherige Staatsbürgerschaft für mich kein
    Sommermantel gewesen, den man so also wegwirft, um in meinem schönen Pelz zu spazieren.
    Jetzt möchte ich das wieder umgekehrt sagen.
    Die österreichische Staatsbürgerschaft ist für mich kein Wintermantel, den ich jetzt wegwerfe, nur weil es wieder dort warm wird.
    Man hat mir eine Heimat gestohlen und die Bumerange des Schicksals haben es so gewollt, dass ich dazu noch eine zweite Heimat bekommen habe.
    Ich fühle mich natürlich immer als Tscheche, aber ich habe auch angefangen, mich als Österreicher zu fühlen, weil ich die elf Jahre hier nicht als Tourist verbrachte.
    Ich habe mich schon sehr wohl, obwohl nicht im tagespolitischen Bereich, aber ich habe mich sehr wohl in die österreichische Tagesproblematik eingemischt.
    Und ich glaube, wenn ich das schaffe, dass ich mit einem Bein in meiner Urheimat und mit dem zweiten Bein
    in meiner Wahlheimat lebe, dann ist es eine beste Fortsetzung der alten Tradition, bei der bis 1918 alle tschechischen Schriftsteller Österreicher waren.
    Ich bin wieder die Fortsetzung dieser Tradition.
    Danke für das Gespräch.
    Pavel Kohut war im Journal zu Gast.
    Das Gespräch mit ihm führte Roland Machatschke.
    Aus der neuen DDR ist ein weiteres Novum zu melden.
    Erstmals hat jetzt das Staatliche Institut für Soziologie in Ost-Berlin eine Meinungsumfrage zu aktuellen politischen Fragen vorgelegt.
    Die wichtigsten Ergebnisse präsentierte gestern ein Vertreter des Instituts im Radio der DDR.
    So etwa das Ergebnis zur Frage an DDR-Bürger, welche politischen Parteien und Bewegungen vertreten ihrer Meinung nach ihre Interessen am wirksamsten.
    Hier muss man sagen, dass es ein breiter
    derzeit für keine der Parteien entscheiden können.
    Und zwar sind das 41,9 Prozent.
    Aber immerhin kann man auch sagen, dass es noch einen großen Anteil in der Bevölkerung gibt, die glaubt, dass die SED ihre Interessen vertritt.
    Das sind 31,5 Prozent.
    Ich werde die Nachfolgenden jetzt vielleicht kurz nennen.
    Für das neue Forum entschieden sich 9%, für die LDPD 7,9%, für die SDP 3,1%, für die CDU 1,7% und das andere sind dann sonstige Bewegungen, die dort ausgewählt wurden.
    Eine zweite Frage der staatlichen Meinungsforscher galt der empfundenen Sympathie für einzelne Spitzenpolitiker.
    Besonders interessant scheint da der große Abstand zwischen der Nummer 1 und dem Zweitplatzierten.
    Also hier, muss ich sagen, haben wir ähnliche Ergebnisse wie bei den Fragen zu den politischen Organisationen.
    Es ist ein großer Teil der Bevölkerung, die sich derzeit für keinen Politiker entscheiden konnten, beziehungsweise keine Politikerin.
    Es sind 32,2 Prozent der Befragten, die also sagten,
    Sie finden im Augenblick keine Politikerin oder keinen Politiker sympathisch.
    Aber man muss auch hier sagen, es gibt eine ziemlich deutliche Mehrheit, die sich für unseren Ministerpräsidenten entschieden haben, für Herrn Motro.
    41,9 Prozent der Befragten fanden also Herrn Motro sehr sympathisch.
    Um dann die Nachfolgenden in der Rangskala noch kurz zu nennen, der Herr Krenz hat erhielt 9,6 Prozent der Stimmen, der Herr Gerlach 4,7 Prozent, der Gysi 3,0 Prozent, der Herr Schabowski 1,5 Prozent und sonstige, darauf fallen auch der Herr Reich, die Frau Boley und so weiter, darunter erhielten insgesamt 7,1 Prozent.
    So war dein Vertreter des Ostberliner Instituts für Soziologie gestern im DDR-Radio.
    Eine der gerade genannten neuen DDR-Parteien ist die Anfang Oktober gegründete Ost-SPD.
    Die ostdeutschen Sozialdemokraten erreichten bei dieser DDR-Umfrage wie gesagt 3,1% Zustimmung, was ihre Kompetenz als wirksame Interessenvertretung anlangt.
    Bei einer von Westland durchgeführten Umfrage für das Hamburger Magazin Stern Anfang dieser Woche wurde ihnen ein potenzieller Stimmenanteil bei freien Wahlen von 10% bescheinigt.
    Die Ost-SPD tritt wirtschaftlich für eine ökologisch orientierte soziale Marktwirtschaft ein, durch welche die DDR ihre eingestandenermaßen enormen Umweltprobleme aus eigener Finanzkraft lösen soll.
    Und sie tritt nicht nur für freie Neuwahlen, sondern für Wahlen sogar zu einer verfassungsgebenden Versammlung ein.
    Das betonte Steffen Reiche von der DDR-Sozialdemokratie auch im Gespräch mit Michael Kerbler.
    Der Anlass übrigens der Kurzbesuch des österreichischen Kanzlers und SPÖ-Chefs Wranitzki in Ostberlin.
    Wir haben als Erste schon bei unserer Gründung am 7.
    Oktober gefordert, dass es freie, geheime und demokratische Wahlen geben wird.
    Wir haben keine Angst vor einem auch nahen Wahltermin, aber wir geben zu bedenken, dass es keinen Sinn gibt, auf demokratische Weise in undemokratische Strukturen Menschen hineinzuwählen.
    Wir wollen eine verfassungsgebende Versammlung, weil die Verfassung in der DDR nicht einfach zu ändern ist.
    Sie ist aufgebaut auf dem Artikel 1.
    Wenn man den Grundstein wegnimmt, stürzt alles in sich zusammen.
    Außerdem muss man sagen, ein Wahlgesetz, ein Parteiengesetz, ein Pressegesetz kann von der jetzigen Volkskammer im Grunde genommen auch so nicht verabschiedet werden, denn sie hat ja nicht den demokratisch zustande gekommenen Wählerauftrag dazu.
    Insofern runder Tisch, Vorbereitungen für die Wahlen zu einer verfassungsgehenden Versammlung.
    Nun so einfach ist es ja nicht, in der DDR Wahlwerbung zu machen.
    Wie wollen Sie denn in der Deutschen Demokratischen Republik um Wähler, um Wählerstimmen werben?
    Wir haben zunehmend in einigen Zeitungen einzelne Kolumnen, in denen wir uns vorstellen können.
    Es ist für uns die Möglichkeit, über die in die DDR einstrahlenden Sender anderer Staaten unsere Bürger zu erreichen.
    Wie wäre es denn beim Rundfunk der DDR?
    Ich bin eine Vertreterin dieses Organs.
    Als ich in Frankfurt war, habe ich mit Herrn Noske, den Sie vielleicht kennen, gesprochen.
    Ja, und er sagte, er würde auf mich zukommen, wenn er die Möglichkeit für ein solches, damals sagte er, kritisches Interview, kein Werbeinterview, sehen würde.
    Ich bin froh, wenn es zu einem solchen käme.
    Sie sehen, die Entwicklung geht vorwärts.
    Ich spreche jetzt mit Ihnen und ich nehme an, das wird auch gesendet werden im Rundfunk der DDR.
    Wunderbar.
    Ist eigentlich von Bundeskanzler Wranicki, der ja auch Parteivorsitzender der Sozialistischen Partei Österreichs ist, so eine Art Hilfestellung angeboten worden, etwa auch für Ihre Partei im Rahmen der Sozialistischen Internationale aktiv zu werden?
    Wir werden mit einem Vertreter teilnehmen an einer Tagung des Renner-Institutes in Österreich.
    Die Unterstützung, die uns gegeben wird durch solche Gespräche, durch den Beobachterstatus bei der Sozialistischen Internationale in Genf, der unseren Vertretern, die zurzeit dort sind, zugesichert worden ist,
    ist uns schon große Unterstützung gewährt worden.
    Wir sind eine selbstständige und unabhängige Partei.
    Unsere Mitglieder bezahlen einen Beitrag von einem Prozent ihres Nettoeinkommens.
    Viele arbeiten ehrenamtlich, viele Spenden gibt es und insofern sind wir auf materielle Unterstützung zurzeit nicht angewiesen.
    Und ich hoffe, dass wir auch zunehmend Vervielfältigungsmöglichkeiten in der DDR bekommen.
    Eine sozialdemokratische Partei in diesem Land muss sich auch mit der Frage der sogenannten Wiedervereinigung unter Anführungszeichen auseinandersetzen.
    Welche grundsätzliche Position haben Sie zu dieser Frage?
    Die Probleme, die wir in Europa haben, sind europäische Probleme und es gibt keinen Sinn, zur Bewältigung von europäischen Problemen einen deutschen Nationalstaat wiederherzustellen.
    Sei es in den Grenzen von 1957.
    Die Debatte um die Grenzen von 1937 sind absurd.
    Viele Menschen in der DDR wollen spürbar und schnell etwas verändert wissen.
    Sonst sagen sie, schmeiß das einfach zusammen.
    Wir haben lange genug gewartet, lange genug Geduld gehabt.
    Die ist zu Ende.
    Soweit Steffen Reiche von der OstSPD.
    Morgen findet in Ungarn zum ersten Mal in der Geschichte des Landes eine Volksabstimmung statt.
    Fast acht Millionen Ungarn sind vor allem dazu aufgerufen, einen endgültigen Termin für die Präsidentenwahl festzulegen.
    Ursprünglich hätte schon an diesem Sonntag die Wahl eines neuen Staatsoberhauptes stattfinden sollen.
    Bei den Verhandlungen der als Nachfolgepartei der Kommunisten gegründeten Ungarischen Sozialistischen Partei
    Mit den Oppositionsgruppen war im Sommer festgelegt worden, dass dieses Mal der Staatspräsident noch in direkter Wahl in Zukunft durch das Parlament gewählt werden sollte.
    Der Oppositionelle Bund Freier Demokraten lehnte dies ab.
    Er trat dafür ein, dass die Präsidentenwahl durch das Volk erst nach den Parlamentswahlen stattfinden soll, die für den Frühsommer 1990 vorgesehen sind.
    Durch die Verschiebung sollte den oppositionellen Kandidaten genügend Zeit für eine Profilierung geboten werden.
    Und die Freien Demokraten setzten dieses Prinzip auch durch eine große Unterschriftenaktion durch, sodass es also morgen zu dieser Volksabstimmung kommen muss.
    In diesem ersten Plebiszid in einem osteuropäischen Land überhaupt soll übrigens auch darüber endgültig entschieden werden, ob die Arbeitermilizen aufgelöst werden und ob die sozialistische Partei, die Kommunisten also, ihr Vermögen offenlegen müssen.
    Karl Stipschitz aus Budapest.
    Das Interesse der Ungarn an der Demokratie hält sich in Grenzen.
    Für die morgen früh beginnende erste Volksabstimmung befürchtet man eine Wahlbeteiligung von unter 50 Prozent.
    Einige Meinungsumfragen besagen, dass nur jeder vierte ungarische Bürger seinen Zettel in die Urne werfen wird.
    Vier Fragen sind zu beantworten, aber nur noch eine einzige ist von Bedeutung.
    Soll der Staatspräsident vor oder nach den Parlamentswahlen gekürt werden?
    Vor, das heißt direkte Volkswahl.
    Nach, das heißt, dem Präsidenten wählt das Parlament und damit die politischen Parteien.
    Die Freien Demokraten, eine kleine Gruppe, in der ganz verschiedene Überzeugungen von sozialdemokratisch über liberal
    bis hin zu konservativ zu finden sind, haben dieses Referendum durch das Sammeln von 200.000 Unterschriften erzwungen.
    Ihre Gegner sagen, das Ganze diene den Freien Demokraten dazu, vor den Wahlen noch rasch bekannt zu werden.
    Die Freien Demokraten erwidern, der Machtverlust der Kommunisten müsste vom Volk ein für alle Mal festgeschrieben werden.
    Drei der vier Fragen, die bei dem morgigen Referendum beantwortet werden müssen, sind schon entschieden.
    Erstens, die kommunistische, heute sozialistische Partei muss sich aus allen Betrieben zurückziehen.
    Zweitens, die Partei legt genaue Abrechnungen über ihr, wie es hier heißt, zusammengestohlenes Vermögen vor.
    Und schließlich drittens, die bewaffnete Arbeitermiliz wurde im Vormonat per Regierungsbeschluss aufgelöst.
    Dass die Volksabstimmung dennoch abgehalten wird – sie kostet den nahezu bankrotten ungarischen Staat umgerechnet 40 Millionen Schilling – zeigt, dass die neuen politischen Parteien selbst überrascht sind von der Geschwindigkeit, mit der die kommunistische Macht in sich zusammenfällt.
    Das wird von den Freien Demokraten und ihren Verbündeten auch offen zugegeben.
    Die Volksabstimmung ist also nur noch eine Frage des Prestiges.
    Die sozialistische, ehemals kommunistische Partei will, dass der Staatspräsident noch vor den Parlamentswahlen direkt vom Volk gewählt werde.
    Ihr aussichtsreicher Kandidat heißt Imre Poschgoy.
    Das demokratische Forum, die laut Umfragen stärkste Oppositionspartei, hat die Ungarn zum Boykotter-Abstimmung aufgerufen.
    Ihr Argument, dass alles sei ein teures und bedeutungsloses Spiel mit der Demokratie.
    Und dieses Argument wird von vielen Ungarn geteilt.
    Es werde, so sagen die Leute des eher konservativen demokratischen Forums, wertvolle Zeit vertan.
    Mit einer Auslandsschuld von 20 Milliarden Dollar, bisher sprach die Regierung von 17 Milliarden, tanzt Ungarn bereits über einem wirtschaftlichen Abgrund.
    Das Ergebnis der Volksabstimmung ist nur dann gültig, wenn mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten morgen ihren Zettel abgibt.
    Eine besondere Volksabstimmung ist für morgen auch in der Schweiz angesagt.
    Abgestimmt wird nicht nur über die Heraufsetzung der Höchstgeschwindigkeiten auf 130 km auf Autobahnen und 100 Stundenkilometer auf Landstraßen, von der Zeit 120 bzw.
    80.
    Es geht vor allem um die Abschaffung des Milizheeres, die von einer Initiative gefordert wird.
    Hören Sie mehr von Hans-Peter Trötzsch.
    Selten zuvor hat ein Abstimmungskampf derart polarisiert.
    Vom historischen Urnengang ist die Rede von einem Jahrhundert entscheid.
    Monatelang schon dauert die engagierte Diskussion zwischen Armeebefürwortern und Gegnern.
    Keine Partei, keine Organisation wollte sich nehmen lassen, ausführlich über den künftigen sicherheitspolitischen Kurs der Schweiz zu diskutieren.
    Gegner der Initiative und damit Befürworter der Armee sprechen von einer Selbstaufgabe, von einer Schwächung der Willensnation Schweiz bei einem Jahr.
    Die Schweiz entwaffnen sei gleichbedeutend mit der Abschaffung der Schweiz.
    Die Befürworter bezeichnen ihren Vorstoß selbst als Utopie.
    Die Schweiz müsse aber als Kleinstadt im Herzen Europas ein Zeichen setzen.
    Der Ost-West-Entspannungsprozess, das Schreckensszenario eines möglichen atomaren Holocausts, mache die konventionell gerüstete Schweizer Armee überflüssig.
    Die Rüstungsausgaben von jährlich rund 80 Milliarden Schilling umlagern in den Sozialbereich, auch für die Belange des Umweltschutzes.
    Damit, so die Initianten, könnte die Schweiz ein Signal setzen zu einer weltweiten Abrüstung.
    Die offizielle Schweiz, die Regierung, die bürgerlichen Parteien, sie alle lehnen diese Initiative unisono klar ab.
    Die Sozialdemokraten luden Mitte Jahr zum außerordentlichen Parteitag und plädierten für Stimmfreigabe.
    Als Sozialist könne man mit guten Argumenten für oder gegen die bewaffnete Landesverteidigung sein.
    Parteiintern war man mit dieser Stimmfreigabe dem Grabenkampf zwischen dem pazifistischen Flügel und den Befürwortern der bewaffneten Landesverteidigung elegant ausgewichen.
    Schwieriger wurde die Lage für die in der Vier-Parteien-Koalition Regierung sitzenden Sozialisten.
    Fahnenflucht mussten sich die Sozialdemokraten von Seiten der Bürgerlichen vorwerfen lassen.
    Das schweizerische Wehrwiesen hat eine jahrhundertealte Tradition.
    Jeder Schweizer ist gemäß Verfassung wehrpflichtig.
    Rund 600.000 Mann können im Krisenfall unter die Waffen gerufen werden.
    Die Schweizer Armee, auf bloße Verteidigung des eigenen Territoriums ausgerichtet, tue niemandem etwas zu leid.
    Es sei blauäugig und naiv, so die Gegner, dass bei einer allfälligen Abschaffung der Armee der weltweite Frieden gesichert sei.
    Ein Nein deshalb, den Illusionen liest man tausendfach von Litfaßsäulen.
    Lieber die eigene Armee im eigenen Land als eine fremde.
    Es falle auch niemandem ein, die Feuerwehr abzuschaffen, weil man einige Zeit von einer Feuersbrunst verschont geblieben sei.
    Unterstützung erhalten haben die Armeeabschaffer auch von den bundesdeutschen Grünen.
    Sie appellieren in Inseraten, in hiesigen Zeitungen und ermuntern Herrn und Frau Schweitzer, den mutigen Schritt zu wagen.
    Und der Schriftsteller Friedrich Thürenmatz, zusammen mit einer Reihe von Armeegegnern, meint kurz und bündig, man kann die Schweiz nicht mehr militärisch verteidigen, ohne dass sie kaputt geht.
    Die Schweizer werden an diesem Wochenende ihre Armee nicht abschaffen, darin sind sich alle einig.
    Aber die Frage interessiert, wie groß der Anteil der Ja-Stimmen sein wird.
    Zwischen 25 und 35 Prozent wird so ziemlich alles herumgeboten.
    Ungewiss ist vor allem der Anteil all jener, welche mit dieser Abstimmung der Armee einen Denkzettel verpassen wolle, eine Art persönliche Abrechnung etwa aufgrund negativer Diensterlebnisse.
    Je nach Ja-Stimmen-Anteil werden es künftige Rüstungsvorlagen schwieriger haben und die Initianten haben bereits ein neues Volksbegehren in Aussicht gestellt.
    Die Heilige Kuh-Armee soll, notfalls halt im zweiten Anlauf, geschlachtet werden.
    Hans-Peter Trütsch aus der Schweiz.
    In Graz geht heute der zweitägige Sonderparteitag der ÖVP zu Ende.
    Ein sogenannter Zukunftsparteitag unter dem Motto Visionen für Österreich.
    Bevor es noch um die Visionen ging, wies ÖVP-Obmann Riegler in seinem gestrigen Referat seine parteiinternen Kritiker in die Schranken.
    Ein Fußballteam müsse miteinander und nicht gegeneinander spielen.
    Und er machte sich ausdrücklich gegen Stimmen aus dem Wirtschaftsflügel seiner Partei stark für das von ihm als Vizekanzler mit dem Koalitionspartner ausgehandelte Familienpaket, inklusive Extra-Karenzia und Arbeitszeiterleichterungen.
    Unter den politischen Sachthemen steht heute vor allem das von Riegler seit seinem Amtsantritt propagierte Prinzip der ökosozialen Marktwirtschaft im Vordergrund.
    Es ging heute um die Parteitagsdiskussion dazu.
    Aus Graz berichtet Franz Simbürger.
    Es war nicht so sehr Diskussion über das Konzept ökosozialer Marktwirtschaft, was den heutigen Vormittag beim ÖVP-Parteitag in Graz bestimmte.
    Es war vielmehr Interpretation des Konzeptes ökosozialer Marktwirtschaft aus der Sicht verschiedener Interessen in der ÖVP.
    Für Wirtschaftsminister Wolfgang Schüssel etwa bedeutet ökosoziale Marktwirtschaft, das Interesse an der Umwelt zum Eigeninteresse der Menschen, auch der Unternehmer zu machen.
    Ökosoziale Marktwirtschaft sei die von der ÖVP entwickelte Antwort auf die Herausforderungen der Gegenwart schlechthin, sagte Schüssel.
    Und dann in Richtung SPÖ.
    Und wenn der sozialistische Parteivorsitzende sich zwiderlächelnd abbilden lässt mit unseren Ideen, dann ist er nicht mehr und nicht weniger als ein simpler Abstauber
    ein Trittbrettfahrer auf der Plattform der ökosozialen Marktwirtschaft des Josef Riegler.
    Umweltministerin Marilice Fleming hob ebenfalls hervor, dass Umweltsicherung und Umweltsanierung ohne Wirtschaft nicht möglich seien.
    Die ÖVP, so Fleming, habe die Fähigkeit Wirtschaft und Umwelt ebenso zu verbinden, wie bisher Wirtschaft und Soziales.
    Und eine Warnung der Umweltministerin an die eigene Partei.
    Die österreichische Volkspartei war immer eine Integrationspartei, die viele soziale Konflikte in sich selbst zu lösen verstanden hat.
    dass wir dieses Konflikte lösen manchmal in der Öffentlichkeit tun, das mag der besondere Charme unserer Partei sein.
    Hilfreich ist so etwas allerdings nur selten.
    Für Landwirtschaftsminister Franz Fischler bedeutet ökosoziale Marktwirtschaft auch die Interessen der Bauern gegenüber jenen der Wirtschaft zu wahren.
    Es kann nicht so sein, dass auf dem Altar der internationalen Handelsbeziehungen
    die flächendeckende bäuerliche Landwirtschaft geopfert wird.
    Denn es sind ja die Bauern, die gleichsam die Lebensgarantie für die Gesellschaft abgeben, sagt Fischler.
    ÖVP-Industriesprecher Josef Taus warnt dagegen davor, ob allzu großer Öko-Euphorie die Bedeutung der Wirtschaft zu vergessen.
    Und wir werden mit aller Vorsicht von der österreichischen Volkspartei aus Belastungen, die in die Wirtschaft hineingehen, dimensionieren.
    Es hat keinen Sinn, dass wir uns die Wirtschaft zu Tode belasten, um irgendein Ziel zu erreichen, von dem wir gar nicht genau wissen, was eigentlich das Ergebnis dort sein soll.
    Ich sage das auch in aller Schärfe und in aller Härte, weil das muss man sehr deutlich machen in diesem Zusammenhang.
    Und auch der oberösterreichische Landtagsabgeordnete Christoph Leitl macht dann klar, dass das Konzept ökosozialer Marktwirtschaft noch zu wenig mit Leben erfüllt sei.
    Das einzige, was hier konkret ist, ist eine Energiesteuer.
    Und ich glaube, ein neues Denken mit einer neuen Steuer einzuleiten, das gefällt mir also nicht ganz besonders.
    Die Diskussion über den Leitantrag zur ökosozialen Marktwirtschaft dauert zur Stunde noch an.
    Gegen 13 Uhr wird dann Parteiobmann Josef Riegler sein Abschlussreferat halten und ich gebe vom ÖVP-Parteitag aus Graz zurück nach Wien.
    Reporter war Franz Simbürger.
    Zu einem der Höhepunkte des diesjährigen Festivals Wien Modern könnte die heutige Uraufführung der Oper »Die Blinden« werden.
    Es handelt sich um ein Auftragswerk der Wiener Staatsoper und des Festivals Wien Modern an den jungen aus der Schweiz stammenden und in Wien lebenden Komponisten Beat Furrer.
    Furrer, der sein Werk auch selbst dirigieren wird, war Schüler bei Roman Haubenstock-Ramatti und ist bisher vor allem mit kammermusikalischen Kompositionen hervorgetreten, unter anderem auch beim letzten Festival »Töne und Gegentöne«.
    Bei seinem ersten musikdramatischen Versuch wird Fuhrer unterstützt von Mitgliedern des Opernstudios der Staatsoper sowie vom Orchester der Österreichischen Bundestheater.
    Premiere der »Blinden« von Beat Fuhrer ist heute Abend um 20 Uhr im Odeon in Wien.
    Für Staatsoperndirektor Drese ein Grund zu verlocken.
    Ich bin sehr froh, dass wir nun endlich mal eine Situation haben, dass die Staatsoper nicht in ihrem alten Repertoire erstickt sozusagen, sondern sich auch wirklich kreativ betätigen kann, etwas Neues fördert.
    Das neue Musiktheater, für das sich Klaus-Helmut Drese so vehement einsetzt, greift im Fall von Beat Fuhrers Oper »Die Blinden« auf durchaus ältere, nichtsdestoweniger aber zeitlos aktuelle Stoffe zurück.
    Zum einen auf das Ende des vorigen Jahrhunderts entstandene Drama »Die Blinden« des Symbolisten und Nobelpreisträgers Maurice Marderling.
    Andererseits auf Texte von Hölderlin und Rimbaud.
    Ausgangspunkt aber ist jenes vom Chor altgriechisch rezitierte Gleichnis Platons von den in einer Höhle gefesselten Menschen, die anhand der auf die Höhlenwände fallenden Schatten versuchen, die Wirklichkeit zu deuten.
    Die Menschen in Führersoper haben die Höhle bereits verlassen.
    Sie finden sich im grellen Licht der Erkenntnis, in dem sie desorientiert und führerlos herumtappen.
    Ein Gesicht!
    Ein Toter!
    Unter uns ist... Wo ist er?
    Oh mein Gott!
    Ich höre sein Herz nicht mehr!
    Er ist gestorben!
    Das Konzept für die Blinden ist das Höhlengleichnis von Platon mit all seinen Konsequenzen.
    Der Austritt aus der Beschütztheit, aus der Höhle raus, in, sagen wir, die Gefährlichkeit des Lichts, die Gefährlichkeit des Erkennens, dass das ein aufreibender, oft auch depressiver, wahnsinnig einschüchternder Prozess ist, also der Schmerz der Erkenntnis, so würde ich das Thema umschreiben.
    sagt Regisseur Reto Nickler, dessen Inszenierungskonzept trotz der philosophischen Thematik kopflastiges Bildungstheater zu vermeiden sucht.
    Nickler geht es vielmehr um ein starkes, sinnliches Bühnenerlebnis.
    Optisch unterstützt wird er dabei von Alfons Schilling, einem vor einigen Jahren aus den USA nach Österreich zurückgekehrten Maler, der hier erstmals fürs Theater arbeitet.
    Schilling hat einige wenige geometrische Objekte für die Aktionen der Blinden entworfen und gestaltet die ansonsten karge, graue Bühne mittels Licht und spezieller Projektionen.
    Es dreht sich bei mir insofern um das Auge und um das Licht.
    Und mit diesen beiden Sachen arbeite ich und ich versuche den Zuschauer insofern einzubeziehen, als dass er eigentlich der ist, der das miterlebt.
    Und zwar er erlebt es optisch mit, was vorgeht bei diesen sogenannten Blinden.
    Das Wichtigste an der Sache ist, dass das Licht und die Farbe, das Licht, die Stimmung, die dann entsteht,
    In der Oper Die Blinden geht es also nicht um eine Handlung im üblichen Sinn, sondern um Stimmungen und Zustände, um Menschen, deren Bewusstsein und Erkenntniskraft im Erwachen begriffen ist.
    Die Musik von Bert Furer vermeidet daher illustrative oder allzu expressive Wirkungen.
    Sie erzeugt vielmehr einen Klangraum, in dem sich die Dramatik der schmerzhaften Suche nach Wahrheit entfalten kann.
    Fuhrer schafft aber auch ein intensives, räumliches Klangerlebnis für das Publikum.
    Vor allem durch ein rund um den Saal verteiltes Lautsprechersystem, in dem sich die Chorpartien spiegeln und den Zuhörer inmitten des musikalischen Geschehens stellen.
    Den Materling-Text hat Fuhrer, der seinen nächsten Opernauftrag diesmal vom starischen Herbst bereits in der Tasche hat, für sein knapp 90-minütiges Werk stark eingekürzt.
    Das Metalink-Stück hat seine Schwächen und das berechtigt mich auch dann einzugreifen, zu streichen und wirklich damit zu komponieren.
    Ich glaube, die Chance der Oper heute ist halt die Kommunikation zwischen den verschiedenen Medien, die da zusammenkommen, also dass musikalische Räume mit visuellen plötzlich in einem Spannungsverhältnis stehen.
    Das ist für mich eigentlich der wichtigste Ansatz.
    Und nach diesem Beitrag von Robert Bielek über die heutige Staatsopernpremiere in Wiener Odeum die Schlussnachrichten.
    Tschechoslowakei.
    Auch in Prag zeichnen sich jetzt nach dem Rücktritt der bisherigen Parteiführung und nach der Ernennung des neuen Parteichefs Urbanek politische Reformen ab.
    Das Zentralkomitee hat das Politbüro neu gewählt und verkleinert.
    Sieben Politiker, die als Reformgegner gelten, werden nicht mehr in das Politbüro entsandt.
    Ausgeschieden sind unter anderem der bisherige Parteichef Jakesch, Ministerpräsident Adamec und Staatspräsident Hussak.
    Das Zentralkomitee hat sich auch für den Rücktritt der Regierung ausgesprochen.
    Pavel Kohut, in Wien lebender, aus der Tschechoslowakei ausgebürgerte Schriftsteller, ist der Ansicht, dass es in der tschechoslowakischen kommunistischen Partei keine Reformer gebe.
    Deswegen habe es so lange gedauert, bis auch in Prag Reformen verlangt würden, sagte Kohut.
    Der Kommunismus sei als eine Erfindung des 19.
    Jahrhunderts nur ein Traum gewesen und habe wegen seiner falschen Ideologie ausgedient, ergänzte Kohut.
    Den Parteichef des Prager Frühlings, Alexander Dubček, bezeichnete er als eine Legende, die auch eine solche bleiben sollte.
    Deutsche Demokratische Republik.
    Eine Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten ist nach Ansicht von Staats- und Parteichef Krenz zurzeit undenkbar.
    Deshalb werde auch die Berliner Mauer trotz Öffnung der Grenzen an ihrem Platz bleiben, meinte Krenz.
    Die Sozialistische Einheitspartei hat allein seit Ende September 200.000 Mitglieder verloren.
    Das sind nahezu 10 Prozent.
    Diese Zahlen wurden heute in einem Bericht des SED-Zentralorganes Neues Deutschland veröffentlicht.
    Ungarn.
    Zum ersten Mal in der Geschichte des Landes findet morgen eine Volksabstimmung statt.
    Fast acht Millionen Ungarn sind aufgerufen, einen endgültigen Termin für die Präsidentenwahl festzulegen.
    Ursprünglich hätte morgen schon die Wahl eines neuen Staatsoberhauptes stattfinden sollen.
    Die private Ausfuhr von Lebensmitteln aus Ungarn ist ab sofort verboten.
    Ausgenommen sind nur Waren aus die Wiesenläden und Reiseproviant.
    Begründet wird die Entscheidung damit, dass Einkaufstouristen vor allem in Grenzregionen die Regale praktisch leer gekauft hätten.
    Österreich.
    Mit einer Diskussion über das Konzept der ökosozialen Marktwirtschaft schließt die ÖVP heute in Graz ihren Parteitag ab.
    Wirtschaftsminister Schüssel sagte unter anderem, so wie die ÖVP die soziale Frage geklärt habe, werde sie auch die ökologische Frage in den nächsten Jahren lösen.
    Umweltministerin Flemming warf der SPÖ vor, die Aktivitäten in der Umweltpolitik auf eine Zeitungswerbekampagne zu beschränken.
    Landwirtschaftsminister Fischler ist dafür, künftige fossile Primärenergien stärker zu besteuern, um Chancen für Alternativenergien zu schaffen.
    Nur noch die Wetteraussichten bis heute Abend.
    Im Zentral- und Südalpenbereich noch Schneefälle, sonst aufgelockert bewölkt bis heiter.
    Nachmittagstemperaturen minus 4 bis 0 Grad.
    Und das war's für heute von der Journalredaktion.
    Die nächste Journalsendung ist morgen, das Sonntagsschonal, um fünf.
    Für alle Mitarbeiter an der heutigen Sendung verabschiedet sich Werner Löw.
    Auf Wiederhören.

    Beiträge dieses Journals

    Nachrichten
    Datum: 1989.11.25 [Sendedatum]
    Schlagworte: Gesellschaft ; Radiosendung-Mitschnitt ; 20. Jahrhundert - 80er Jahre
    Typ: audio
    Inhalt: Nachrichten
    Wetterbericht
    Datum: 1989.11.25 [Sendedatum]
    Schlagworte: Natur ; Radiosendung-Mitschnitt ; 20. Jahrhundert - 80er Jahre
    Typ: audio
    Inhalt: Nachrichten
    Veränderungen in der Tschechoslowakei - Analyse
    Mitwirkende: Coudenhove-Kalergi, Barbara [Gestaltung]
    Datum: 1989.11.25 [Sendedatum]
    Ort: Prag [Aufnahmeort]
    Schlagworte: Gesellschaft ; Radiosendung-Mitschnitt ; 20. Jahrhundert - 80er Jahre
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    Inhalt: Nachrichten
    Veränderungen in der Tschechoslowakei - Aktueller Bericht
    Mitwirkende: Wolf, Armin [Gestaltung]
    Datum: 1989.11.25 [Sendedatum]
    Ort: Prag [Aufnahmeort]
    Schlagworte: Gesellschaft ; Radiosendung-Mitschnitt ; 20. Jahrhundert - 80er Jahre
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    Inhalt: Nachrichten
    Im Journal zu Gast: Pavel Kohout
    Interview: Charta77-Verfasser Kohout
    Mitwirkende: Machatschke, Roland [Gestaltung] , Kohout, Pavel [Interviewte/r]
    Datum: 1989.11.25 [Sendedatum]
    Schlagworte: Gesellschaft ; Radiosendung-Mitschnitt ; 20. Jahrhundert - 80er Jahre
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    Inhalt: Nachrichten
    Meinungsumfrage des Instituts für Soziologie Ostberlin über Parteien und Politiker
    Einblendung: Institutsvertreter
    Mitwirkende: Anonym, Mitarbeiter des Insituts für Soziologie in Ostberlin [Interviewte/r]
    Datum: 1989.11.25 [Sendedatum]
    Schlagworte: Gesellschaft ; Radiosendung-Mitschnitt ; 20. Jahrhundert - 80er Jahre
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    Inhalt: Nachrichten
    Interview mit dem ostdeutschen Sozialdemokraten Steffen Reiche
    Interview: SDP-Sprecher Reiche
    Mitwirkende: Kerbler, Michael [Gestaltung] , Reiche, Steffen [Interviewte/r]
    Datum: 1989.11.25 [Sendedatum]
    Ort: Berlin, Ostberlin [Aufnahmeort]
    Schlagworte: Gesellschaft ; Radiosendung-Mitschnitt ; 20. Jahrhundert - 80er Jahre
    Typ: audio
    Inhalt: Nachrichten
    Vor erster ungarischer Volksabstimmung
    Mitwirkende: Stipsicz, Karl [Gestaltung]
    Datum: 1989.11.25 [Sendedatum]
    Ort: Budapest [Aufnahmeort]
    Schlagworte: Gesellschaft ; Radiosendung-Mitschnitt ; 20. Jahrhundert - 80er Jahre
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    Inhalt: Nachrichten
    Schweizer Volksabstimmung
    Mitwirkende: Trütsch, Hans-Peter [Gestaltung]
    Datum: 1989.11.25 [Sendedatum]
    Schlagworte: Gesellschaft ; Radiosendung-Mitschnitt ; 20. Jahrhundert - 80er Jahre
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    Inhalt: Nachrichten
    ÖVP-Sonderparteitag
    Einblendung: Wirtschaftsminister Schüssel, Umweltministerin Flemming, Landwirtschaftsminister Fischler, Industriesprecher Taus, oberösterreichischer Landtagsabgeordneter Leitl
    Mitwirkende: Simbürger, Franz [Gestaltung] , Schüssel, Wolfgang [Interviewte/r] , Flemming, Marilies [Interviewte/r] , Fischler, Franz [Interviewte/r] , Taus, Josef [Interviewte/r] , Leitl, Christoph [Interviewte/r]
    Datum: 1989.11.25 [Sendedatum]
    Ort: Graz
    Schlagworte: Politik Österreich ; Radiosendung-Mitschnitt ; 20. Jahrhundert - 80er Jahre
    Typ: audio
    Inhalt: Nachrichten
    Kultur: Wiener Staatsoper im Odeon
    Einblendung: Staatsoperndirektor Drese, Szenenausschnitte, Regisseur Nickler, Komponist Furrer
    Mitwirkende: Bilek, Robert [Gestaltung] , Drese, Claus Helmut [Interviewte/r] , Nickler, Reto [Interviewte/r] , Furrer, Beat [Interviewte/r]
    Datum: 1989.11.25 [Sendedatum]
    Schlagworte: Kultur ; Radiosendung-Mitschnitt ; 20. Jahrhundert - 80er Jahre
    Typ: audio
    Inhalt: Nachrichten

    Katalogzettel

    Titel Mittagsjournal 1989.11.25
    Spieldauer 00:59:47
    Mitwirkende Löw, Werner [Moderation]
    ORF [Produzent]
    Datum 1989.11.25 [Sendedatum]
    Schlagworte Gesellschaft ; Radiosendung-Mitschnitt
    20. Jahrhundert - 80er Jahre
    Typ audio
    Format TKA [Tonband auf Kern (AEG)]
    Sprache Deutsch
    Rechte Mit freundlicher Genehmigung: ORF
    Signatur Österreichische Mediathek, jm-891125_k02
    Medienart Mp3-Audiodatei
    Gesamtwerk/Reihe Mittagsjournal

    Information

    Inhalt

    Band-Problem !!! Ausfall des linken Kanals nach Minute 41 !!!
    Nachrichten

    Verortung in der digitalen Sammlung

    Schlagworte

    Gesellschaft , Radiosendung-Mitschnitt
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